Arktis Was Grönlands Machtwechsel mit der Weltpolitik zu tun hat

Von Steffen Trumpf, Christiane Jacke, Christian Thiele und Jörn Petring

17.4.2021 - 16:01

Menschen stehen vor der Inussivik Arena in Nuuk an, um ihre Stimme für die Parlamentswahl abzugeben. Grönland und seine Politik scheinen auf den ersten Blick weit weg zu sein.
Menschen stehen vor der Inussivik Arena in Nuuk an, um ihre Stimme für die Parlamentswahl abzugeben. Grönland und seine Politik scheinen auf den ersten Blick weit weg zu sein.
Emil Helms/Ritzau Scanpix/AP/dpa

Grönland und seine Politik scheinen auf den ersten Blick weit weg zu sein. Die Wahl einer linken Partei um einen erst 34 Jahre alten Vorsitzenden hat jedoch Auswirkungen, die bis nach Peking reichen.

17.4.2021 - 16:01

Die einen schicken Atom-U-Boote unters Eis, die anderen träumen von einer «polaren Seidenstrasse» – und ein Ex-US-Präsident wollte bekanntlich gar Grönland kaufen. Die Weltmächte USA, Russland und China strecken seit langem ihre mächtigen Arme in Richtung Arktis aus. Es geht um Einfluss, um Schifffahrtsrouten, die wegen des Klimawandels in der Arktis immer passierbarer werden, und um wertvolle Rohstoffe – und gerade bei diesen Rohstoffen kommt nun die neue Regierung in Grönland ins Spiel.

Dass die grösste Insel der Erde gerade einen Regierungswechsel erlebt, klingt zunächst einmal wie eine Nachricht aus einem weit entfernten Universum – hat aber auch Folgen für die Grossmächte der Erde und für den Bau von Elektrogeräten, die fast jeder in seiner Tasche hat. Nicht umsonst weist man im Königreich Dänemark, zu dem Grönland offiziell zählt, auf die Tragweite der Parlamentswahl hin, aus der nun eine neue Koalition hervorgeht. «Die Wahl ist historisch, manche werden revolutionär sagen», schrieb die Zeitung dänische «Politiken».



Die langjährige Dominanz der sozialdemokratischen Partei Siumut ist durchbrochen. Stattdessen regiert künftig die am weitesten links stehende grönländische Partei Inuit Ataqatigiit (IA), angeführt von dem erst 34 Jahre alten Múte B. Egede und im Bündnis mit dem Juniorpartner Naleraq. Egede und Naleraq-Chef Hans Enoksen unterzeichneten dazu am späten Freitag einen Koalitionsvertrag.

Geld oder Umweltschäden?

Was das mit internationaler Politik und letztlich mit Elektrogeräten zu tun hat? Ein australisches Unternehmen plant seit Jahren, in einem landschaftlichen Gebiet nahe Narsaq in Südgrönland neben radioaktivem Uran vor allem Seltene Erden zu gewinnen, die in elektronischen Geräten wie Laptops, Smartphones und Kameras, aber auch für Windräder und in E-Autos gebraucht werden. Laut Unternehmen handelt es sich um eines der grössten Vorkommen solcher Seltenen Erden weltweit. Das kann Grönland Arbeitsplätze und jährliche Einnahmen von umgerechnet knapp 200 Millionen Euro bringen, aber auch negative Folgen für Umwelt und Gesundheit. Eine Mehrheit der Grönländer ist laut Umfragen gegen das Projekt, IA und Naleraq ebenso – und das betrifft China, wo eine Rohstoffgesellschaft Anteile an dem australischen Unternehmen hält.

Gegner des Projektes befürchten nicht nur Schäden für Mensch und Natur, sondern auch, dass sich Grönland abhängig von Peking mache. Dabei ist Unabhängigkeit für die Grönländer seit langem ein zentrales Thema.

China will mitmischen

«Wenn grönländische Politiker über Unabhängigkeit sprechen, geht es auch oder fast immer darum, Abhängigkeit aufzuteilen», sagt der Forscher Ulrik Pram Gad vom Dänischen Institut für Internationale Studien in Kopenhagen. «Dänemark nimmt viel zu viel Platz am Horizont ein, wenn man von Grönland aus auf die Welt blickt.» Dass die Insel vor einem Jahr US-Investitionen in Höhe von 12,1 Millionen Dollar erhielt, wurde gern gesehen – aber eben auch zunehmende Geschäfte mit Peking. Pram Gad sagt, die Wahl bedeute, dass das Projekt bei Narsaq nicht weitergehen werde. «Aber Grönland ist weiter nicht nur offen für Geschäfte, sondern vor allem auch für andere Minenprojekte.»

China ist zwar kein Arktis-Anrainerstaat, versucht aber trotzdem, seinen Einfluss in der Region um den Nordpol zu stärken. In einem Positionspapier bezeichnete sich die Volksrepublik vor drei Jahren erstmals selbst als einen «arktisnahen Staat». Peking rief zudem ein auf den Namen «polare Seidenstrasse» getauftes Investitionsprogramm ins Leben, mit dem es seinen Einfluss in der Region ausweiten will.

2020 schickte China bereits seinen zweiten Eisbrecher in die Region. Zudem kündigte es an, bis 2022 einen Satelliten starten zu wollen, um Schifffahrtsrouten überwachen und Veränderungen im Meereis verfolgen zu können. Das Interesse stiess jedoch bei mehreren Arktis-Staaten immer wieder auf Ablehnung: Finnland etwa blockierte das Vorhaben Chinas, einen Flughafen in der Region zu kaufen. Kanada lehnte den Kauf einer Goldmine durch ein chinesisches Unternehmen ab.

Geopolitik in der Arktis

Russland übernimmt im Mai den Vorsitz im Arktischen Rat, einem Forum zur Kooperation in der Region. Verteidigungsminister Sergej Schoigu will diese Zeit nutzen, um «die Rolle unseres Landes als Koordinator und Initiator vieler Programme in der Region zu stärken». Schon jetzt lässt Moskau einmal mehr die Muskeln spielen: Kremlchef Wladimir Putin liess sich jüngst von einem Manöver der Marine unterrichten – kurz nachdem drei Atom-U-Boote zeitgleich unter meterdickem Eis aufgestiegen waren. Die Botschaft ist eindeutig: Russland lässt sich die Arktis nicht streitig machen. Das Riesenreich baut atomgetriebene Eisbrecher und erhebt Anspruch auf 1,2 Millionen Quadratkilometer – insbesondere auf die dort lagernden Rohstoffe wie Öl und Gas.

Die USA beobachten das Treiben Russlands und Chinas im hohen Norden schon lange mit Argwohn. Auch für Washington ist die Arktis nämlich von grosser strategischer Bedeutung. Der Titel eines Strategiepapiers der US-Armee spricht Bände: «Wiedererlangen der Vorherrschaft in der Arktis». Das Pentagon erklärte Anfang April, man beobachte Russlands militärische Aktivitäten in der Arktis sehr genau. Die Region sei entscheidend für die Verteidigung und «potenzieller strategischer Korridor» zwischen dem Indo-Pazifik, Europa und den USA.

US-Präsident Joe Biden hat sich bislang noch nicht näher zu seiner Arktis-Strategie geäussert. In sicherheitspolitischer Hinsicht dürfte er aber dort anknüpfen, wo Vorgänger Donald Trump aufgehört hat: mit dem Bestreben, die Einflussnahme Russlands und Chinas in der Arktis einzudämmen. Die Spannungen mit Peking und Moskau sind auch unter Biden gross, er geht die Konfrontationen aber generell anders an: nicht im Alleingang, sondern abgestimmt mit internationalen Partnern. Insofern dürfte die US-Arktis-Politik nun wieder mehr auf Kooperation setzen als auf bizarre Solo-Vorstösse wie unter Trump – wie dessen Vorschlag im Sommer 2019, die USA könnten Grönland einfach kaufen.

Von Steffen Trumpf, Christiane Jacke, Christian Thiele und Jörn Petring