Hoffnung für Patienten Die Impfung könnte auch bei Long Covid helfen

Von Alex Rudolf

16.10.2021

Das Spektrum der Folgeerscheinungen einer Infektion mit dem Coronavirus ist gross.
Das Spektrum der Folgeerscheinungen einer Infektion mit dem Coronavirus ist gross.
Bild: Uwe Anspach/dpa

Kliniken, die sich auf die Behandlung von Long Covid spezialisiert haben, werden überrannt. Dies, obwohl die Methoden kaum erforscht sind. Beobachtungen zeigen aber, dass sich Impfungen positiv auswirken.

Von Alex Rudolf

16.10.2021

Als eine der ersten Kliniken der Schweiz spezialisierte sich die Klinik Gais im gleichnamigen 3000-Seelen-Dorf auf die Behandlung von Long Covid. Normalerweise finden Patient*innen hierher in den Kanton Appenzell-Ausserrhoden, die sich nach einer schweren Herzoperation erholen, eine psychosomatische Behandlung benötigen oder an den Folgen einer Krebs-Behandlung leiden.

Vergangenen Frühling stellten die Klinik-Verantwortlichen fest, dass es ein Angebot zur Behandlung von Long Covid braucht und arbeiteten eine Therapie aus, die seit diesem Sommer angeboten wird. «Die Nachfrage ist gross. Man merkt, dass die zuweisenden Ärzt*innen, aber auch die Patient*innen eine spezifische Behandlung wünschen», sagt Frank Zimmerhackl. Der Chefarzt der Klinik sagt weiter, dass sich permanent rund 20 Long-Covid-Patient*innen in Behandlung befinden. Eine Warteliste besteht über die Dauer von etwa acht Wochen.

Noch ist Long Covid nur wenig erforscht: Bekannt ist, dass es die Folge einer Covid-19-Infektion ist, die Wochen oder Monate andauern kann. Als häufige Symptome gelten beispielsweise übermässige Müdigkeit, hartnäckige Kopfschmerzen, starker Husten und Kurzatmigkeit.

Frank Zimmerhackl, Klinik Gais
Blld: zVg

In der Gais wird eine personalisierte Behandlung aus verschiedenen Modulen auf die Patient*innen zugeschnitten. Von der Aroma- und Atemtherapie über psychologische Betreuung, Ernährungsberatungen und Ergotherapie gibt es viele Angebote. Je nachdem, worunter die Patient*in primär leidet, variiert die Therapie.

Während in der Schweiz mehr und mehr Menschen erkranken, weiss man über Long Covid noch wenig. Daher werden solche Angebote wie jenes der Klinik Gais auch oft kritisiert. Ein Nutzen sei wissenschaftlich noch nicht erwiesen, heisst es jeweils.

«Viele unserer Therapie-Ansätze für Long Covid lassen sich vorerst nur bedingt wissenschaftlich untermauern, da die dazu notwendigen Daten noch fehlen», sagt Zimmerhackl. Dennoch würden die in der Klinik etablierten Behandlungs- und Rehabilitationsverfahren aufgrund der Ähnlichkeit von Long Covid zu anderen Krankheitssyndromen Aussicht auf Erfolg versprechen. «Wir wissen noch nicht genau, warum unsere Therapie-Ansätze wirken, aber wir wissen, dass sie wirken.»

Monatlich bis zu 260 Fälle bei der IV gemeldet

Ein hinlänglich bekanntes Problem bei Krebspatient*innen sei etwa die sogenannte Cancer-Fatigue. Dabei handelt es sich um eine Art Erschöpfungszustand, der im Kampf gegen den Krebs ausgelöst wurde. Therapiert wird sie beispielsweise mit einer Energie-Management-Therapie, wie Zimmerhackl erklärt. Diese werde nun auch bei Long Covid-Patienten zum Einsatz kommen. «In beiden Fällen muss man wieder lernen, wie man die zur Verfügung stehenden Energiereserven über den Tag verteilt», so Zimmerhackl.

Wird Long Covid zur Volkskrankheit? Obwohl auf der Website des Bundesamts für Gesundheit (BAG) darauf verwiesen wird, dass die Symptome in der Regel innert weniger Wochen abklingen, gibt es auch langanhaltende Fälle. Wie die neusten Zahlen aus dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) zeigen, melden sich seit März monatlich konstant zwischen 170 und 263 Long-Covid-Patient*innen bei der Invalidenversicherung (IV) an.

Besonders viele Anmeldungen wegen Long Covid gingen bei der IV im vergangenen Mai ein.
Besonders viele Anmeldungen wegen Long Covid gingen bei der IV im vergangenen Mai ein.
Bundesamt für Sozialversicherungen

Wurden im Januar noch 17 Fälle registriert, die nur 0,5 Prozent der knapp 3700 IV-Erstanmeldungen ausmachten, stieg dieser Wert in der Folge. Der bisherige Höchstwert wurde im Mai verzeichnet, als schweizweit 263 Fälle gemeldet wurden. Dies macht knapp 6,5 Prozent aller Erstanmeldungen bei der IV in diesem Monat aus.

Mehr Frauen und mehr Ältere sind von Long Covid betroffen.
Mehr Frauen und mehr Ältere sind von Long Covid betroffen.
Grafik: Bundesamt für Sozialversicherungen

Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass Long Covid vermehrt vorkommt. Wie Sabrina Gasser, Sprecherin des BSV, erklärt, könne die Anmeldung bei der IV bereits stattgefunden haben, bevor ein Zusammenhang mit Long Covid festgestellt worden sei.

Christoph Berger, BAG
Christoph Berger, Praesident, Eidgenoessische Kommission fuer Impffragen EKIF, spricht an einem Point de Presse zur Covid 19 Situation, am Mittwoch, 29. September 2021, in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Bild:  KEYSTONE

Wer sein Long Covid in der Klinik Gais behandeln lässt, war in der Regel noch nicht geimpft, wie Zimmerhackl sagt. «Ein Teil hat sich aber nach der Infektion impfen lassen und subjektiv erheblich profitiert.»

«Die Injektion einer Impfdosis kann die Symptome von Long Covid verringern», sagt Zimmerhackl. Diese Feststellung basiere nicht auf Studien, sondern lediglich auf Beobachtungen, die über Monate gemacht wurden. Bislang herrsche eher Vorsicht beim Impfen von Long-Covid-Patient*innen. «Eine mögliche Hypothese besagt, dass die Impfung eine immunogene Überreaktion auslösen und sich die Symptome so verschlimmern könnten», so Zimmerhackl.

«Es braucht noch mehr Daten»

Beim BAG kennt man die aktuellen Studien zu diesem Thema, wie aus einer Antwort von Christoph Berger, Leiter der Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene beim BAG, auf eine blue News-Anfrage hervorgeht. Welchen Einfluss eine Impfung habe, sei aber ungeklärt. Mit dem Verweis auf erste Ergebnisse aus Studien zeigt sich Berger hoffnungsvoll. «Diese sind aber noch vorläufig, es braucht noch mehr Daten.»

So gelte die Empfehlung, wonach sich Covid-Genesene vier Wochen nach der Krankheit mit einer Dosis impfen lassen sollen, auch für Long-Covid-Erkrankte. Aber, fügt Berger hinzu: «Hier ist eine Abwägung mit der betreuenden Ärztin oder dem betreuenden Arzt sicher sinnvoll und angebracht.»