Ukrainerin rettet verschleppten Sohn «Er weinte ohne Ende»

mmi

1.6.2023

Tulpen blühen inmitten der Trümmer eines zerstörten Hauses in Awdijiwka in der Region Donezk. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat einen Bericht zur Verschleppung von ukrainischen Kindern durch Russland vorgestellt. Foto: LIBKOS/AP/dpa
Tulpen blühen inmitten der Trümmer eines zerstörten Hauses in Awdijiwka in der Region Donezk. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat einen Bericht zur Verschleppung von ukrainischen Kindern durch Russland vorgestellt. Foto: LIBKOS/AP/dpa
LIBKOS/AP/dpa

Seit Kriegsausbruch im Februar 2022 sind Tausende ukrainische Kinder von russischen Soldaten verschleppt worden. Sasha ist einer von ihnen. Gemeinsam mit seiner Mutter erzählt er seine Geschichte. 

mmi

1.6.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Seit Kriegsausbruch sind in der Ukraine Tausende Kinder von russischen Soldaten verschleppt worden. 
  • Der 15-jährige Sasha ist einer von ihnen. Er und seine Mutter erzählen im Interview mit der britischen BBC über das Erlebte.
  • Sasha musste sechs Wochen in einem Internat im Seperatistengebiet ausharren.
  • Eine Odyssee führte seine Mutter über Polen, Litauen und Russland ins besetzte Gebiet, um ihren Sohn zu holen.

Seit Kriegsausbruch am 24. Februar 2022 sind Tausende Kinder und Teenager aus ukrainischen Schulen in russische Separatistengebiete entführt worden – angeblich zum Schutz vor dem Krieg. 

Die BBC-Journalistin, Sarah Rainsford, ist den Behauptungen nachgegangen und dabei auf Sasha gestossen. Der 15-Jährige und seine Mutter haben der Osteuropa-Korrespondentin ihre Geschichte erzählt

Vor Kriegsbeginn besuchte Sasha ein Internat in Kupjansk, einer Stadt im Oblast Charkiw. Nach dem Einmarsch der Russen behielt seine Mutter Tetyana den 15-Jährigen zu Hause, weil das Gros der Region von russischen Soldaten besetzt war. 

Im darauffolgenden September forderte die Administration der Besatzer alle Kinder auf, in die Schulen zurückzukehren, wo russische Lehrkräfte deren Lernplan festlegten. Das war am 3. September, kurz darauf startete die Ukraine in Charkiw eine Gegenoffensive. 

Schwer bewaffnete Soldaten deportieren Kinder

Sashas Mutter erinnert sich an die Explosionen, Helikopter, die kreisten, und Schüsse. Verzweifelt habe sie versucht ihren Sohn im Internat zu kontaktieren, erzählt Tetyana: «Nur noch der Hauswart war da.»

Der musste den Eltern mitteilen, dass ihre Kinder mitgenommen worden sind – niemand wisse, wohin. Laut Schilderungen von Lehrkräften, seien an dem Tag ein Dutzend schwer bewaffnete russische Soldaten in die Schule gekommen. Sie hätten die Kinder einfach mit ein anderen Flüchtlingen in einen Bus gestopft und seien losgefahren.

Und Sasha? «Wenn ich ehrlich bin, hatte ich grosse Angst», sagte der Schüler zum britischen Nachrichtensender. Er habe nicht gewusst, wohin er und seine Mitschüler gebracht werden. «Ich werde diesen Tag wohl nie vergessen.»

Russland seinerseits rechtfertigte die Entführungen von ukrainischen Kindern damit, dass diese aus dem Kriegsgebiet «evakuiert» werden müssten.

Reise ins Land des Feindes

Sechs Wochen musste Saha in einem Internat im russisch besetzten Luhansk in der Ostukraine ausharren. Die Behörden hätten den Kindern gesagt, ihr Zuhause sei zerstört worden. Sasha habe gefürchtet, dass seine Familie tot sei.

Ein Monat voller Ungewissheit verging, als eine Freundin der Familie Sasha auf einem Bild in den sozialen Medien entdeckte. Weitere zwei Wochen später konnte Sasha seiner Mutter eine Nachricht senden. «Er weinte ohne Ende», sagt Tetyana.

Um ihren Sohn nach Hause zu holen, musste Tetyana ihn persönlich im Internat abholen. Der direkte Weg wäre über die Frontlinie verlaufen. So reiste Tetyana über Polen, Litauen und Lettland, um anschliessend zu Fuss über die Grenze nach Russland zu gelangen und von dort weiter in den besetzten Osten ihres Heimatlandes zu laufen. 

Es sei stockdunkel gewesen, der Weg sei mit Kontrollpunkten und Männern in Sturmhauben und Waffen gesäumt gewesen, erinnerte sich Tetyana: «Ich hatte solche Angst, ich musste Beruhigungstabletten nehmen.»

Nach der fünftägigen beschwerlichen Reise konnte Tetyana ihren Sohn in die Arme schliessen. Die Familie ist kurz darauf nach Deutschland geflüchtet.

Sasha habe sich verändert, sagt seine Mutter. Noch jetzt, Monate später, ziehe sich der Teenager öfter zurück, sei oft am Handy und habe vom ganzen Stress sogar graue Haare bekommen.