US-Invasion vor 20 Jahren Warum Kurden die grössten Gewinner des Irakkriegs bleiben 

AP/toko

24.3.2023 - 00:00

Kinder mit kurdischen Flaggen in Kirkuk.
Kinder mit kurdischen Flaggen in Kirkuk.
AP Photo/Bram Janssen/Keystone (Archivbild)

Vor 20 Jahren führte der Einsatz im Irak zum Sturz des Diktators Saddam Hussein. Beobachtern zufolge profitierten die irakischen Kurden am meisten von der Neuordnung nach dem Krieg.

24.3.2023 - 00:00

Neubauvillen, Fast-Food-Restaurants, Immobilienbüros und halb fertige Hochhäuser säumen die breiten Autobahnen in Erbil – Sitz der halbautonomen kurdischen Regierung im Nordirak. Viele Mitglieder der politischen und wirtschaftlichen Elite leben in einer bewachten Vorortsiedlung namens American Village, wo Häuser für bis zu fünf Millionen Dollar (rund 4,6 Millionen Franken) verkauft werden und üppige Gärten im Sommer mehr als eine Million Liter Wasser täglich verbrauchen.

Diese Opulenz ist weit entfernt von der Situation vor 20 Jahren. Damals war Erbil eine rückständige Provinzhauptstadt. Das änderte sich schnell nach der US-geführten Invasion in den Irak 2003, mit der Saddam Hussein gestürzt wurde. Beobachtern zufolge waren die irakischen Kurden – und insbesondere die politische Klasse unter ihnen – die grössten Nutzniesser in einem Konflikt, der nur wenige Gewinner hatte. Wenngleich die Vorteile der neuen Ordnung für einfache Kurden geschmälert wurden von Korruption und Machtkämpfen zwischen den zwei grossen kurdischen Parteien sowie zwischen Erbil und Bagdad, der irakischen Hauptstadt.

Erdöl brachte Wirtschaftsboom

Nach der Invasion versank ein Grossteil des Iraks im Chaos, während US-Besatzungstruppen einen Aufstand bekämpften und politische und konfessionelle Gruppen darum konkurrierten, das Machtvakuum in Bagdad zu füllen. Doch die Kurden, die als loyale Verbündete der USA galten, stärkten ihre politische Position und warben um ausländische Investitionen.

Das Öl sorgte für einen Boom – Erbil wuchs schnell. 2005 eröffnete die Stadt einen mit türkischen Geldern gebauten Verkehrsflughafen und einige Jahre später den erweiterten internationalen Flughafen.

Traditionell künde das kurdische Narrativ von Opfern und Wehklagen, sagt Bilal Wahab von der Denkfabrik Washington Institute. Doch im Irak sei das seit 2003 anders: Dort handle die kurdische Geschichte von Macht und Ermächtigung. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg wurde den Kurden 1920 im Vertrag von Sèvres ein unabhängiges Heimatland versprochen. Doch der Vertrag wurde nie ratifiziert, und Kurdistan wurde zerstückelt. Seither gab es kurdische Aufstände im Iran, Irak und der Türkei, in Syrien stiessen Kurden mit von der Türkei unterstützten Truppen zusammen.

Ein kurdischer Soldat wählt 2017 im Rahmen des Unabhängigkeitsreferendums in Irakisch-Kurdistan, das trotz des Verbotes durch das Oberste Gericht im Norden des Irak durchgeführt wurde. 
Ein kurdischer Soldat wählt 2017 im Rahmen des Unabhängigkeitsreferendums in Irakisch-Kurdistan, das trotz des Verbotes durch das Oberste Gericht im Norden des Irak durchgeführt wurde. 
EPA/GAILAN HAJI/KEYSTONE

«Wir hatten unsere eigenen Institutionen aufgebaut»

Im Irak erlangte die kurdische Region 1991 de facto die Selbstverwaltung, als die USA als Reaktion auf Saddam Husseins brutale Unterdrückung kurdischer Aufstände eine Flugverbotszone über das Gebiet verhängten.

«Wir hatten unsere eigenen Institutionen aufgebaut, ein Parlament, eine Regierung», sagt Hoschjar Sebari, Spitzenfunktionär der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK), der in der ersten Regierung nach Saddam Hussein als Aussenminister diente. «Der Regimewechsel in Bagdad hat dieser Region viele Vorteile gebracht», erklärt er in einem Interview in seinem palastartigen Haus in Masif, einem ehemaligen Ferienort in den Bergen oberhalb von Erbil, in dem heute ein Grossteil der DPK-Führung lebt.

Der irakische Präsident Abdul Latif Raschid von der rivalisierenden Patriotischen Union Kurdistans zieht ebenfalls eine positive Bilanz der Entwicklungen nach 2003. Die Kurden strebten ihm zufolge einen demokratischen Irak an, und gleichzeitig eine Art von Selbstbestimmung für das kurdische Volk. Mit dem Sturz Saddam Husseins durch die USA sei dies erreicht worden: «Wir wurden eine starke Gruppe in Bagdad.»

In der Verfassung nach der Invasion wurde der semiautonome Status des Kurdengebiets festgeschrieben, während eine informelle Vereinbarung über die Teilung der Macht vorsieht, dass der irakische Präsident immer ein Kurde, der Ministerpräsident ein Schiit und der Parlamentssprecher ein Sunnit ist.

Aber auch in der kurdischen Region bleiben die Folgen der Invasion kompliziert. Die zwei grossen kurdischen Parteien ringen um die Macht, während sich Erbil und Bagdad über Territorien und die Aufteilung der Öleinnahmen streiten.

Gleichzeitig fühlen sich die Araber im Kurdengebiet und Minderheiten wie die Turkmenen und Jesiden in der neuen Ordnung an den Rand gedrängt – ebenso wie Kurden, die keiner der beiden wichtigen Parteien angehören, welche als Türöffner für Chancen dienen.

Da der wirtschaftliche Boom in den vergangenen Jahren aufgrund innenpolitischer Probleme und weltwirtschaftlicher Trends stagnierte, verlässt eine zunehmende Zahl junger Kurden das Land auf der Suche nach besseren Aussichten. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation waren 2021 in der Provinz Erbil 19,2 Prozent der Männer und 38 Prozent der Frauen zwischen 15 und 24 Jahren nicht mehr in der Schule und arbeitslos.

Unterstützung durch US-Truppen

In der Erdölstadt Kirkuk mit einer Bevölkerung aus Kurden, Turkmenen und sunnitischen Arabern beklagt Kahtan Wendawi, örtlicher Vorsitzender der Partei Turkmenenfront des Iraks, dass die US-Truppen nach der Invasion 2003 klar die kurdischen Parteien unterstützt hätten.

Die Turkmenen sind mit schätzungsweise drei Millionen Menschen die drittgrösste ethnische Gruppe im Irak, bekleiden aber keine hohen Regierungsämter und haben nur eine Handvoll Parlamentssitze. In Kirkuk «ernannten die Amerikaner einen Gouverneur kurdischer Nationalität zur Verwaltung der Provinz», sagt Wendawi. «Wichtige Ministerien und Sicherheitsbehörden wurden an kurdische Parteien übergeben.»

Kurden ohne politische Ambitionen haben andere, vor allem wirtschaftliche Sorgen. Die 40-jährige Tara Schalabi picknickt mit Familie und Freunden in dem weitläufigen Sami-Abdul-Rahman-Park, der auf einem ehemaligen Militärstützpunkt angelegt wurde. Sie räumt ein, dass die Sicherheitslage ausgezeichnet sei, zählt aber eine Reihe anderer Probleme auf, darunter die hohe Arbeitslosigkeit, das Ende von Heizölsubventionen und die häufigen Verspätungen und Kürzungen der Gehälter im öffentlichen Dienst.

In der Nähe lagert eine Gruppe von Studenten, die Auswanderungspläne hegen. «Früher reichte es, hart zu arbeiten, um es im Leben zu etwas zu bringen», sagt die 22-jährige Gala. «Wenn man gut studierte und gute Noten hatte, hatte man gute Aussichten, einen guten Job. Doch jetzt ist es ganz anders. Jetzt braucht man Beziehungen.»

AP/toko