DeutschlandPolen begehrt gegen EU-Getreidebeschluss auf – Die Nacht im Überblick
SDA
16.9.2023 - 07:56
Die EU-Kommission beendet die umstrittenen Handelsbeschränkungen für ukrainische Getreideprodukte – und wird daraufhin von mehreren Mitgliedstaaten öffentlich brüskiert. Polen, Ungarn und die Slowakei gaben am Freitagabend bekannt, dass sie auch ohne die Zustimmung Brüssels an Importverboten für bestimmte ukrainische Agrarprodukte festhalten wollen. Deutschland und andere EU-Länder hatten dieses Verhalten zuvor als unsolidarisch kritisiert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird in der kommenden Woche nach seinem Auftritt bei der UN-Generalversammlung in New York auch US-Präsident Joe Biden in Washington treffen, um weitere Unterstützung im Abwehrkrieg gegen Russland zu erbitten.
16.09.2023, 07:56
SDA
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der sich im Wahlkampf befindet und auf reichlich Stimmen von EU-Kritikern setzt, suchte am Freitagabend die offene Konfrontation mit Brüssel: «Weil es im Interesse der polnischen Landwirte ist», werde seine Regierung die Anordnung der Europäischen Kommission zum ukrainischen Getreide nicht befolgen. Damit machte er seine schon vor Wochen erhobene Drohung wahr, obwohl die Brüsseler Behörde immer wieder betont hatte, dass sie für Handelspolitik in der EU zuständig ist. In Polen wird am 15. Oktober ein neues Parlament gewählt, der Streit um die ukrainischen Waren ist dort zum Wahlkampfthema geworden.
Die bisherigen Einschränkungen hatten es den östlichen EU-Mitgliedern Ungarn, Polen, Slowakei, Rumänien und Bulgarien erlaubt, den freien Handel mit Produkten wie Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumen aus der Ukraine auf ihren Märkten zu beschränken. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hatte in Brüssel immer wieder betont, dass Solidarität mit der von Russland angegriffenen Ukraine nicht nur versprochen, sondern auch gelebt werden müsse.
Selenskyj: Dank an von der Leyen, Warnung an Polen und Ungarn
Dennoch folgten Ungarn und die Slowakei prompt dem Beispiel Polens. Ungarn «nimmt seine Angelegenheiten in die eigenen Hände, um die eigenen Bauern zu schützen», erklärte ein Regierungssprecher im Namen des Landwirtschaftsministers Istvan Nagy. Der Transit ukrainischen Getreides durch Ungarn bleibt demnach weiter erlaubt. Der geschäftsführende slowakische Regierungschef Ludovit Odor sagte: «Wir müssen einen übermässigen Druck auf den slowakischen Markt verhindern, um auch gegenüber den einheimischen Landwirten fair zu bleiben.»
Selenskyj ging in seiner täglichen Videobotschaft am Freitag auf die Streitigkeiten ein. Er habe EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen für das Ende der Handelsbeschränkungen gedankt, sagte er. «Europa gewinnt immer, wenn Verträge funktionieren und Versprechen eingehalten werden», betonte Selenskyj. Er kündigte Gegenmassnahmen an, sollten sich Polen, Ungarn und die Slowakei – die er nicht namentlich nannte – gegen die Ausfuhr ukrainischen Korns sperren. Solches Verhalten sei angesichts der russischen Seeblockade nicht im Sinne guter Nachbarschaft, kritisierte Selenskyj.
USA bestätigen Bidens Treffen mit Selenskyj
Mehr Unterstützung kann sich die Ukraine von ihrem wichtigsten Verbündeten erhoffen, wenn US-Präsident Biden kommende Woche den ukrainischen Staatschef empfängt. «Es wird das dritte Treffen der beiden sein und es kommt zu einem kritischen Zeitpunkt», sagte Biden-Berater Jake Sullivan. Der US-Präsident freue sich darauf, seiner Unterstützung für die Ukraine Nachdruck zu verleihen und weiterhin eine weltweite Führungsrolle in dieser Sache einzunehmen. Ein Termin für das Treffen werde in den kommenden Tagen verkündet.
Zuvor wird Selenskyj am New Yorker East River vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen sprechen. Ausserdem sind Treffen mit US-Kongressmitgliedern in Washington geplant. Im Senat erfährt die Ukraine seit Kriegsbeginn breite Unterstützung durch beide Parteien, im Repräsentantenhaus nahm zuletzt aber die Kritik an den anhaltenden Hilfszahlungen zu. Dort haben die Republikaner eine knappe Mehrheit.
Kiew gibt Rückeroberung einer weiteren Ortschaft bekannt
Unterdessen bestätigte Selenskyj die Rückeroberung der nahe Bachmut im Gebiet Donezk gelegenen Ortschaft Andrijiwka von den russischen Besatzern. Auch in den anliegenden Ortschaften Klischtschijiwka und Kurdjumowka seien die eigenen Truppen aktiv. Die Befreiung von Andrijiwka hatte der Generalstab bereits am Morgen gemeldet, nachdem sich ähnliche Meldungen am Vortag noch als verfrüht herausgestellt hatten.
Medien: Russlands General Surowikin mit Delegation in Algerien
Der nach dem Putsch der Wagner-Söldner lange verschollene russische General Sergej Surowikin soll Medienberichten zufolge mit einer Delegation des Verteidigungsministeriums zu Verhandlungen in Algerien sein. Die Reise zeuge davon, dass die Militärführung in Moskau der Kooperation mit arabischen Ländern grössere Bedeutung zumesse und weiter Vertrauen in Surowikin habe, zitierte die Tageszeitung «Kommersant» einen Informanten aus dem Umfeld des Generals.
Surowikin war von Oktober 2022 bis Januar 2023 Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine gewesen. Er galt als einer der wichtigsten Verbündeten des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschins in der russischen Armee bei dessen Machtkampf mit dem Verteidigungsministerium. Den Aufstand von Prigoschins Söldnern Ende Juni verurteilte Surowikin zwar öffentlich, er wurde danach aber nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Mitte August wurde er dann Medienberichten zufolge seines Amtes als Chef der russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräfte enthoben. Erst Anfang September tauchte er erstmals wieder in der Öffentlichkeit auf.
Baerbock weiterhin zurückhaltend zu Taurus-Lieferung
Zur Forderung der Ukraine nach weitreichenden modernen deutschen Marschflugkörpern vom Typ Taurus äusserte sich Bundesaussenministerin Annalena Baerbock weiterhin zurückhaltend. Hier müssten sensible Fragen beantwortet werden, «was nicht so einfach ist, wie es auf den ersten Blick vielleicht klingen mag», sagte die Grünen-Politikerin nach einem Treffen mit US-Aussenminister Antony Blinken am Freitag in Washington. Man sei intensiv in der Prüfung. Dem Fernsehsender Welt sagte Baerbock, sie unterstützte die Haltung des Bundeskanzlers, nur im engen Schulterschluss mit den USA zu entscheiden: «Wir arbeiten da Hand in Hand mit den Amerikanern. Deswegen spielen die Entscheidungen der Amerikaner da auch mit rein.» Man bleibe dazu im engen Austausch, wie das auch bei den Leopard-2-Panzern der Fall gewesen sei.
Was am Samstag wichtig wird
In der Ukraine gehen die Kämpfe weiter. Zuletzt haben sich vor allem die Gefechte nahe Bachmut wieder intensiviert. Es bleibt abzuwarten, ob den ukrainischen Truppen hier ein weiterer Vormarsch gelingt.
Ukraine: Russland setzt Interkontinentalrakete ein
Russland hat im Angriffskrieg gegen die Ukraine nach Angaben aus Kiew erstmals eine Interkontinentalrakete eingesetzt und damit offenbar auf Angriffe gegen eigene Gebiete reagiert. Hier Archivaufnahmen von einem Test mit einer russischen Interkontinentalrakete. Ziel sei die zentralukrainische Stadt Dnipro gewesen, meldete das ukrainische Medienportal Ukrainska Pravda unter Berufung auf anonyme Quellen am Donnerstag.
Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Amtszeit versucht, den Wunsch der Ukraine nach einem schnellen Nato-Beitritt auszubremsen. Sie befürchtete eine militärische Antwort Russlands. Das berichtet die 70-jährige Christdemokratin in ihren am Dienstag erscheinenden Memoiren mit dem programmatischen Titel «Freiheit», aus denen die «Zeit» vorab einen Auszug veröffentlicht hat.
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Selenskyj lässt Raum für zeitweise Gebietsabtretungen
Nach 1.000 Tagen Krieg in der Ukraine ist kein Ende in Sicht. Nun hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Raum für eine zeitweilige russische Kontrolle über ukrainische Gebiete gelassen.
Im Parlament sagte Selenskyj: «Vielleicht muss die Ukraine jemanden in Moskau überleben, um ihre Ziele zu erreichen und das gesamte Staatsgebiet wieder herzustellen.»
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