Corona «Wir sind über den Berg»: Ansteckungszahlen gehen weiter zurück – insgesamt 1'057 Tote

SDA

11.4.2020

«Wir sind über den Berg», sagte Daniel Koch am Samstag vor den Bundesmedien.
«Wir sind über den Berg», sagte Daniel Koch am Samstag vor den Bundesmedien.
Keystone

In der Schweiz gibt es noch immer 500 bis 700 neue Covid-19-Fälle pro Tag. Die Tendenz der Ansteckungen zeigt aber weiterhin nach unten. «Das ist die gute Nachricht», sagte Daniel Koch, Delegierter des Bundesamts für Gesundheit für Covid-19, am Samstag vor den Medien.

«Wir sind über den Berg hinaus, falls es der letzte Berg ist», sagte Koch in Bern. Es sei immer möglich, dass es zu einem Wiederanstieg komme. Im Moment sehe es aber gut aus. Es zeige sich eine Stabilisierung und eine Tendenz in die richtige Richtung.

Es müsse aber allen klar sein, dass es nun durchzuhalten gelte, sagte Koch. Es gebe nach wie vor mehrere Dutzend Todesfälle pro Tag. Die Krankheit sei keinesfalls zu unterschätzen. Bis zum Samstag gab es nach Angaben des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) 24'900 laborbestätigte Ansteckungsfälle, 592 mehr als am Vortag.



Am Freitag hatte das BAG noch einen Anstieg um 734 Fälle gegenüber dem Vortag gemeldet. Die Inzidenzen belaufen sich auf 290 Fälle pro 100'000 Einwohner, das ist eine der höchsten in Europa. Die Hochrechnung basiert auf Informationen von Laboratorien, Ärztinnen und Ärzten.

1000er-Grenze überschritten

Die Zahl der Todesfälle in Zusammenhang mit einer Coronavirus-Erkrankung hat die 1000er-Grenze überschritten: Sie stieg bis am Samstagabend kurz nach 18 Uhr auf 1057, wie eine Analyse der Nachrichtenagentur Keystone-SDA der auf den Internetseiten der Kantone vorliegenden Daten ergab.

Das BAG gab die Zahl der Todesopfer mit 831 an. Es bezieht sich dabei auf die Meldungen, die die Laboratorien sowie Ärztinnen und Ärzte im Rahmen der Meldepflicht bis Samstagmorgen übermittelten. Daher könnten die Daten von den Fallzahlen der Kantone abweichen, schreibt das BAG in seinem neuesten Situationsbericht. Bisher seien über 190'000 Personen auf das Coronavirus getestet worden und bei 15 Prozent sei der Test positiv ausgefallen.

25 Prozent weniger Produktivität

Düstere Prognosen gibt es in der Wirtschaft. Die Entwicklung verschlechterte sich seit Mitte März stärker als zu Beginn der Coronakrise erwartet wurde. Laut Eric Scheidegger, Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), fiel bisher ein Viertel der Produktivität weg.

In verschiedenen Branchen wie dem Gastgewerbe liege der Ausfall bei über 80 Prozent, beim Detailhandel und bei der Transportbranche seien bisher 50 bis 60 Prozent der Produktivität verloren gegangen, sagte Scheidegger vor den Medien. Die Konjunkturprognosen von März seien deshalb «bereits überholt».

Die beiden aktuellen Negativszenarien des Seco gehen nun von einer schwereren Rezession aus als bisher angenommen, bei der auch die Erholung «länger auf sich warten lassen könnte». Resultieren würde ein Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 7,1 oder gar 10,4 Prozent.

Einen zu diesen Szenarien vergleichbaren Konjunktureinbruch hatte es in der Schweiz zum letzten Mal 1974 gegeben: Damals war das Schweizer BIP im Zuge der Erdölkrise um 6,7 Prozent abgesackt.

Zwei Rezessionsarten

Im Seco-Szenario «V-Rezession» – ein BIP-Rückgang mit zügiger Erholung – würde sich die Schweizer Wirtschaft nach dem Minus von 7 Prozent immerhin 2021 wieder mit einem massiven BIP-Anstieg von plus 8 Prozent erholen.

Noch gravierender für das Land wäre das Szenario «L-Rezession», dabei käme es nach einem massiven Einbruch nur noch zu einer schwachen Erholung: Die Wirtschaft würde 2020 in der Grössenordnung von 10 Prozent schrumpfen und 2021 nur gerade wieder 3 Prozent zulegen.

Armee will Einsatz reduzieren

Derweil will die Armee ihren Einsatz ab nächster Woche reduzieren. 5'000 Armeeangehörige sind im Kampf gegen Covid-19 für den Assistenzdienst aufgeboten worden. Nur ein Teil dieser Truppe ist aber tatsächlich im Einsatz. Brigadier Raynald Droz konterte den Vorwurf, dass die Armee mit dem Aufgebot übertrieben hat.

Vor den Medien erinnerte er an die Situation von vor sechs Wochen. Damals sei die Welle von Norditalien her über die Schweiz hereingebrochen. Man habe keine Ahnung gehabt, wie das ablaufen werde. Das Ziel sei es gewesen, das Feuer zu löschen, sagte Droz. «Es scheint, dass das gelungen ist.» Nach Ostern werden Urlaube gewährt, zudem könnten Armeeangehörige laut Droz auch auf Pikett gesetzt werden.

Nach seinen Angaben ist die Armee derzeit in fünfzig Spitälern in der ganzen Schweiz im Einsatz. Schwerpunkte in der Deutschschweiz sind die Kantone Solothurn, Luzern und Basel-Landschaft.

Patienten auch bei Schlechtwetter ausfliegen

Neu kann die Rega selbst bei schlechter Sicht Patientinnen und Patienten aus dem Kanton Tessin über den Gotthard in Deutschschweizer Kantone ausfliegen, wenn Tessiner Spitäler keine Kapazität für sie haben.

Entsprechende Ausnahmebewilligungen für Instrumentenflugverfahren habe das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) Ende März erteilt, teilte die Schweizerische Rettungsflugwacht (Rega) am Samstag mit. Sie betreffen zum Beispiel den An- und Abflug auf und von den Flugplätzen Agno bei Lugano sowie Locarno.

Seit dem 11. März und bis zum Samstag wurden in Rega-Helikoptern insgesamt 74 Covid-19-Patienten transportiert. In den meisten Fällen wurden sie von einem Spital in ein anderes verlegt. Zwei von drei zu verlegende Patienten wurden künstlich beatmet, mit mobilen Geräten.

Auch in Nachbarländern waren Rega-Teams im Einsatz. Zum Beispiel übernahm die Rega den Transport von Covid-19-Patienten aus Frankreich in deutsche Spitäler.

Warten auf Tracing-Apps

Zahlreiche Forscher arbeiten derzeit an einer Contact-Tracing-App. Diese sollen eine wichtige Rolle spielen zum Aufdecken möglicher Übertragungswege des Coronavirus und zum Isolieren potenziell erkrankter Personen. Im Vordergrund steht dabei zunächst das freiwillige Installieren auf dem Smartphone.

Noch ist es in der Schweiz aber nicht so weit. «Wir werden – sobald Apps da – diese anschauen, prüfen und beurteilen», sagte Koch. Wichtig sei, dass diese zur Verhinderung von neuen Fällen brauchbar seien. Momentan sei es noch zu früh für eine Analyse.

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