Plagiats-Verdacht an HSG«Ein Begräbnis für die Schweizer Wissenschaft»
mmi
2.12.2022
Studierende der Universität St. Gallen sollen aufgedeckt haben, dass ihr Professor abgeschrieben hat. Plagiatsexperten kommen zum selben Schluss und zweifeln an der Darstellung der Hochschule.
mmi
02.12.2022, 16:31
02.12.2022, 17:13
mmi
Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Student*innen der Universität St. Gallen (HSG) haben aufgedeckt, dass ihr Betriebswirtschaftsprofessor im grossen Stil abgeschrieben haben soll. Wiederholt solle er wissenschaftliche Arbeiten plagiiert, also von anderen Autoren abgeschrieben haben.
Mit dieser Entdeckung gingen sie zur Universitätsleitung, die daraufhin eine Untersuchungskommission einsetzte. Diese fand an den Arbeiten des Professors nichts zu beanstanden.
«NZZ am Sonntag» und CH Media lassen Doktorarbeit und Habilitation begutachten
Alles schien im grünen Bereich und die Sache drohte im Sand zu verlaufen. Bis die «NZZ am Sonntag» den österreichischen Plagiatsexperten Stefan Weber beauftragte, die Doktorarbeit des Titularprofessors zu überprüfen. Anfang Oktober machte die Zeitung die Ergebnisse publik: 38 Textfragmente der Dissertation sollen aus drei anderen Werken abgeschrieben sein.
Aufgrund weiterführender Recherchen hat das Medienhaus CH Media auch die Habilitation des Professors vom selben Fachmann überprüfen lassen. Die freitags publizierten Resultate belegen: Auch die Habilitationsschrift, die der Professor an der Universität St. Gallen vorgelegt hat, soll abgeschriebene Textpassagen enthalten.
Der Professor ist nun mit dem Vorwurf konfrontiert, den Kodex der guten wissenschaftlichen Praxis verletzt zu haben.
Plagiatsexperte Stefan Weber sagt zu CH Media, die wissenschaftlichen Arbeiten des betroffenen Professors sollten gründlichst überprüft werden, weil diese massiv gegen Zitierstandards verstossen würden. Es gäbe grossflächig dreiste Plagiate, die vorsätzlich eingearbeitet worden seien, so Weber.
Verschleierungstaktik klar erkennbar
Weiter hält Weber fest, dass nicht nur fremde Texte übernommen worden sein sollen: Auch Texte der eigenen Doktorarbeit – die gemäss dem Fachmann ebenfalls Plagiate enthält– seien in der Habilitation nochmals verwendet worden. Für Weber sei eine klare Verschleierungstaktik des Plagiators zu erkennen – der habe Wörter ausgewechselt oder Sätze umgestellt, damit nicht auf Anhieb klar sei, dass der Text nicht vom Professor stamme. Für Weber steht fest: «Das ist so definitiv nicht zulässig.»
Auch die Habilitationsverordnung der Universität St. Gallen regelt klar, was zulässig ist und was nicht. Das Vorgehen des Professors verstösst vermutlich auch gegen diese Regeln, die besagen, dass eine Dissertation nicht als schriftliche Habilitationsleistung gilt, selbst wenn sie erweitert oder sonst neu bearbeitet wurde.
«Längst nicht alle Plagiate gefunden»
Das bestätigt auch Thomas Geiser, selber emeritierter Rechtsprofessor der HSG auf Anfrage von CH Media: Man könne nicht dieselben wissenschaftlichen Erkenntnisse sowohl für die Dissertation als auch für die Habilitation verwenden.
Stefan Weber weist darauf hin, dass die Untersuchungen der Habilitation noch nicht abgeschlossen seien und noch lange nicht alle Plagiate in den Arbeiten gefunden worden seien und fordert von der Universität St. Gallen die Arbeiten minutiös zu prüfen. Weiter betont er, dass es sich um ein besonders krasses Fehlverhalten eines Wissenschafters handle, das von den Behörden untersucht und geahndet werden müsse.
Uni St. Gallen hat «kein Fehlverhalten» festgestellt
Die «CH-Media»-Recherchen zeigen weiter, dass bereits im Sommer 2021 die St. Galler Rechtsanwältin Senta Cottinelli einen begründeten Plagiatsverdacht des Professors bei der Universitätsleitung gemeldet hat.
Gemäss der «NZZ am Sonntag» habe die HSG die Doktorarbeit allerdings nicht untersucht, da sie an einer anderen Universität eingereicht worden sei.
Hingegen bei der Habilitation, die über neun Monate lang durch eine «HSG-interne Untersuchungskommission» geprüft wurde, wurde indes «kein wissenschaftliches Fehlverhalten im Sinne der Integritätsrichtlinien festgestellt», heisst es in einem Schreiben des Rektors Bernhard Ehrenzeller, das CH Media vorliegt.
Plagiatsjäger Weber geht mit der Universität St. Gallen hart ins Gericht: «Dass die Uni in neun Monaten nichts gefunden haben soll und wir in wenigen Tagen gleich 25 plagiierte Stellen, ist ein Begräbnis erster Klasse für die Schweizer Wissenschaft und die Universität.»
Was die interne Untersuchungskommission in den neun Monaten konkret geprüft hat und wie sie vorgegangen ist, ist nicht bekannt – ebenso, wer Teil der Untersuchungskommission war.
Verteidiger: Vorwürfe sind «haltlos»
CH Media hat den beschuldigten Professor um eine Stellungnahme gebeten. Dessen Anwalt weist jedoch alle Vorwürfe entschieden zurück. Die Anschuldigungen seien haltlos. In der Habilitationsschrift des Professors seien weder wissenschaftliche Standards noch ein wissenschaftliches Fehlverhalten im Sinne der Integritätsrichtlinien erkennbar, schreibt der Verteidiger.
Ähnlich tönt es seitens der Universität St. Gallen. Gemäss der Medienstelle habe man die ursprünglichen Vorwürfe sehr ernst genommen und einen externen Experten beigezogen. Der Rektor sei somit der Empfehlung der Untersuchungskommission nachgekommen. Deshalb bestehe keinen Anlass für weitere Massnahmen.