Spanien Türkei-Blockade gelöst – Nato will mehr Präsenz im Osten beschliessen

SDA

29.6.2022 - 05:32

dpatopbilder - NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (hinten l-r), der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der finnische Präsident Sauli Niinistö, die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson, der türkische Außenminister Mevlüt  Cavusoglu (vorne l-r), der finnische Außenminister Pekka Haavisto und die schwedische Außenministerin Ann Linde unterzeichnen ein Memorandum. Foto: Bernat Armangue/AP/dpa
dpatopbilder - NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (hinten l-r), der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der finnische Präsident Sauli Niinistö, die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson, der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu (vorne l-r), der finnische Außenminister Pekka Haavisto und die schwedische Außenministerin Ann Linde unterzeichnen ein Memorandum. Foto: Bernat Armangue/AP/dpa
Keystone

Nach dem Durchbruch im Streit um den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden beginnt am Mittwoch offiziell das Gipfeltreffen des Militärbündnisses in Madrid.

Bundeskanzler Olaf Scholz, US-Präsident Joe Biden und die anderen Staats- und Regierungschefs wollen bei dem zweitägigen Treffen unter anderem die Stärkung der Nato-Ostflanke und ein neues strategisches Konzept für das Bündnis beschliessen. Der Gipfel steht ganz unter dem Eindruck des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Bereits am Dienstagabend hatte es den ersten grossen Erfolg gegeben: Nach wochenlanger Blockade gab die Türkei ihren Widerstand gegen den Beitritt von Schweden und Finnland zur Nato gegen Zugeständnisse auf.

Weg ins Militärbündnis für Schweden und Finnland frei

«Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir jetzt ein Abkommen haben, das Finnland und Schweden den Weg zum Nato-Beitritt ebnet», sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstagabend nach einem mehr als dreistündigen Treffen mit Schwedens Regierungschefin Magdalena Andersson, dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö und seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan. Dies sende auch eine deutliche Botschaft an Russlands Präsidenten Wladimir Putin, dass die Tür der Nato offen ist.

Die Türkei, Schweden und Finnland hätten eine Absichtserklärung unterzeichnet, die auf die türkischen Vorbehalte eingehe. Dabei gehe es unter anderem um Waffenexporte und den Kampf gegen Terrorismus. An diesem Mittwoch würden die Staats- und Regierungschefs der Alliierten nun beschliessen, Finnland und Schweden einzuladen, der Nato beizutreten.

Strategischer Kompass als Richtschnur für die nächsten zehn Jahre

Als die Nato 2010 das letzte strategische Konzept beschloss, sah die Welt noch anders aus. Damals setzten die Alliierten noch auf eine «echte strategische Partnerschaft» mit Russland. China wurde noch nicht einmal erwähnt. Nun, gut vier Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, beschreibt Generalsekretär Stoltenberg Russland als «bedeutendste und direkteste Bedrohung». Zudem werde man sich in dem Konzept erstmals mit China und den Herausforderungen befassen, die es für die Sicherheit, die Interessen und die Werte der Nato darstelle, sagte der Norweger Anfang der Woche.

Mehr Präsenz an der Nato-Ostflanke

Vor allem seit Beginn der russischen Invasion dringen die östlichen Bündnispartner auf mehr Soldaten an der Ostflanke. Litauens Präsident Gitanas Nauseda sagte der Deutschen Presse-Agentur vor dem Gipfel, dass angesichts des russischen Angriffskriegs in Madrid der Übergang von Abschreckung zur Vorwärtsverteidigung vollzogen werden müsse. Notwendig seien mehr Bodentruppen in den baltischen Staaten und an der Nato-Ostflanke, sagte der litauische Staatschef. Auch Luftverteidigung statt Luftüberwachung sei nötig.

Nun soll die Zahl der schnellen Eingreifkräfte drastisch erhöht werden – von derzeit rund 40.000 auf mehr als 300.000. Die bisherige Nato-Eingreiftruppe NRF soll dazu durch ein neues Streitkräfte-Modell ersetzt werden, das auf dem Gipfel beschlossen werden soll.

Dadurch soll die Nato deutlich schneller und umfangreicher auf Gefahren reagieren können. Dazu sollen mehr Soldaten in hoher Bereitschaft sein. Beitrag der Bundeswehr zu dem neuen Konzept könnte nach Angaben aus Nato-Kreisen die 10. Panzerdivision werden, die aus dem bayerischen Veitshöchheim ihr unterstellte Brigaden und Bataillone führt.

Geplant ist zudem, die existierenden multinationalen Nato-Gefechtsverbände in den Staaten an der Ostflanke auf Brigade-Niveau auszubauen. Derzeit umfasst beispielsweise der in Litauen 1600 Soldaten. Eine Brigade besteht in der Regel aus etwa 3000 bis 5000 Soldaten. Deutschland hat bereits angekündigt, dass es die Kampftruppen-Brigade in Litauen führen will.

Die USA wollen angesichts des russischen Angriffskriegs zudem dauerhaft ihre militärische Präsenz in Europa verstärken. Auf der südspanischen Basis Rota sollen statt bisher vier künftig sechs US-Zerstörer permanent einsatzbereit sein. Auch die Zahl der in Rota stationierten US-Soldaten soll von 1200 auf 1800 erhöht werden.

Selenskyj ist per Video dabei – Raketenabwehrsystem gefordert

Einen Monat nach Beginn des Ukraine-Kriegs hatte Stoltenberg bereits einen Nato-Sondergipfel einberufen. Nun befassen sich die 30 Bündnis-Staaten erneut mit ukrainischen Rufen nach mehr Unterstützung. Selenskyj, der am Mittwoch zeitweise per Video zugeschaltet werden soll, forderte vor dem Gipfel ein Raketenabwehrsystem von der Nato. Stoltenberg selbst kündigte weitere Hilfen für die Ukraine an, um die Selbstverteidigung des Landes zu unterstützen. Aus Deutschland und den Niederlanden kam bereits am Dienstagabend eine neue Zusage: Beide Länder wollen zusammen sechs weitere Modelle der Panzerhaubitze 2000 liefern.

Ende eines Gipfel-Marathons

Der Nato-Gipfel setzt den Schlusspunkt eines Gipfelmarathons, der vergangene Woche Donnerstag mit einem EU-Gipfel in Brüssel begonnen hatte. Dort wurde die Ukraine offiziell in den Kreis der EU-Beitrittskandidaten aufgenommen. Anschliessend ging es mit dem G7-Gipfel der wirtschaftlich stärksten Demokratien im bayerischen Elmau von Sonntag bis Dienstag weiter. Bundeskanzler Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungschef Mario Draghi sind die einzigen drei Staatsführer, die an allen drei Treffen teilnehmen.

SDA