Traumatisierte Soldaten Hohe Suizid-Rate bei US-Veteranen – Militär setzt jetzt auf Bienen

Von Michael Casey und Mike Householder, AP

15.9.2019

US-Army-Veteranin Wendi Zimmermann mit einer Wabe voller Bienen.
US-Army-Veteranin Wendi Zimmermann mit einer Wabe voller Bienen.
AP

Die Selbstmordrate unter US-Veteranen ist alarmierend hoch. Umso dringender sind Hilfsprogramme für belastete ehemalige Soldaten – und manche davon setzen auf Bienenhaltung. Absurd oder nicht?

Vince Ylitalo hat einen Holzrahmen mit Dutzenden italienischen Honigbienen in der Hand und schaut gebannt auf die brummenden Insekten. «Das ist wirklich cool», sagt der Amerikaner und weist auf die Kleckse von orangefarbenem Blütenstaub auf den Hinterbeinen einer Biene.

Ylitalo hat 40 Jahre im US-Militär gedient, war zwei Mal im Irak stationiert und leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, auf englisch kurz PTSD. Die Insekten, die um seinen Kopf schwirren oder am Eingang zu ihrem Bienenstock wimmeln, scheinen ihn nicht im Geringsten zu stören. Im Gegenteil: Die Stunden, die er jede Woche mit Bienenzucht-Arbeiten verbringt, bieten ihm eine Art Erholungspause, eine Zuflucht vor seinen Ängsten und seiner Depression, wie der 57-Jährige sagt.

Ylitalo ist Teilnehmer eines Programmes, das von der US-Veteranenbehörde und Veteranengruppen betrieben wird. Ziel ist es hauptsächlich, ehemaligen Soldaten zu helfen, eine neue berufliche Zukunft als Bauern oder kommerzielle Bienenzüchter zu finden. Aber es geht auch darum, den Herausforderungen zu begegnen, die sich Heimkehrern aus dem Irak oder Afghanistan mit Hirnverletzungen, PTSD und anderen psychischen Problemen stellen.

Einsatz im Kriegsgebiet. Viele US-Soldaten kehren nach ihrem Einsatz in Syrien oder Afghanistan mit einer posttraumatischen Belastungsstörung nach Hause zurück.
Einsatz im Kriegsgebiet. Viele US-Soldaten kehren nach ihrem Einsatz in Syrien oder Afghanistan mit einer posttraumatischen Belastungsstörung nach Hause zurück.
Keystone

Bessere Konzentration, mehr Entspannung

Forscher sind zwar erst seit Kurzem dabei, den möglichen therapeutischen Nutzen einer Bienenhaltung zu erkunden. Bisher liegen nur wenige harte Daten vor, und die Programmbetreiber legen auch Wert auf die Festellung, dass Bienenzucht nur eine von mehreren Aktivitäten ist, die einem belasteten Veteranen möglicherweise helfen können.

Aber was teilnehmende ehemalige Soldaten sagen, spricht für sich. Demnach fördern die Programme ihre Fähigkeit, sich zu konzentrieren, zu entspannen und produktiver zu werden.

«Was wir hören, ist fantastisch», bestätigt Alicia Smith. Sie leitet ein psychisches Gesundheitsprogramm am medizinischen Zentrum für Veteranen in Manchester im Bundesstaat New Hampshire. «Die Leute finden, dass es wirklich etwas ist, das ihnen nützt, und nicht nur, während sie mit der Bienenhaltung beschäftigt sind», sagt die Expertin. «Die Auswirkungen scheinen auch danach anzuhalten, nicht nur über Tage, sondern über Wochen hinweg.»

Frank Bartel mit seinem Bienenstock. Er selber hat in der US-Armee von 1968 bis 1971 gedient und war im Vietnam-Krieg. Heute stellt er dem Programm seine Bienen zur Verfügung.
Frank Bartel mit seinem Bienenstock. Er selber hat in der US-Armee von 1968 bis 1971 gedient und war im Vietnam-Krieg. Heute stellt er dem Programm seine Bienen zur Verfügung.
AP

Ylitalo nimmt zusammen mit elf weiteren Veteranen an dem Programm in Manchester teil, das im Mai begonnen hat. «Es soll helfen, mich aus dem Gedankenprozess all der Probleme herauszuholen, die ich habe», sagt der Logistik-Experte, der 2017 aus dem Militär ausgeschieden ist. Und tatsächlich «hilft es mir, an etwas völlig anderes zu denken. Ich denke einfach nur an Bienen.»

Hilfreich gegen Angstzustände

Wendi Zimmerman, die in ihrem weissen Schutzanzug neben Ylitalo steht, pflichtet ihm bei. Bienen hätten ihr geholfen, mit den Angstzuständen umzugehen, die sie ausserhalb ihrer vier Wände verspürt, schildert die Heeresveteranin. «Es gibt einem die Chance abzuschalten und nicht an die Welt draussen zu denken. Es zeigt mir, dass es einen Weg gibt, mein Gehirn abzuschalten, um andere Dinge zu bewerkstelligen.» Früher sei ihr Kopf ständig voller Gedanken gewesen, «und ich bin mit täglichen Aufgaben nicht fertig geworden.»

Ähnlich positiv sind die Reaktionen auf Bienenzucht-Programme in anderen Städten – von Brockton in Massachusetts bis hin zu Reno in Nevada. Alle Betreiber sagen, dass es jede Menge Schilderungen von Teilnehmern gebe, nach denen die Betreuung der Bienenstöcke und die Honigernte einen Unterschied in ihrem Leben machen, ihnen ein Ziel geben und helfen, dunkle Gedanken zu blockieren.


US-Soldaten werden derzeit in Kriegsgebieten wie in Afghanistan oder Syrien traumatisiert. Dort werden sie Opfer von Selbstmordanschlägen und Angriffen. Auch wenn sie nicht körperlich verletzt werden, können die seelischen Folgen verheerend sein. Zuletzt kam es am 3. September in Kabul zu einem solchen Bombenanschlag.


Kehren diese Soldaten nach Hause zurück, erleben sie diese Ereignisse im Geist immer und immer wieder. Die Hilfsprogramme bieten hier Hilfe.

Soldat Adam Ingram betreibt unter dem Dach der Michigan State University in Ann Arbor ein Programm namens Heroes to Hives, übersetzt ungefähr: Helden wenden sich Bienenstöcken zu. Das Autounternehmen Ford Motor stellt für den neunmonatigen Bienenzucht-Kurs ein Gelände auf der alten Farm von Firmengründer Henry Ford zur Verfügung. 80 Prozent der teilnehmenden Veteranen leiden an einer Behinderung.

Bees4Vets heisst ein Programm, das Ginger Fenwick zusammen mit ihrem Mann 2018 in Reno gestartet hat. Die Idee erhielten sie aus einer Broschüre aus dem Jahr 1919, in dem die Regierung Bienenhaltung für an Granatenschock leidende Heimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg empfahl. Bees4Vets lässt Ex-Soldaten ein Jahr lang etwa 30 Bienenstöcke betreuen.

20 Suizide jeden Tag

Die Suizidrate unter Veteranen in den USA ist alarmierend hoch. Nach den letzten verfügbaren Statistiken nehmen sich etwa 20 von ihnen jeden Tag das Leben – eine 1,5 mal höhere Rate als unter Amerikanern, die nie im Militär gedient haben. Vor diesem Hintergrund konzentriert sich das Projekt in Reno auf Männer und Frauen mit PTSD oder traumatischen Gehirnverletzungen.

Gibt es Anzeichen dafür, dass sich der Zustand bei der Mehrheit der Teilnehmer verbessert hat, soll gezielt studiert werden, ob – und wenn ja, wie – die Bienenhaltung dazu beigetragen hat.

«Wenn es irgendetwas gibt, das wir tun können, um auch nur einer Familie, einer Person zu helfen, dann wäre es schon die Sache wert», sagt Fenwick. Den Veteranen werden ein Jahr lang je zwei Bienenstöcke zur Betreuung anvertraut. Dabei lernen sie auch, wie man Honig erntet und Wachs bearbeitet – was anscheinend inspiriert. Ein ehemaliger Soldat, der das Programm absolviert hat, plant ein eigenes Honig-Senf-Unternehmen. Ein anderer will Lippenbalsam herstellen – aus Bienenwachs, versteht sich.

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