Mariupol Wer Trinkwasser braucht, erhält Kreml-Propaganda dazu

Von Anne Funk

27.5.2022

Menschen in der zerstörten Stadt Mairupol laden ihre Smartphones an öffentlichen Plätzen auf.
Menschen in der zerstörten Stadt Mairupol laden ihre Smartphones an öffentlichen Plätzen auf.
Bild: Keystone/EPA/Alessandro Guerra

Nach Belagerung und Beschuss wird die zerstörte Stadt Mariupol nun mit russischer Propaganda beschallt. Just an Ausgabestellen für Hilfsgüter fahren die Besatzer dafür riesige Bildschirme auf.

Von Anne Funk

27.5.2022

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine findet nicht nur physisch in den Städten statt, er ist vor allem auch ein Informationskrieg. Schon lange versucht der Kreml, mit Falschinformationen das russische Volk zu beeinflussen und so den Angriff auf den Nachbarn zu rechtfertigen.

Nun nimmt die Propaganda ein neues Ausmass an: In der nahezu komplett zerstörten Stadt Mariupol im Südosten der Ukraine fährt Russland an humanitären Hilfspunkten riesige mobile TV-Bildschirme auf, um damit seine Bemühungen zur Integration neu besetzter Gebiete voranzutreiben. 

Mobile Bildschirme sollen informieren

Die «mobilen Informationskomplexe», wie die Wagen vom russischen Ministerium für Katastrophenschutz genannt werden, zeigen sowohl staatliche russische Fernsehnachrichten als auch politische Talkshows, in denen Expert*innen die Invasion gutheissen.

Ein Grossteil Mariupols wurde durch russischen Artilleriebeschuss zerstört, Tausende Menschen kamen ums Leben, noch immer mangelt es an fliessend Wasser und Strom. Und genau dort wird die Kreml-Propaganda verbreitet, mitten in den Trümmern der einstigen Metropole. Selbst in der Nähe der Ruinen des Theaters, wo bei einem Luftangriff im März Hunderte Menschen ums Leben kamen, soll ein solcher Bildschirmwagen gesehen worden sein. 

«Fast drei Monate lang befanden sich die Bewohner von Mariupol aufgrund fehlender Stromversorgung in einem Informationsvakuum», erklärt das Ministerium die Informationsbeschallung laut der russischen Nachrichtenagentur Tass. «Zur Übermittlung von Einsatzinformationen setzten die Retter des russischen Katastrophenschutzministeriums drei mobile Komplexe zur Information und Alarmierung der Bevölkerung ein.»

Einer dieser Bildschirme sei fest installiert, die anderen beiden verkehrten in der Stadt und sendeten jeweils zwei Stunden lang Nachrichten in verschiedenen Teilen der Stadt.

Dass besagtes Informationsvakuum entstanden ist, weil Russland diese Stadt bombardiert und belagert hat, dürfte unerwähnt bleiben. 

«Es gibt nichts zu essen, also füttere sie mit Lügen»

Wie der britische «Guardian» berichtet, würden die Bildschirme an Orten eingesetzt, an denen die verbliebenen Einwohner*innen von Mariupol humanitäre Hilfe erhalten und an denen sie Trinkwasser erhalten.

Ausserdem würden sie dort russische Dokumente erhalten – die Folge eines Gesetzes, das Putin am Mittwoch unterzeichnet hatte. Es soll Anträge auf Staatsbürgerschaft aus Mariupol und den ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja beschleunigen. Eine Entscheidung, die bereits als «Passportierung» kritisiert wird –  also ein Versuch, die Gebiete zu annektieren, indem sie de facto mit russischen Bürger*innen gefüllt werden.

Als «Zynismus auf höchstem Niveau» bezeichnet Petro Andryushchenko, ein Berater des ukrainischen Bürgermeisters von Mariupol, laut «Guardian» die Propagandamaschine Russlands. «Die Praxis ‹Es gibt nichts zu essen, also füttere sie mit Lügen› gewinnt an Fahrt.» 

Andryushchenko erklärte nach Angaben des deutschen Magazins «Stern» weiter, dass an belebten Plätzen zusätzlich zwölf Fernseher mit einer Diagonale von 75 Zoll installiert worden seien. Auch diese stünden vor allem an Punkten, an denen die Menschen humanitäre Hilfe bekommen. «Vor dem Hintergrund von Ruinen und Massengräbern erzählt man nun den Bewohnern von Mariupol von vermeintlichen Verbesserungen und den Verbrechen der ukrainischen Armee.»

Pläne der russischen Besatzer sehen offenbar vor, die am Asowschen Meer liegende Stadt Mariupol zu einem Badeort zu machen.
Pläne der russischen Besatzer sehen offenbar vor, die am Asowschen Meer liegende Stadt Mariupol zu einem Badeort zu machen.
Bild: Keystone/AP/Alexei Alexandrov

Nicht nur der Propaganda-Krieg nimmt absurde Formen an, auch die Pläne, die Russland offenbar für die zerstörte Stadt Mariupol haben soll, sind mitunter makaber. Wie unter anderem «Focus» berichtet, wolle man aus der Hafenstadt einen Badeort machen. Angesichts der Zerstörungen ist das kaum vorstellbar. Die verbliebene Bevölkerung kämpft ums Überleben, der Bürgermeister warnt vor neuen Gefahren: ein Ausbruch von Seuchen.

«Die Kanalisation funktioniert nicht. Überall in der Stadt gibt es chaotische Massenbegräbnisse. Während des Sommerregens gelangen all die Giftstoffe in die Flüsse, das Meer und die Quellen, aus denen die Menschen ihr Wasser beziehen», wird Vadym Boychenko von «Kyiv Independent» zitiert.