Corona Reiche Lateinamerikaner strömen zum Impfen in die USA

AP/twei

23.4.2021

Schnell mal in die USA für den ersehnten Pikser: Wohnhabende Südamerikaner scheuen keinen Aufwand, um eine Corona-Impfung zu bekommen. (Symbolbild)
Schnell mal in die USA für den ersehnten Pikser: Wohnhabende Südamerikaner scheuen keinen Aufwand, um eine Corona-Impfung zu bekommen. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Sogar ein ganzes Fussballteam kam: Weil es daheim an Corona-Impfstoffen mangelt, reisen viele Lateinamerikaner zum Impfen in die USA. Aber das kann nur, wer das nötige Kleingeld hat.

AP/twei

23.4.2021

Politiker, Fernseh-Stars, Geschäftsleute, Fussballer oder einfach nur Leute mit tiefen Taschen: Sie alle reisen über Tausende Kilometer an, aus Lateinamerika in die USA, chartern Flugzeuge oder buchen kommerzielle Flüge, kaufen Busfahrkarten und mieten Autos - alles mit dem Ziel, sich in den Vereinigten Staaten gegen Covid-19 impfen zu lassen. Denn daheim mangelt es an Vakzinen, und das bedeutet lange Wartezeiten. Wer genug Geld hat, kann versuchen, das zu vermeiden, wird in manchen Fällen direkt vom Flughafen zu einem Impfzentrum gebracht.

Virginia González und ihr Mann sind von Monterrey in Mexiko in die texanische Stadt Edinburgh gereist, um sich dort immunisieren zu lassen. Die Städte liegen zwar nur gut 250 Kilometer auseinander, aber weil die Landgrenzen wegen Corona für nicht unbedingt notwendige Reisen geschlossen sind, flogen die Eheleute nach Houston und stiegen dann in einen Bus. Mittlerweile haben sie die Reise zwei Mal gemacht, zur ersten und zweiten Impfung, und legten dazu insgesamt 2200 Kilometer zurück.



Ihr Mann leide an Prostatakrebs, und sie hätten sich auf Anraten des behandelnden Arztes auf den Weg gemacht, schildert González. «Es ist eine Überlebensfrage. In Mexiko kaufen die Behörden nicht genügend Impfstoff. Es ist als ob sie sich nicht um ihre Bürger scheren.»

Florida schiebt Impftourismus den Riegel vor

Aber immerhin hat ihr Heimatland mit seinen an die 130 Millionen Einwohnern mehr Vakzine für die Bevölkerung gesichert als viele lateinamerikanische Länder: bis Anfang dieser Woche waren es 18 Millionen Dosen aus den USA, China, Russland und Indien. Die meisten wurden Gesundheitsmitarbeitern, Leuten über 60 und einigen Lehrern gespritzt – das sind bislang die einzigen Gruppen in Mexiko, die dazu berechtigt sind. Die meisten anderen lateinamerikanischen Länder mit Ausnahme von Chile befinden sich in einer ähnlichen Lage oder stehen noch schlechter da.

So kommen manche sogar aus Paraguay im mittleren Südamerika, um daheim nicht warten zu müssen. Wer die Reise machen will, muss ein Touristenvisum und genügend Geld für vorgeschriebene Corona-Tests, Flugreisen, Hotelzimmer, Mietwagen und andere Ausgaben haben. Wie ein Fussball-Team, das ebenfalls aus dem mexikanischen Monterrey anreiste: 19 Spieler der als Rayados bekannten Mannschaft liessen sich Anfang April in Dallas (Texas) impfen, wie Medien berichteten.

Der peruanische Präsidentschaftskandidat Hernando de Soto wurde wegen seines Impftrips in die USA hart kritisiert.
Der peruanische Präsidentschaftskandidat Hernando de Soto wurde wegen seines Impftrips in die USA hart kritisiert.
Bild: Keystone/EPA/Sebastian Castaneda

Auch der Volkswirtschaftler Hernando De Soto, ein peruanischer Präsidentschaftskandidat, kam – und musste harsche Kritik einstecken, als seine US-Tour aufflog. Ähnlich erging es Fernseh-Grössen, die in den sozialen Medien von ihrer Reise berichteten. Sie wurden beschuldigt, ihre Privilegien auszunutzen und dann auch noch zur Schau zu stellen.

Juan José Origel, ein mexikanischer TV-Moderator, twitterte ein Foto von seiner Impfung im Januar in Miami (Florida), Yanina Latorre, argentinischer Reality-Star, half ihrer Mutter dabei, sich ebenfalls in Miami impfen zu lassen und postete ein Video von dem Ereignis auf Instagram.

Kurz danach schob Florida dem Impftourismus einen Riegel vor: Wer sich hier impfen lassen will, muss jetzt einen Wohnort in dem Staat nachweisen. Aber etwa die Hälfte der 50 US-Bundesstaaten, so Texas, Arizona und Kalifornien, schreiben so etwas nicht vor.

Verwandte als Anlaufpunkt

Viele, die zum Impfen kommen, haben Freunde oder Verwandte in den USA, die ihnen helfen können, sich einen Impftermin zu besorgen oder zu versuchen, ausser der Reihe eine der Dosen zu bekommen, die die manchmal abends in einem Impfzentrum übrig geblieben sind. Manche haben auch Zweitwohnungen in den USA oder «leihen» sich Adressen von anderen.

Alejandra, eine Zahnärztin ebenfalls aus Monterrey, entschloss sich nach eigenen Angaben zur Impfung in den USA, nachdem ihre Mutter im Februar an Covid-19 gestorben war. Sie liess sich online in einer texanischen Apotheke registrieren, Teil einer Kette, die Impfungen verschiedener Art ausführt. Alejandra benutzte beim Einschreiben die Adresse einer Freundin, die in dem US-Staat lebt. Am vergangenen Wochenende flog die Mexikanerin, die nur ihren Vornamen genannt haben wollte, nach Houston und fuhr dann am Montag zur Apotheke in Pasadena.

Es war die zweite Dosis, die Alejandra erhielt, und sie dachte dabei an ihre Mutter – was gewesen wäre, «wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, in den USA ihre Impfung zu erhalten». Sie wisse, dass es Kritik an Ausländern gebe, die sich sozusagen auf Kosten amerikanischer Steuerzahler in den Vereinigten Staaten immunisieren liessen, sagt Alejandra, aber sie versuche, sich und ihre Familie zu schützen.

Ungleichheit befördert Impftourismus

Andere verweisen darauf, dass der Impftourismus durch die Ungleichheit zwischen den Ländern geschürt werde. Reiche Staaten wie die USA haben sich den grössten Teil an Impfstoffvorräten gesichert, ärmere müssen sich abstrampeln, an Vakzine heranzukommen oder sind auf – bislang spärliche – Gaben der wohlhabender Nationen angewiesen.

In Peru haben beispielsweise bislang nur zwei Prozent der 32 Millionen Einwohner eine Impfdosis erhalten, wie aus Statistiken des Global Health Innovation Center der amerikanischen Duke University hervorgeht. «Ich mache ihnen überhaupt keine Vorwürfe», sagt der peruanisch-amerikanische Wissenschaftler Ernesto Ortiz, der an dem Zentrum arbeitet, über die Impftouristen. «Sie sind alle verzweifelt.»