Ermittler wundern sich Wie kann eine hoch radioaktive Kapsel einfach vom Laster fallen?

tgab

2.2.2023

Radioaktive Mini-Kapsel in Australien wiedergefunden

Radioaktive Mini-Kapsel in Australien wiedergefunden

Die nur Millimeter grosse radioaktive Kapsel des Bergbauriesen Rio Tinto wurde laut Behörden an einer 1.400 Kilometer langen Autobahnstrecke im westaustralischen Outback entdeckt. Behörden und Minenbetreiber zeigten sich erleichtert.

02.02.2023

Wie kann radioaktives Gefahrengut beim Transport einfach verloren gehen, fragen sich Ermittler in Australien. Die beteiligten Unternehmen beteuern, nach Vorschrift gehandelt zu haben.

tgab

2.2.2023

Auf einer Strecke von 1400 Kilometern hätte die Aktion zur aussichtslosen Suche im Heuhaufen werden können. Doch zum Glück wurde die bei einem Transport verloren gegangene radioaktive Mini-Kapsel gestern nach sechs Tagen Suche im westaustralischen Outback gefunden – sie lag zwei Meter neben der Fahrbahn.

Die Australier können aufatmen – die Gesundheitsbehörden hatten die Bevölkerung nach Bekanntwerden des Verlustes gewarnt, die nur münzgrosse Kapsel enthalte hoch radioaktives Cäsium-137. Der Aufenthalt im Radius von einem Meter habe einen Effekt auf den menschlichen Körper wie «zehn Röntgenbehandlungen pro Stunde».

Doch nun stellt sich die Frage, wie der gefährliche Winzling aus seiner strahlensicheren Verpackung entkommen und vom fahrenden Laster fallen konnte. 

Lauren Steen, Geschäftsführerin von Radiation Services WA, einem Beratungsunternehmen für Strahlenmanagementpläne, berichtet dem US-amerikanischen Fernsehsender CNN, dass Brancheninsider darüber genauso verblüfft seien wie die Öffentlichkeit.

Wahrscheinlichkeit eins zu einer Million

«Wenn die Kapsel in einer zertifizierten Verpackung verpackt und gemäss allen geltenden Regeln transportiert worden wäre, dann ist dies ein äusserst unwahrscheinliches Ereignis – eins zu einer Million», sagt Steen.

Ermittler untersuchen den Fall und versuchen den Hergang des Transports nachzuvollziehen – vom 12. Januar, als die Kapsel für den Transport verpackt wurde, bis zum 1. Februar, als ein Bergungsteam sie am Strassenrand fand.

Die Kapsel ist nur wenige Millimeter gross, aufgrund ihrer Strahlung aber dennoch gefährlich.
Die Kapsel ist nur wenige Millimeter gross, aufgrund ihrer Strahlung aber dennoch gefährlich.
Department of Fire and Emergency Services WA via AAP/dpa

Die nur 8 x 6 Millimeter grosse Kapsel wurde in einem Dichtemessgerät in der Gudai-Darri-Eisenerzmine des Bergbaukonzerns Rio Tinto verwendet.

Das Unternehmen erklärte am Montag, das Messgerät sei für den Transport zu Reparaturzwecken im 1400 Kilometer entfernten Perth verpackt worden. Per Geigerzähler sei demnach das Paket kontrolliert worden, bevor es von einem Drittunternehmen transportiert worden sei.

Verpackungsfirma weist Verantwortung von sich

Der Lastwagen traf am 16. Januar in Perth ein, vier Tage nach seiner Abfahrt von der Gudai-Darri-Eisenerzmine. Aber erst am 25. Januar stellten Arbeiter des Unternehmens SGS Australia beim Auspacken des Messgeräts fest, dass die Kapsel fehlte.

In einer Erklärung bestätigt SGS Australia, dass das Unternehmen von Rio Tinto beauftragt worden sei, das Gerät zu verpacken. Dies habe aber nichts mit dem Transport zu tun, denn der sei von einem «Spezialtransport» durchgeführt worden.

«Wir haben die vertraglich vereinbarte Dienstleistung zum Verpacken der Ausrüstung am Minenstandort und zum Auspacken nach dem Transport mit qualifiziertem Personal für unseren Kunden in Übereinstimmung mit allen Standards und Vorschriften erbracht», hiess es.

Die radioaktive Kapsel lag nahe der Bergbaustadt Newman wenige Meter neben der Fahrbahn.
Die radioaktive Kapsel lag nahe der Bergbaustadt Newman wenige Meter neben der Fahrbahn.
Handout Department of Fire and Emergency Services

Und weiter: «Der von unserem Kunden organisierte und an einen spezialisierten Spediteur delegierte Transport des Pakets gehörte nicht zum Leistungsumfang von SGS. Unser Personal bemerkte den Verlust der Kapsel in unserem Labor in Perth beim Öffnen der Verpackung und meldete diesen Vorfall sofort.»

Der Name des mit dem Transport des Pakets beauftragten Unternehmens wurde nicht veröffentlicht.

Ein Tageskurs genügt für Lizenz

In Australien hat jeder Bundesstaat seine eigenen Gesetze zum Umgang mit radioaktiven Stoffen und Verhaltenskodizes, die den Richtlinien der Australian Radiation and Nuclear Safety Agency (ARPANSA) entsprechen – einer Regierungsbehörde, die eng mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammenarbeitet.

In Westaustralien gelten die Regeln des Radiation Safety Act von 1975. Demnach dürfen nur speziell ausgebildete und lizenzierte Unternehmen radioaktive Substanzen verpacken. Für Transportfirmen gelten jedoch andere Regeln. «Jedes Transportunternehmen kann radioaktives Material befördern, sofern es die Lizenz dazu hat», sagt Steen der CNN.

Gemäss dem Gesetz kann diese Lizenz durch die Teilnahme an einem eintägigen Kurs und das Bestehen einer von der Aufsichtsbehörde zertifizierten und genehmigten Prüfung erworben werden.

Keine Vorschriften für Transport-Fahrzeuge

Der Lizenznehmer muss die Aufsicht über einen der Aufsichtsbehörde vorgelegten Transportplan haben, muss aber die Fahrt nicht persönlich beaufsichtigen. Und: Es gibt keine Vorschriften über die Art der für den Transport verwendeten Fahrzeuge.

Die Diskussion über die Notwendigkeit härterer Strafen hat bereits begonnen – in Westaustralien wird der falsche Umgang mit radioaktiven Substanzen mit einer Geldstrafe von nur 1000 australischen Dollar (645 Schweizer Franken) geahndet – eine Zahl, die der australische Premierminister Anthony Albanese am Mittwoch gegenüber Reportern als «lächerlich niedrig» bezeichnete.