UNO-Treffen in New YorkBiden warnt: «Russland glaubt, dass die Welt müde wird»
dpa/twei
19.9.2023 - 18:34
Vor UN-Debatte: Selenskyj besucht verwundete Soldaten
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist zur Teilnahme an der UN-Generaldebatte in den USA eingetroffen. Bevor er jedoch eine Rede vor den Vereinten Nationen halten wird, besuchte Selenskyj verwundete ukrainische Soldaten in einem Krankenhaus in New York.
19.09.2023
Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht. Umso mehr betont der ukrainische Präsident vor der UNO die Bedeutung internationaler Unterstützung. Die USA machen derweil klar: Wenn Kiew nicht sicher ist, ist es niemand.
19.09.2023, 18:34
19.09.2023, 18:49
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Am Dienstag hat US-Präsident Joe Biden die Generaldebatte der UNO-Vollversammlung in New York eröffnet.
Biden appellierte an die Weltgemeinschaft, der Ukraine im Krieg gegen Russland beizustehen.
Vor Ort ist auch Wolodymyr Selenskyj. Von mehreren Reden des ukrainischen Präsidenten wird erwartet, dass er einmal mehr um internationale Solidarität wirbt.
Brisant: Erstmals seit Ausbruch des Ukraine-Krieges könnte Selenskyj auf den russischen Aussenminister Sergej Lawrow treffen.
Am Dienstagabend wird auch Bundespräsident Alain Berset vor der UNO-Generalversammlung sprechen.
US-Präsident Joe Biden hat die Weltgemeinschaft angesichts zunehmender Kriegsmüdigkeit aufgerufen, der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland beizustehen – auch zum eigenen Schutz. «Die Welt muss der nackten Aggression heute entgegentreten, um andere potenzielle Aggressoren von morgen abzuschrecken», sagte Biden zu Beginn der Generaldebatte der UNO-Vollversammlung in New York. Im Saal anwesend war auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Biden beschwor den Zusammenhalt der 193 UNO-Mitgliedsländer: «Wenn wir zulassen, dass die Ukraine zerstückelt wird, ist dann die Unabhängigkeit irgendeiner Nation sicher? Die Antwort ist Nein.»
Am Dienstag (20 Uhr Schweizer Zeit) wollte auch noch Bundespräsident Alain Berset eine Rede vor dem UNO-Plenum halten.
«Russland glaubt, dass die Welt müde wird»
Der US-Präsident mahnte: «Russland glaubt, dass die Welt müde wird und es ihm erlaubt, die Ukraine ohne Konsequenzen brutal zu behandeln.» Wenn internationale Grundprinzipien aufgegeben würden, «um einen Aggressor zu beschwichtigen, kann sich dann irgendein Mitgliedstaat sicher fühlen, dass er geschützt ist?»
Sorgen über einen möglichen Einmarsch Chinas in Taiwan erwähnte der US-Präsident nicht. Peking betrachtet die demokratische Insel als Teil seines Territoriums. Biden betonte allerdings einmal mehr, die Vereinigten Staaten suchten keinen Konflikt mit China. «Wir versuchen, den Wettbewerb zwischen unseren Ländern verantwortungsvoll zu gestalten, damit er nicht in einen Konflikt ausartet.»
Selenskyj, der während der Generaldebatte ein olivgrünes Polohemd im militärischen Stil trug, war am Vortag erstmals seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen sein Land im Februar 2022 in New York eingetroffen. Direkt nach der Ankunft mit seiner Ehefrau Olena Selenska besuchte er ein Krankenhaus im Stadtteil Staten Island, in dem verwundete ukrainische Soldaten behandelt werden.
Auftritt in New York ist Chance für Selenskyj
Vor den Vereinten Nationen am Manhattaner East River wird er mehrere wichtige Reden halten. Es wird erwartet, dass der 45-Jährige für Unterstützung im Krieg gegen Russland, seine Bedingungen für Frieden und die Vorstellungen Kiews für ein Kriegsverbrechertribunal wirbt.
Selenskyj hatte zuletzt bereits an mehreren Gipfeln teilgenommen – G7, Nato, EU. Seine Reise zum grössten diplomatischen Treffen der Welt in New York wird als grosse Chance für den Ukrainer gesehen, skeptische Länder von seinem Kurs zu überzeugen.
Viele Staaten vor allem in Lateinamerika, Afrika und Asien wünschen sich aber grösseres Augenmerk auf ihre Probleme und auf das eigentlich von den Vereinten Nationen angepeilte Hauptthema: eine neue Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Auch Biden warb dafür, wirtschaftlich schwächeren Ländern mehr Mitsprache und Gewicht in internationalen Institutionen zu geben.
Entwicklungsländer dringen auf Frieden
Viele der Staats- und Regierungschefs des sogenannten Globalen Südens wünschen sich Frieden in der Ukraine – dies zeigt sich prominent in den Vermittlungsversuchen des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, der vor Biden in der Kuppelhalle der Vollversammlung sprach.
In seiner vor allem von den Sorgen der Auswirkungen des Klimawandels geprägten Rede pochte Lula auf Friedensgespräche für die Ukraine. «Wir unterschätzen nicht die Schwierigkeiten, Frieden zu erreichen. Aber keine Lösung wird von Dauer sein, wenn sie nicht auf Dialog basiert», sagte er. Zuletzt hatte Lula in einem Interview gesagt, der Krieg in der Ukraine ermüde die Menschheit.
UNO-Woche steht im Schatten Selenskyjs
Selenskyj und der Ukraine-Krieg werden auch in den nächsten Tagen das diplomatische Treffen in New York dominieren: Am Mittwoch soll das mächtigste UNO-Gremium tagen, der 15-köpfige Sicherheitsrat. Dort könnte der ukrainische Präsident erstmals seit dem Einmarsch Russlands auf den russischen Aussenminister Sergej Lawrow treffen.
Selenskyj muss auch dort angesichts des Kriegsverdrusses glaubhaft erklären, warum er Gespräche mit Russland momentan ablehnt. Offen ist, wie er auf Erwartungen vor allem des sogenannten Globalen Südens zu einer Deeskalation des Krieges eingehen wird.
Bei einem persönlichen Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz könnte Selenskyj erneut auf eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern dringen. Von New York aus will Selenskyj nach Washington weiterreisen, wo er am Donnerstag Termine hat.
Zuletzt war er kurz vor Weihnachten in der US-Hauptstadt wie ein Held empfangen worden. Seitdem hat sich aber auch dort die Lage verändert: Die Republikaner haben im US-Repräsentantenhaus das Sagen, unter ihnen gibt es einige Skepsis, ob die USA weiter im grossen Stil Geld in einen Krieg pumpen sollten.
UNO-Chef Guterres: Welt gerät aus Fugen
Zur Eröffnung der Generaldebatte hatte UNO-Generalsekretär António Guterres vor einer Aufspaltung der Welt gewarnt. Es gebe tiefe Gräben zwischen den grössten Wirtschafts- und Militärmächten, zwischen Ost und West sowie zwischen reichen Staaten und Entwicklungsländern.
«Unsere Welt gerät aus den Fugen. Die geopolitischen Spannungen nehmen zu. Die globalen Herausforderungen nehmen zu. Und wir scheinen nicht in der Lage zu sein zusammenzukommen, um darauf zu reagieren.» Es brauche einen «globalen Kompromiss» zur Reform der internationalen Institutionen. «Es geht um Reform oder das Zerbrechen.»