Lukaschenko in RageBelarus und EU eskalieren ihren Streit
dpa
26.5.2021 - 19:18
Die EU hat nach der erzwungenen Landung eines Passagierflugzeugs mit mehr als 100 Menschen an Bord schon erste Sanktionen gegen Minsk verhängt. Es drohen weitere. Nun hat sich in Belarus Machthaber Lukaschenko zu Wort gemeldet.
26.05.2021, 19:18
26.05.2021, 20:47
dpa
Nach der Zwangslandung eines Passagierflugzeugs in Minsk droht Belarus seinerseits mit Sanktionen gegen die EU. «Wir werden nicht schweigen und niederknien», sagte Machthaber Alexander Lukaschenko am Mittwoch im Parlament in der Hauptstadt Minsk, wie das Staatsfernsehen berichtete. Der 66-Jährige liess aber offen, welche Strafmassnahmen genau kommen sollen. Die EU will Diplomaten zufolge mit ihren geplanten neuen Strafmassnahmen unter anderem die für die Devisenbeschaffung von Belarus wichtige Kali-Industrie treffen. Die Opposition forderte einmal mehr ein hartes Durchgreifen der westlichen Länder gegen die autoritäre Führung in Minsk.
Lukaschenko äusserte sich erstmals nach der erzwungenen Landung am Sonntag und verteidigte zugleich das Vorgehen. «Ich habe rechtmässig gehandelt, indem ich die Menschen geschützt habe – nach allen internationalen Regeln», sagte er. Die Behörden hatten die Landung am Sonntag genutzt, um den Regierungskritiker Roman Protassewitsch am Flughafen verhaften zu lassen. Den Blogger bezeichnete Lukaschenko als «Terroristen». Der 26-Jährige und seine Helfer hätten einen «blutigen Aufstand» in Belarus geplant, behauptete der Machthaber.
«Dieses Dreckschwein hat im Südosten der Ukraine Menschen getötet», behauptet Lukaschenko im Beisein des KGB. Der Geheimdienst werde dazu bald Details bringen. Auch Russland sei im Bilde. Zwar hat Protassewitsch in der Ukraine als Reporter gearbeitet. Dass er als Söldner am Krieg in der Ostukraine teilgenommen haben soll, ist aber nicht erwiesen. Doch wiegen diese Vorwürfe besonders schwer, weil dem Journalisten eine lebensgefährliche Anklage drohen könnte. Auf schwere Verbrechen steht in Belarus die Todesstrafe, die das Land als letztes in Europa noch vollstreckt.
Leerer Himmel über Belarus
Die Behörden der autoritär regierten Republik hatten das Flugzeug der irischen Airline Ryanair auf dem Weg von Griechenland nach Litauen mit einem Kampfjet vom Typ MiG-29 zur Landung gebracht – angeblich wegen einer Bombendrohung. Die stellte sich später als Fehlalarm heraus. Mehr als 100 Menschen waren an Bord, darunter Protassewitsch und seine Freundin Sofia Sapega. Beide wurden verhaftet.
Die EU hat wegen des Vorgehens bereits neue Sanktionen gegen den Machtapparat in Belarus auf den Weg gebracht. Dazu gehört auch ein Flugverbot für Fluggesellschaften der Ex-Sowjetrepublik. Lukaschenko kritisierte das: «Sie haben mehrere rote Linien überschritten.» Regierungschef Roman Golowtschenko zufolge wird Belarus handeln. «Diese Massnahmen werden für die Länder, die eine offen feindselige Haltung eingenommen haben, ziemlich schmerzhaft sein.» Dazu zählten Beschränkungen beim Transit, sagte er, ohne Details zu nennen.
Die EU will, dass ihre geplanten Sanktionen gegen ausgewählte Wirtschaftszweige im Idealfall noch vor dem Sommer in Kraft treten. Unterschiedliche Interessen der EU-Staaten könnten allerdings auch noch zu Verzögerungen führen. So ist noch unklar, ob auch die Mineralölindustrie ins Visier genommen wird. Offen ist Diplomaten zufolge auch, ab wann der Luftraum der EU für belarussische Fluggesellschaften wie vorgesehen komplett gesperrt wird. Die staatliche Fluglinie Belavia flog am Mittwoch etwa nach Frankfurt am Main und Rom, wie von einer Anzeigetafel des Flughafens in Minsk hervorging.
Freilassung des Bloggers gefordert
Das Thema erfordere noch Diskussionen unter den EU-Staaten, hiess es. Einzelne Mitgliedstaaten hätten aber bereits ihre nationalen Luftverkehrsabkommen mit Belarus annulliert. Mehrere Airlines wollen zudem nicht mehr über die Ex-Sowjetrepublik fliegen.
Die Nato-Staaten stellten sich hinter die auf den Weg gebrachten neuen Sanktionen gegen das Land. «Die Nato-Verbündeten fordern Belarus auf, die grundlegenden Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten und die regelbasierte internationale Ordnung zu respektieren», hiess es in einer Erklärung des Nordatlantikrats. Er besteht aus Vertretern aller 30 Mitgliedstaaten und ist das wichtigste politische Entscheidungsgremium des westlichen Militärbündnisses.
Die Inhaftierung von Protassewitsch verurteilte der Nordatlantikrat als Affront gegen die Grundsätze der Pressefreiheit und das Recht auf politische Meinungsverschiedenheiten. Der Blogger und seine Partnerin müssten umgehend und bedingungslos freigelassen werden.
Kein Zweifel aus Moskau
Kreml und Aussenministerium in Moskau springen Lukaschenko vor der Visite schon einmal am Mittwoch zur Seite. Kremlsprecher Dmitri Peskow meint, dass Lukaschenkos Äusserungen zu der gelandeten Ryanair-Maschine schlüssig seien. Er spricht sich wie Minsk für eine internationale Untersuchung aus. Und das Aussenministerium weist angesichts von Vorwürfen auch deutscher Politiker zurück, dass Moskau etwas mit dem Vorfall zu tun haben könnte.
Mehrere Länder wollten das Thema am Mittwoch im UN-Sicherheitsrat in New York ansprechen, wie aus diplomatischen Kreisen hervorging. Irland, Estland und Frankreich hätten sich dafür ausgesprochen, den Konflikt am Rande der offiziell auf dem Programm stehenden Sitzungen zu Syrien und Mali hinter verschlossenen Türen zu thematisieren, hiess es. Eine gemeinsame Erklärung des Gremiums wurde aber nicht erwartet.
Die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die gegen Lukaschenko bei der Präsidentenwahl im vergangenen August angetreten war und nun im Exil lebt, rief die EU zur Verabschiedung eines neuen Sanktionspakets auf. «Ich fordere das Europäische Parlament auf, dafür zu sorgen, dass die Reaktion der internationalen Gemeinschaft nicht auf den Vorfall mit dem Ryanair-Flug beschränkt wird», schrieb sie in ihrem Nachrichtenkanal bei Telegram.
Die EU will weitere Strafmassnahmen gegen Personen, Unternehmen und Organisationen beschliessen, die eine direkte Mitverantwortung für die Zwangslandung der Ryanair-Maschine und die Unterdrückung der Opposition in dem Land haben. Geplant seien mehrere Dutzend neue Einträge in die EU-Sanktionsliste, hiess es am Mittwoch. Der notwendige Beschluss dafür könne beim Aussenministertreffen am 21. Juni getroffen werden. Die EU hatte bereits in der Vergangenheit Strafmassnahmen gegen Minsk verhängt.