Dauerthema Warum ausgerechnet der Ski-Streit so hochgekocht ist

Von Gil Bieler

4.12.2020

Skifahrer gehen in Verbier ihrem Hobby nach. 
Skifahrer gehen in Verbier ihrem Hobby nach. 
Bild: Keystone/Jean-Christophe Bott

Von all den Fragen, die sich in der Pandemie auftun, wird ausgerechnet der Wintersport am emotionalsten diskutiert. Wieso eigentlich? Weil das Skifahren Emotionen schürt – und es um noch viel mehr geht.

Man könne den Eindruck gewinnen, als wäre das Skifahren das wichtigste Thema überhaupt, erklärte ein gereizt wirkender Alain Berset am Donnerstag bei seinem Besuch in Baselland. Und tatsächlich: In der Diskussion darüber, ob und wie die Wintersaison 2020/21 trotz Pandemie durchgeführt werden kann, kochen die Emotionen hoch.

Skifahren oder nicht, das ist die dominante Frage dieser Tage. In Bern trat am Mittwoch kurzfristig gar ein überparteiliches Komitee aus Vertretern von SVP, FDP und CVP vor die Medien. Ihr Appell an den Bundesrat: Keine Einschränkungen bei der Skisaison! Wenn, dann sollten die Kantone entscheiden. Seit heute Freitag herrscht endlich Klarheit, die Vorschriften für die Bergbahnen fallen weniger streng aus als erwartet.

Eindrücklicher Schulterschluss der Bürgerlichen

Ob er nun dazu beigetragen hat oder nicht, es war eindrücklicher Schulterschluss der Bürgerlichen. Für die ebenfalls stark gebeutelten Museen und Theater blieb eine solche Solidaritätsbekundung beispielsweise aus. Wie kommt es, dass der Pistensport die Gemüter so viel stärker bewegt? «Wintersport ist Teil der Schweizer DNA», sagt Philipp Bregy, CVP-Nationalrat aus dem Wallis. Der Skisport habe eine lange Tradition und sei viele Jahre die einzige Sportdisziplin gewesen, in der die Schweiz international habe mitreden können. «Eine Vreni Schneider kennt heute noch jeder.»

Ausserdem diene der Wintersport als «Wintererholung» für die nebelgeplagten Menschen im Mittelland, sagt Bregy. Für Bergkantone wie das Wallis freilich sei die wirtschaftliche Bedeutung des Wintertourismus immens: «Für uns im Wallis geht es nicht nur um etwas Freizeitplausch, sondern um das wirtschaftliche Überleben.»



Und: «Nicht zuletzt hat sich um die Wintersaison eine Stellvertreter-Debatte darüber entfacht, was wir noch dürfen und was nicht. Dann gab es noch Aufforderungen aus dem Ausland an die Schweiz, was generell nicht gut ankommt. All das erklärt, wieso die Diskussion so breit geführt wird.»

«Die Leute sehnen sich nach Ferien»

SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer zeigt sich überrascht, wie viel Raum die Diskussion um die Wintersportsaison eingenommen habe. Eine mögliche Erklärung sei, dass die Leute einfach erschöpft seien und sich nach Ferien sehnten, sagt die Zürcher Nationalrätin.

Doch hätten auch die bürgerlichen Parteien das Thema «zu einem Schauspiel gemacht», um sich zu inszenieren. Das findet sie unverantwortlich: «Indem sie so auftraten, haben sie wichtige Schutzmassnahmen infrage gestellt. Das stiftet nur Verwirrung und ist in dieser Situation unnötig», sagt Meyer. Wichtiger wäre es, die Fallzahlen nachhaltig zu senken – womit auch der Wirtschaft am besten gedient wäre.

Eine existenzielle Frage

Allein mit den Sportinteressen der Schweizerinnen und Schweizer lässt sich die Intensität der Debatte wahrlich nicht erklären. Nur rund ein Drittel der Bevölkerung fährt überhaupt Ski. Laut Bundesamt für Sport waren es im letzten Jahr 34,9 Prozent, das sind 0,5 Prozent weniger als noch fünf Jahre zuvor. Skifahrerinnen und -fahrer frönen ihrem Hobby im Schnitt während acht Tagen pro Jahr. Und nur 5 Prozent aller Skifahrenden oder 1,7 Prozent der Bevölkerung sehen im Pistensport ihre Hauptsportart.

Und dennoch: Das Skifahren bewegt eben doch. Das zeigen auch Erfahrungen, die man beim Alpinen Museum der Schweiz in Bern gemacht hat: Vor gut einem Jahr riefen die Betreiber dazu auf, Objekte oder Geschichten für eine Sammlung zum Thema Skifahren einzureichen. Und der Fundus kann sich sehen lassen.

«Das Skifahren löst starke Emotionen aus», sagt Michelle Huwiler, Leiterin der Sammlung. «Kalte Zehen, Flirten auf dem Skilift, eine heisse Schoggi in der Beiz – diese Sinneseindrücke lösen sofort Erinnerungen aus.» Oft gehe es dabei aber auch um Skinostalgie, so Huwiler. «Die Rückmeldungen zeigen, dass das Skifahren viele Schweizerinnen und Schweizer auch dann noch bewegt, wenn sie längst nicht mehr selber auf die Piste gehen.»

Von gesellschaftlicher Bedeutung

Denn die schönen Erinnerungen zum Beispiel ans Skilager mit den Klassenkameraden, die bleiben. Auch gehörten in vielen Familien die gemeinsamen Skiferien einfach dazu. «Man verbringt eine schöne Zeit zusammen, kann dem Alltag und auch dem Nebel entfliehen», sagt Huwiler. Die gesellschaftliche Bedeutung des Skisports zeige sich allein schon daran, dass es in der Schule noch immer Sportferien gebe.

Die Skilager heissen mittlerweile Schneesportlager – und werden weiterhin gepflegt: Nahm die Zahl der durchgeführten «Jugend & Sport»-Lager lange ab, hat vor einigen Jahren ein Aufwärtstrend eingesetzt. Seit 2017 befindet man sich wieder auf dem Level von 2005, wie es beim Bundesamt für Sport auf Anfrage heisst. Will heissen: 2018 waren es schweizweit 2368 Lager mit insgesamt über 107'000 Kindern und Jugendlichen. VBS-Chefin und Sportministerin Viola Amherd hatte erst im Dezember vergangenen Jahres eine Förderung der Sportlager beschlossen, mit grosszügigeren Bundesbeiträgen.

Das Alpine Museum ist, wie alle Museen im Kanton Bern, derzeit geschlossen – so hat es die kantonale Regierung erlassen. Die Ausstellungsstücke zur Ski-Sammlung gibt es vorerst nur online zu sehen. Würden sich die Betreiber auch mehr Unterstützung der Politik wünschen? «Wir sind schon enttäuscht», erklärt Huwiler. Restaurants und Geschäfte seien in Bern etwa nach wie vor offen, wenn auch mit verschärften Schutzbestimmungen. «Aber die Kulturbranche hat keine so schlagkräftige Lobby.»

Bedauerlich sei, dass auch das Schutzkonzept, das man im Alpinen Museum ausgearbeitet habe, die Schliessung nicht verhindern konnte. «Dabei kann ich mir nicht vorstellen, dass das Ansteckungsrisiko im Museum grösser ist als in einer Skigondel.» Auch SP-Co-Präsidentin Meyer sagt: «In dieser Krise hat sich gezeigt, wer eine starke Lobby hat und wer nicht.»

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