Nahost«Der Iran wird nicht einknicken, auch wenn Trump das glaubt»
Von Philipp Dahm
8.9.2020
Was machen die andauernden Sanktionen mit dem Iran? Und wie versucht die Schweiz zu vermitteln? Ein Gespräch mit Philippe Welti, dem früheren Schweizer Botschafter in Teheran.
Philippe Welti hat von 1979 bis 2011 im auswärtigen Dienst der Schweiz gearbeitet. Nachdem er sechs Jahre lang die Direktion für Sicherheitspolitik des VBS geleitet hat, trat er im August 2004 den Posten des Botschafters in Teheran an. Der Zürcher blieb vier Jahre in der islamischen Republik, heute arbeitet er als strategischer Berater.
Anlässlich der Iran-Reise von Aussenminister Ignazio Cassis, die am Montag mit einem Treffen mit Präsident Hassan Ruhani und Aussenminister Mohammed Javad Zarif endete, sprach «Bluewin» am Telefon mit dem 71-Jährigen über Sanktionen, die Folgen und gute Schweizer Dienste.
Wie wirken sich die Sanktionen des Westens wirtschaftlich aus?
Die Iraner leben ja nun schon seit Jahrzehnten mit Sanktionen jeglicher Art. Sie haben ihre Ökonomie entsprechend ausgerichtet und gelernt, mit diesen schwierigen äusserlichen Bedingungen zu leben. Das hat Auswirkungen gehabt insofern, als dass immer mehr Ersatzindustrien entstanden sind, die das produzieren, was früher im Ausland gekauft worden ist. Es gibt manchen Schweizer Exporteur, der nach Jahren zurückkehrt und sieht, dass er nicht mehr gebraucht wird. Die Iraner haben eine grosse industrielle Basis und Tradition. Und hier geht es nicht bloss um Öl und Gas: Iran ist eine komplette Volkswirtschaft.
Und auf das Leben der Menschen?
Die Sanktionen haben starke Auswirkungen. Es ist ganz klar: Es geht der Wirtschaft und damit auch der Bevölkerung immer schlechter. Dieses Land ist wirklich sehr stark unter Druck.
Wohin führen die Sanktionen?
Der Iran wird deswegen nicht einknicken, auch wenn Donald Trump das glaubt. Auch einen Regimewechsel wird es nicht geben: Es gibt gar keine Ersatzstrukturen, die übernehmen könnten.
Müssen Schweizer Firmen, die im Iran Geschäfte machen wollen, die USA fürchten?
Die meisten Güter, die international gehandelt werden, sind nicht verboten und auch der Handel an sich ist nicht verboten. Das Problem ist, dass die US-Sanktionen, die unilaterale Sanktionen sind, bewirken, dass der internationale und insbesondere der Schweizer Zahlungsverkehr im Zusammenhang mit dem Iran schwer behindert wird.
Welche Alternativen gibt es?
Die Schweiz hat den «humanitären Zahlungskanal» eingerichtet: Dort sind Zahlungen möglich, die von den Amerikanern ausdrücklich bewilligt werden. Es geht dabei um «humanitäre Güter» – also Waren aus dem Bereich Pharma, Nahrung oder medizinische Geräte.
Auf welchen Grundlagen basiert das?
Auf dem Swiss Humanitarian Trade Arrangement, das mit den Amerikanern und Iran ausgehandelt wurde. Die Administration dieses Kanals liegt beim Seco in Bern. Es wurde für interessierte Firmen extra eine Adresse eingerichtet: shta@seco.admin.ch. Das Problem dieses Kanals ist, dass es bürokratisch aufwendig ist, aber dort würde man mit ausdrücklicher Genehmigung der Amerikaner Handel treiben.
Wie muss man sich das als Unternehmer konkret vorstellen?
Wer das Seco anschreibt, muss einige Formulare ausfüllen. Um im Rahmen dieses Kanals liefern und bezahlt werden zu können, muss ein Katalog von Fragen beantwortet werden – zum Absender, zum Empfänger. Sie brauchen womöglich Identitätsbestätigungen, Bescheinigungen oder Papiere vom Lieferanten. Es ist aufwendig, aber das Seco ist auch hilfsbereit, wenn es um die Beratung von Firmen geht: Der Kanal soll auch genutzt werden.
Was wäre, wenn jemand auf diesen Dienst verzichtet?
Wenn Sie den Kanal nicht nutzen, stehen Sie einfach vor der Schwierigkeit des Geldtransfers. Ausdrücklich verboten ist der Handel mit Waren aus dem Bereich der Nukleartechnologie, der Rüstungsindustrie und teilweise der «dual use»-Güter. Das sind eigentlich zivile Güter, die aber auch in den anderen Bereichen genutzt werden können. Bei jenen Waren muss das Seco entweder bescheinigen, dass es okay ist, oder Sie brauchen eine spezielle Bewilligung vom Seco. Grundsätzlich aber ist der Handel mit dem Iran erlaubt.
Läuft der Westen Gefahr, den Iran in die Arme anderer Grossmächte zu treiben?
Das geschieht ja bereits. Russland ist ein schlechter Partner, weil Russland bei zivilen, industriellen Gütern nicht wettbewerbsfähig ist. Sie exportieren Energie, also Öl und Gas, und sind hier Konkurrenz für den Iran. Die Partnerschaft zu Russland hat Bedeutung bei Rüstungsgütern.
Und China?
Bei China ist das vollkommen anders: China ist in der Lage, das ganze Spektrum von Industrie-, Investitions- und Konsumgütern zu liefern, die zuvor in Europa gekauft worden sind. Wie ich höre, ist das nicht das, was die Iraner wollen. Sie wollen europäische Qualität und sind bereit, europäische Preise zu zahlen. Doch das ist schwierig geworden, und China betreibt grossen Aufwand, um die alten Zulieferer zu ersetzen – bis jetzt anscheinend mit einigem Erfolg.
Welche Rolle spielt Peking in der Region?
China kann seine Position in der Region stärken. Das ist mit Blick auf den Persischen Golf, aber auch für Zentralasien, strategisch bedeutsam. So entsteht ein Korridor für die chinesische Belt and Road Initiative. Die Chinesen arbeiten an den Beziehungen und sie expandieren westwärts.
Seit mittlerweile 40 Jahren ist die Schweiz im Iran der Vertreter der USA. Wie läuft das ab?
Bei den komplexen, internationalen Beziehungen gibt es zwei Ebenen. Die eine ist die diplomatische Beziehung zwischen zwei Regierungen, die andere sind die konsularischen Beziehungen. Das betrifft die Interessen von einzelnen Bürgern – zum Beispiel, wenn ein Amerikaner ins Spital kommt oder verhaftet wird. Die Schweiz übernimmt im Auftrag der Amerikaner beide Bereiche.
Welche Aufgabe übernimmt die Foreign Interest Section der Botschaft?
Die Foreign Interest Section der Botschaft kümmert sich um das Konsularische, also den US-Bürger im Iran. Für den diplomatischen Kanal ist hingegen der Botschafter persönlich zuständig. Deshalb reist der Schweizer Botschafter im Iran auch zweimal jährlich nach Washington, um sich mit den Amerikanern zu beraten.
Die Schweiz vertritt in Teheran heute nicht mehr nur Washington …
Zuletzt ist auch der Konflikt mit Saudi-Arabien dazugekommen. Im Moment hat die Schweiz ein Doppelmandat: von Teheran, um sich um iranische Interessen in Saudi-Arabien zu kümmern und von Riad, um saudische Interessen im Iran zu wahren. Dass es in beide Richtungen geht, ist ein Unterschied zum Mandat für die USA.
Wie ordnen Sie diese Dienste der Schweiz ein?
Die Schweiz ist ein sehr hilfreiches, sehr nützliches und in gewissen Momenten sogar unentbehrliches Glied in den Beziehungen. Sie sichert den makellosen, vertraulichen, vollkommen geschützten, schnellen und wahrhaftigen Kanal zwischen den Regierungen in Teheran und Washington. Es ist unsere Spezialität, diplomatisch diskret und professionell zu arbeiten.