Private Unterbringung Geflüchteter «Vielfach stellt sich das Zusammenleben anders heraus»

Von Andrea Moser

2.4.2022

Knapp 22'000 Menschen sind seit Beginn des Krieges bis Anfang April von der Ukraine in die Schweiz geflüchtet.
Knapp 22'000 Menschen sind seit Beginn des Krieges bis Anfang April von der Ukraine in die Schweiz geflüchtet.
KEYSTONE/Jean-Christophe Bott

Viele Schweizer Privathaushalte sind bereit, Flüchtende aufzunehmen. Aber: ein harmonisches Zusammenleben wie in einer Grossfamilie darf man nicht erwarten, warnen Kantonsvertreter. 

Von Andrea Moser

Täglich erreichen rund 1000 Geflüchtete aus der Ukraine die Schweiz. Erhalten sie den Schutzstatus S, werden sie an die Kantone überwiesen. Anschliessend beginnt die Suche nach einem Unterbringungsplatz. Die Solidarität ist gross, Tausende Personen bieten Privatunterbringungen an. Allein bei der Schweizer Kampagnenorganisation Campax haben sich knapp 30'000 Haushalte gemeldet, die bereit sind Flüchtenden eine Unterkunft zu bieten. 

Doch dabei gibt es einiges zu beachten. Schlafplätze in einem Wohnzimmer auf einer ausziehbaren Couch sind beispielsweise tabu. Vermittelt werden deshalb nur Personen mit einem eigenen Zimmer und genug Privatsphäre.

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Das bestätigt auch Gundekar Giebel von der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern auf Anfrage. «Bei der Privatunterbringung muss eine Rückzugsmöglichkeit für die Geflüchteten vorhanden sein. Ausserdem muss ein Zugang zu Sanitäranlagen sowie eine Kochmöglichkeit gewährleistet sein».

Auch die Grösse des Raums spielt eine Rolle. Im Kanton Aargau beispielsweise soll ein Zimmer mindestens eine Wohnfläche von sechs Quadratmetern pro Person aufweisen. Der Kanton Schaffhausen verlangt, dass das Zimmer allein den Geflüchteten zur Verfügung steht und abschliessbar sein muss, sagt Fabienne Erne, Koordinatorin der Gastfamilien im Kanton Schaffhausen zu blue News. 

Ausserdem sollen sich Gastgeber bewusst sein, dass sie Flüchtenden nicht nur für ein paar Tage einen Schlafplatz bieten. «Die Geflüchteten sollen die Möglichkeit haben, mindestens drei Monate in der Privatunterkunft zu bleiben», so Giebel. Die drei Monate gelten auch im Kanton Schaffhausen – «besser wären aber sechs Monate, wir wissen ja nicht, wie sich die Situation entwickelt», sagt Erne. 

Zusammenleben funktioniert nicht immer reibungslos 

Wer sich ein harmonisches Zusammenleben wie in einer Grossfamilie vorstellt, kann aber bitter enttäuscht werden. Fabienne Erne begleitet im Kanton Schaffhausen bereits seit 2015 Gastfamilien, die Flüchtlinge aufnehmen. «Man muss sich wirklich damit befassen, dass jemand Fremdes im Haus oder in der Wohnung ist. Eine andere Kultur, andere Gerüche, anderes Essen. Beide Seiten haben Vorstellungen, wie das Zusammenleben sein soll. Vielfach stellt sich das dann anders heraus». Es brauche viel Feingefühl, aber auch gute Vermittlungsfähigkeiten von Seiten des Kantons. Bei einem Konflikt schreite sie ein und versuche, zwischen den Kulturen zu vermitteln, so Erne.

Auch der Kanton Bern geht davon aus, dass es mit der Zeit zu Spannungen zwischen den Gastfamilien und den Geflüchteten kommen kann. Grund dafür sei, dass manchmal gewisse idealisierte Vorstellungen von Seiten einiger Gastfamilien herrschen würden.

«Man wünscht sich ein problemloses Zusammenleben wie in einer Grossfamilie. Das wird jedoch in den meisten Fällen nicht klappen, denn die Kulturen sind unterschiedlich, die Lebenswege und die Lebenserfahrung ebenfalls», so Giebel. Dies könne zur Folge haben, dass man die private Unterbringungssituation wieder ändern wolle. «Wir gehen davon aus, dass dies selten in den ersten Tagen geschieht, sondern wohl eher erst nach einigen Wochen». Deshalb sei es schwierig, quantitative Angaben darüber zu haben, wie stabil und langfristig die Privatunterbringungen seien.

«Gastfamilien sind für Flüchtende nicht die erste Priorität. Sie möchten lieber in eine eigene Wohnung», sagt Fabienne Erne vom Kanton Schaffhausen. Bei den Personen, die in den letzten ein bis zwei Wochen bei Gastfamilien untergebracht worden sind, laufe es bisher aber gut.

In der Schweiz sind bisher 21'700 geflüchtete Menschen aus der Ukraine registriert worden. 15'192 dieser Personen haben den Schutzstatus S erhalten, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) am Freitag auf Twitter mitteilte.

Die Zahl der registrierten Geflüchteten erhöhte sich damit gegenüber dem Vortag um 1131. Den Schutzstatus S erhielten laut den SEM-Zahlen im Vergleich zum Vortag 1745 weitere Menschen.