Abstimmungsvorlage Darum schlägt die Frontex-Finanzierung so hohe Wellen

Von Gil Bieler

20.4.2022

Migrant*innen erreichen in einem überfüllten Boot – unter Beobachtung eines Frontex-Schiffes – im Februar 2020 die griechische Insel Lesbos. 
Migrant*innen erreichen in einem überfüllten Boot – unter Beobachtung eines Frontex-Schiffes – im Februar 2020 die griechische Insel Lesbos. 
AP

Die Schweiz soll ihre Beitragszahlungen an die europäische Grenz- und Küstenwache Frontex erhöhen – das passt aber nicht allen. Worum es bei der Abstimmung am 15. Mai geht und welches Lager wie argumentiert. 

Von Gil Bieler

Als Teil des Schengenraums beteiligt sich die Schweiz auch an Frontex, der Küsten- und Grenzwache der EU. Nach den grossen Migrationsbewegungen im Sommer 2015 hat Brüssel beschlossen, Frontex auszubauen.

Auch die Schweiz muss ihren anteilsmässigen Beitrag aufstocken – doch dagegen hat das Migrant Solidarity Network, ein Bündnis linker Aktivist*innen, das Referendum ergriffen. Deshalb stimmen wir am 15. Mai über die Frontex-Finanzierung ab.

Was macht Frontex?

Frontex heisst korrekt «Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache» und wurde 2004 gegründet, die Schweiz arbeitet seit 2011 mit ihr zusammen. Frontex steht an den Aussengrenzen der Schengen-Mitgliedstaaten im Einsatz und soll unkontrollierte Migration verhindern sowie grenzüberschreitende Kriminalität bekämpfen.

In den letzten Jahren geriet die Organisation vermehrt in die Kritik. Es ging dabei beispielsweise um Einsätze im Mittelmeerraum, wo Migrant*innen versuchen, von der Türkei aus nach Griechenland und damit auf EU-Territorium zu gelangen. Streit gibt die Frage, ob dabei alles rechtens zugeht oder ob Migrant*innen mit illegalen «Pushback»-Operationen zur Umkehr gezwungen wurden.

Auch aufgrund solcher Kritik hat Frontex neu 40 Grundrechtsbeauftragte eingesetzt. Sie sollen Vorwürfe die Einhaltung der Grundrechte überwachen und bei allfälligen Verstössen reagieren.

Wie beteiligt sich die Schweiz an Frontex?

Die Schweiz unterstützt Frontex seit 2011 sowohl personell als auch finanziell. Schweizer*innen arbeiten etwa bei der Befragung von Migrant*innen mit, als Dokumentespezialist*innen oder Beobachter*innen. Auf den besonders unstittenen Küstenwachschiffen werden sie aber nicht eingesetzt, betont der Bund. Im Schnitt leisten Schweizer Frontex-Mitarbeitende jährlich rund 1'400 Einsatztage, etwa in Griechenland, Italien, Bulgarien, Spanien oder Kroatien.

Im Durchschnitt entsprach das Schweizer Frontex-Personal bis 2021 jährlich sechs Vollzeitstellen. Bis 2027 könnte dieser Beitrag auf rund 40 Vollzeitstellen erhöht werden, rechnet der Bund vor.

Auch mehr Geld soll die Schweiz überweisen: Die Beitragszahlungen sollen von heute rund 24 Millionen Franken bis zum Jahr 2027 schrittweise auf schätzungsweise 61 Millionen Franken ansteigen.

Zwei Beamte der Grenzschutzagentur Frontex beobachten die Lage an der bulgarisch-türkischen Grenze.
Zwei Beamte der Grenzschutzagentur Frontex beobachten die Lage an der bulgarisch-türkischen Grenze.
Bild: Vassil Donev/epa/dpa

Was sind die Argumente der Gegner*innen?

Für das Nein-Lager ist Frontex «die schlechteste Grenzbehörde der Welt», die Menschenrechte der Migrant*innen würden mit Füssen getreten. Frontex spiele eine zentrale Rolle bei der «Entwürdigung von Flüchtlingen durch Abschiebungen».

Das Nein-Komitee spricht von dokumentierten Fällen illegaler Zurückdrängung von Geflüchteten (Pushbacks), kritisiert Elend vor den Toren Europas und eine Abschottung des Kontinents. Frontex sei «mitverantwortlich für die gewaltvolle Migrationspolitik» an den EU-Aussengrenzen und arbeite mit der libyischen Küstenwache zusammen, die Flüchtlingsboote gewaltsam in das nordafrikanische Land zurückschaffe.

Die Gegner der Vorlage – zu denen linke Organisationen, SP, Grüne, Gewerkschaftsbund und Kirchen gehören – befürchten, dass mit dem zusätzlichen Geld für Frontex die europäischen Aussengrenzen noch stärker abgeschottet und europaweit Sonderflüge für Zwangsausschaffungen beschleunigt würden.

Die Kritik an Frontex wächst – auch in der Schweiz. (Archivbild)
Die Kritik an Frontex wächst – auch in der Schweiz. (Archivbild)
Bild: Keystone

Was sind die Argumente der Befürworter*innen?

Der Bundesrat warnt insbesondere vor den Folgen, die ein Nein an der Urne für die Schweiz haben könnte. Dann würde die Zusammenarbeit mit den Schengen- und Dublin-Staaten automatisch enden – es sei denn, die EU-Staaten kämen der Schweiz entgegen. «Das Ende dieser Zusammenarbeit hätte schwerwiegende Folgen für die Sicherheit, das Asylwesen, den Grenzverkehr, den Tourismus und für die gesamte Wirtschaft», warnt der Bundesrat.

Zum Ja-Komitee gehören FDP, Mitte-Partei, GLP, Economiesuisse und der Schweizer Tourismus-Verband. Sie argumentieren: Frontex sei wichtig für die Kontrolle der Aussengrenzen und die Sicherheit im Schengenraum. Das liege auch im Interesse der Schweiz. Auch die SVP und die Operation Libero werben für ein Ja – die Junge SVP dagegen hofft auf Nein.

Die Befürworter*innen argumentieren auch mit dem Verhältnis zu Brüssel. Seit dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU vor fast einem Jahr stecke die Schweizer Europapolitik in der Sackgasse. Ein Nein zum Frontex-Ausbau würde die Lage weiter verkomplizieren.

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