Wirt geht trotz Versicherung leer aus«Das Bundesgericht hat den Fall um 180 Grad gedreht»
Von Gil Bieler und Zamir Loshi
1.2.2022
Keine Corona-Entschädigung für Aargauer Wirt: ein wegweisendes Urteil?
Ein Wirt kämpft für eine Corona-Entschädigung – und geht leer aus. Es ist das erste Mal, dass das Bundesgericht in solch einem Fall entschieden hat – ein Urteil mit Signalwirkung? Professor Frédéric Krauskopf von der Universität Bern ordnet ein.
01.02.2022
Ein Wirt kämpft für eine Corona-Entschädigung wegen des Shutdowns – und geht am Ende leer aus. Es ist das erste Mal, dass das Bundesgericht in solch einem Fall entschieden hat. Ein Urteil mit Signalwirkung?
Von Gil Bieler und Zamir Loshi
01.02.2022, 18:12
01.02.2022, 18:16
Gil Bieler und Zamir Loshi
Auf diesen Entscheid hatten viele Wirtinnen und Wirte im Land gewartet. Im Shutdown 2020 sind ihnen 13 Milliarden Franken an Umsatz entgangen – das hat der Verband Gastrosuisse berechnet. Gespannt schauten sie daher auf den Rechtsstreit um eine Entschädigung zwischen einem Wirt aus Baden und der Helvetia-Versicherung.
Carlos Ferreira hatte eine Versicherung für den Pandemie-Fall abgeschlossen und wähnte sich im Recht. Das Aargauer Handelsgericht sah das gleich: Die Versicherung sollte ihm 40'000 Franken bezahlen. Doch das Bundesgericht hat das Urteil am vergangenen Freitag gekippt.
So begründet das Bundesgericht sein Urteil
Der Badener Wirt hatte für sein Lokal eine sogneannte «KMU-Handelsversicherung» abgeschlossen. Diese deckte die beweglichen Güter sowie den Ertragsausfall infolge einer Pandemie. Nicht versichert waren aber Schäden durch Krankheitserreger, für die die Pandemiephasen 5 oder 6 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf nationaler oder internationaler Ebene anwendbar sind.
Im Mai 2021 verurteilte das Handelsgericht des Kantons Aargau die Versicherung zur Zahlung von 40'000 Franken an das Lokal. Begründung: Die Voraussetzungen für die Ausschlussklausel seien nicht erfüllt und diese somit unwirksam.
Ganz anders urteilt das Bundesgericht: Es ist der Ansicht, dass die Ausschlussklausel weder ungewöhnlich noch unklar ist. Der Gastronom hätte sich bewusst sein müssen, dass die schlimmsten Risiken, die als Pandemiephasen 5 und 6 beschrieben werden, von der Schadensdeckung im Falle einer Epidemie nicht gedeckt seien
Ein bemerkenswertes Urteil, findet Frédéric Krauskopf, Professor und Direktor des Instituts für Haftpflicht- und Versicherungsrecht an der Universität Bern. Zum einen, da sich das höchste Gericht im Land zum allerersten Mal mit einer Pandemie-Klausel befassen musste. Zum anderen, weil die strittige Klausel «nicht ganz eindeutig» formuliert sei – und das Bundesgericht trotz einigen Spielraums zugunsten des Versicherers entschieden habe.
Welche Bedeutung dies für andere Fälle hat, erklärt der Experte im Video.
Gastrosuisse rät zu Vergleichslösung
Bei Gastrosuisse nimmt man den Richterspruch aus Lausanne «erstaunt» zur Kenntnis, wie Mediensprecherin Daniela Kimmich erklärt. «Immerhin wissen nun all unsere Mitglieder, die ein Vergleichsangebot annahmen, dass sie auf die richtige Karte gesetzt haben.»
Der Gastroverband habe sich stark dafür eingesetzt, «dass die Versicherungen überhaupt Angebote unterbreiteten und es letztlich vielfach zu guten Vergleichslösungen kam».
Bei der Helvetia-Versicherung bestätigt man auf Anfrage, dass die meisten Unternehmer, die ihren Betrieb während des Lockdowns schliessen mussten, einer Vergleichslösung zugestimmt hätten. Mehr als 95 Prozent der betroffenen Betriebe hätten dieser zugestimmt, erklärt Mediensprecher Jona Grossniklaus. Insgesamt habe aber nur «ein kleiner Prozentsatz der KMU-Kunden» eine sogenannte Geschäftsversicherung KMU, mit der auch der Epidemien-Fall abgedeckt sei, abgeschlossen. «Direkt vom Bundesgerichtsurteil betroffen sind daher nur sehr wenige Kunden.»
Der vor Bundesgericht unterlegene Wirt nimmt den Entscheid enttäuscht auf. «Aber ich muss das Urteil akzeptieren und damit leben», sagte Carlos Ferreira zu «20 Minuten». Nun müsse er schauen, wie es weitergeht – dass er weitermachen wolle, sei keine Frage.