Polizei schaut weg Gewalt in Hongkong – wer steuert die maskierten Schläger?

AP, SDA, dpa, phi

22.7.2019

Die Proteste in Hongkong eskalieren: Schlägertrupps mischen mit brutalen Attacken die Metropole auf, die seit Sonntag unter Schock steht – nicht einmal Schwangere kommen davon.

Nachdem es in Hongkong erst schwere Zusammenstösse zwischen der Polizei und Demonstranten gab, hat die Gewalt nun eine neue Stufe erreicht: Unbekannte griffen am Sonntag in einer U-Bahnstation Protestierende und Pendler an.

Im Internet veröffentlichte Videoaufnahmen zeigen, wie weiss gekleidete, maskierte Angreifer mit Regenschirmen in einer U-Bahnstation und einem Waggon auf schwarz gekleidete Aktivisten mit gelben Helmen einschlagen. Wütende Passagiere beklagen laut «Guardian», dass die Polizei bloss zugeschaut habe, anstatt einzugreifen. Selbst eine Schwangere wurde offenbar nicht verschont.

Schläger in weissen Hemden attackieren Demonstranten in einer Hongkonger U-Bahn-Station.
Schläger in weissen Hemden attackieren Demonstranten in einer Hongkonger U-Bahn-Station.
Screenshot: YouTube

Honkong gilt als eines der Zentren der chinesischen Mafia: Die maskierten und weiss gekleideten Schläger sollen Mitglieder jener Triaden sein. Dass diese von Peking angeheuert worden sein könnten, um die Protestbewegung mundtot zu machen, darüber kann nur spekuliert werden. 

Hunderttausende haben am Sonntag erneut gegen die Regierung und für Ermittlungen gegen das Vorgehen der Polizei bei vorangegangenen Protesten demonstriert. Die Demonstranten sind zum grossen Teil schwarz gekleidet und tragen gelbe Helme. Am Vortag hatte es eine Solidaritätskundgebung für die Polizei gegeben, bei der Teilnehmer weisse Kleidung trugen.

Beim Protestmarsch am Sonntag ist es auch wieder zu Zusammenstössen zwischen der Polizei und Demonstranten gekommen: Beamte in voller Montur setzen Tränengas ein, um die Menge zu zerstreuen. Viele der Protestierenden haben sich für die Konfrontation ebenfalls mit Atemschutzmasken, selbst gemachten Schilden und Helmen gerüstet.

Polizei schützt Chinas Ehre

Rund 430'000 Menschen haben nach Angaben der Organisatoren zuvor friedlich für demokratische Rechte demonstriert. Die Polizei gibt die Teilnehmerzahl mit 138'000 an. Nach Ende der Kundgebung bewerfen Menschen das Verbindungsbüro der regierenden Kommunistischen Partei Chinas mit Eiern, besprühen die Überwachungskameras und beschmieren das chinesische Wappen mit schwarzer Tinte. Einige errichten sogar Strassensperren.

Als die Menge sich weigert, auseinanderzugehen, setzt die Polizei das Tränengas ein und rückt vor. Über Verletzte und Festnahmen ist zunächst nichts bekannt geworden. Mehrere Demonstranten müssen nach Kontakt mit dem Tränengas von Helfern versorgt werden. Über offizielle Konten teilt die Polizei später auf Social Media mit, Demonstranten hätten Backsteine und Molotowcocktails auf Beamte geworfen und die zentrale Polizeiwache attackiert.

Pläne für ein umstrittenes Auslieferungsgesetz, durch das Bewohner von Hongkong auf dem chinesischen Festland vor Gericht hätten gestellt werden können, haben im Juni massive Proteste losgetreten. Die Folge: Carrie Lam, Regierungschefin von Hongkong, hat den Gesetzentwurf auf Eis gelegt, doch den Aktivisten geht es mittlerweile noch um mehr. Sie fordern Lams Rücktritt und die Absicherung der demokratischen Freiheiten, die Hongkong garantiert worden waren, als es 1997 an China zurückkam.

Die fünf Forderungen der Hongkonger

Bei dem Protestzug proklamieren die Menschen fünf Forderungen aus einem Manifest, das bei der Erstürmung des Hongkonger Parlaments am 1. Juli erstmals öffentlich wurde: Allen Bewohnern Hongkongs soll ein direktes Wahlrecht gewährt, Auflösung des lokalen Legislativrates, keinerlei Strafverfolgung von Demonstranten und keine Verklärung von Zusammenstössen zwischen Protestlern und Polizi als «Unruhen».

Chinesische Medien hatten die Proteste in der Sonderverwaltungszone lange ignoriert, doch nun macht sich Empörung breit. Am Sonntag schrieb das kommunistische Parteiorgan «Renmin Ribao», «radikale Extremisten», hätten am 1. Juli das Hongkonger Parlament gestürmt und die Rechtsstaatlichkeit mit Füssen getreten. Die «Global Times» mahnt: «Sie müssen lernen, Verantwortung zu übernehmen und die Strafe bekommen, die sie verdienen.»

Das chinesische Verbindungsbüro verurteilt die Proteste als Angriff auf die Autorität der Pekinger Zentralregierung und ihres Grundsatzes «ein Land, zwei Systeme», nach dem Sonderverwaltungszonen autonom regiert werden und mehr Freiheiten haben. Die Hongkonger Regierung nennt die jüngetsen Versammlungen einen Verstoss gegen Recht und Ordnung, wie der Hongkonger Rundfunk RTHK berichtete.

Angeblich Demonstranten-Waffenlager ausgehoben

Im Vorfeld der Aktionen am Sonntag hatte die Polizei ein Waffenlager in einem Lagerraum einer Unabhängigkeitsgruppe gefunden. Die Polizei stellte zwei Kilogramm Sprengstoff, Brandsätze, Säure, Messer und Metallstangen sicher. Ausser einem 27-Jährigen nahm die Polizei am Samstagabend zwei 25-Jährige fest. Die Ermittler untersuchten nach eigenen Angaben, ob ein Zusammenhang mit den Protestaktionen besteht.

Der Lagerraum war von der Hongkonger National Front gemietet worden, die für die Unabhängigkeit des chinesischen Territoriums eintritt. Die Gruppe beteuerte aber nach Medienberichten, nichts von dem Sprengstoff gewusst zu haben. Es seien dort nur Lautsprecheranlagen und Informationsmaterial gelagert worden. Der festgenommene 27-Jährige gehöre der Organisation an.

Den Tipp bekamen die Behörden von einem Geheimdienst, wie die «South China Morning Post» meldet. Bei dem Sprengstoff handelte es sich demnach um hochexplosives TATP (Triacetontriperoxid), das auch schon von Islamisten bei Anschlägen in Europa verwendet wurde. «Ich denke, es ist ohne Zweifel die grösste Menge, die wir jemals in Hongkong gefunden haben», wird Superintendent Alick McWhirter zitiert.

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