Preisanstieg Wie die Inflation den Europäern zusetzt

AP / tchs

22.5.2022

Der Preisanstieg macht vielen Europäern zu schaffen. (Archiv)
Der Preisanstieg macht vielen Europäern zu schaffen. (Archiv)
Bild: Frank Rumpenhorst/dpa

Ruhende Baustellen und im Einkaufskorb nur noch das Nötigste: Steigende Preise, weiter angetrieben durch den Ukraine-Krieg, machen Sorgen quer durch Europa.

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22.5.2022

Ein Kreisverkehr soll her. Damit, so hoffen die Verkehrsbehörden, kommt es künftig zu weniger Unfällen an einer Kreuzung bei Mailand, die für ihre Blechschäden schon berüchtigt ist. Doch die Arbeit liegt brach, weil Asphalt, gusseiserne Rohre und Beton zu teuer geworden sind. Bauunternehmer Edoardo Ronzoni ist verzweifelt.

«Wir fürchten, dass wir dieses Jahr gar nicht mehr arbeiten können», sagt Ronzoni. «Wir schliessen all unsere Baustellen.» Schon im März legte das Unternehmen die Arbeiten am erst halb fertigen Kreisverkehr auf Eis, während der Krieg in der Ukraine den Anstieg der Preise weiter antrieb. Drei Monate habe sein Betrieb bereits verloren, eigentlich die am stärksten ausgelasteten des Jahres, beklagt Ronzoni. Und das Schlimmste stehe wohl noch bevor.

Der Krieg hat die Ressourcen weiter verknappt und die Inflation beschleunigt. Preise für Energie, Lebensmittel, Baumaterial schnellen so stark nach oben wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Preisschock ist an Zapfsäulen, auf Stromrechnungen und im Supermarkt ebenso zu spüren wie auf den Baustellen. Öffentliche Bauprojekte in Italien kommen so schon zum Stillstand.

Die steigenden Öl- und Gaspreise sind die grossen Antreiber der Inflation in Europa, das für die Stromerzeugung und die Versorgung der Industrie stark auf russische Energie gesetzt hat. Es wird erwartet, dass die Inflation in der EU in diesem Jahr auf fast sieben Prozent klettert.

Hohe Benzinkosten bedrohen auch den Gütertransport auf der Strasse. Und wer von Landwirtschaft und Fischfang lebt, sieht sich gezwungen, astronomische Preise für seine Ware zu verlangen. Sogar Selbstversorger wie Alina Czernik müssen rechnen. Die Verkäuferin aus Warschau hält sich Hühner, um keine Eier kaufen zu müssen. Doch die Kosten für das Futter seien schon um 150 Prozent gestiegen, sagt sie.

Länder in der Nähe zur Ukraine am stärksten betroffen

Ein Gefühl der Aussichtslosigkeit macht sich vor allem bei jenen breit, die ohnehin wenig verdienen. «Ich war immer ein positiv eingestellter Mensch, aber im Moment sehe ich kein Licht am Ende des Tunnels», sagt die Tschechin Eva Fuchsova, die mit ihren drei Kindern in dem Städtchen Mesto Touskov nahe Pilsen lebt. «Ich muss meinen Gürtel enger schnallen», berichtet die Mutter. «Ich kaufe Obst und Gemüse, damit meinen Kindern nichts fehlt, aber ich selbst rühre es nicht an.»

Besonders stark ist die Inflation in mittel- und osteuropäischen Ländern zu spüren, die dem Kriegsgebiet nahe sind. Im April verzeichnete die Tschechei einen Preisanstieg von 14,2 Prozent, Polen meldete 12,3 Prozent. Aber auch Griechenland kam auf 10,8 Prozent und die Türkei, deren Währung im vergangenen Jahr 44 Prozent ihres Werts gegenüber dem Dollar eingebüsst hat, sogar auf 61 Prozent.

Gesucht wird die billigste Alternative

Von Warschau bis Istanbul verzeichnen Geschäfte Einbrüche bei den Käufen. Die Verbraucher hielten sich zurück, suchten nach der billigsten Alternative, berichten Verkäuferinnen und Verkäufer. Bei weniger Dringendem wie Kleidung werde der Kauf verschoben, auf Annehmlichkeiten wie Blumen verzichtet.

Seine Verkäufe seien um 20 Prozent zurückgegangen, sagt der Metzger Bayram Koza in Istanbul. «Selbst im wohlhabenden Bezirk Cankyaya kaufen die Menschen nicht mehr nach ihrem Bedarf, sondern nach dem, was sie sich leisten können», ist seine leidige Erfahrung. «Diejenigen, die zwei Kilo Rinderhackfleisch kauften, nehmen jetzt höchstens ein Kilo.»

Paris Parasos, Inhaber eines Fischrestaurants auf der griechischen Insel Rhodos, geht inzwischen in den frühen Morgenstunden selbst auf Fischfang, um die Kosten zu drücken. Dennoch müsse er die Preise auf der Speisekarte erhöhen, sagt er, weil das Speiseöl und die Energiekosten so viel teurer geworden seien.

In Polen klagen Konsumenten über um ein Drittel gestiegene Brotpreise. Selbst aus Belgien kommen Meldungen, dass Bäcker sich nicht mehr alle Mitarbeiter leisten können. «Ich kenne Bäcker, die 13 oder 14 Stunden am Tag arbeiten, um durchzukommen und ihre Schulden bedienen zu können», sagt Albert Denoncin, der Präsident des französischsprachigen Bäckerverbands, dem Radiosender La Première. «Eine Zeit lang können wir durchhalten», erklärt er, «aber wenn ich von der Weltbankführung höre, dass es so bis 2024 weitergehen soll, schaffen wir es nicht.»