Agrarreform Grösster Protest der Welt: Indiens Bauern proben den Aufstand

Von Philipp Dahm

7.12.2020

Indische Bauern auf Konfrontationskurs: 300'000 von ihnen sind nach Neu-Delhi gereist, um gegen eine Agrarreform zu protestieren. Sie haben Proviant für Monate dabei. Westliche Medien schauen weg.

Sie protestieren gegen Gesetze, wegen denen sie eine Ausbeutung durch Konzerne befürchten. Ihre Vorräte an Lebensmitteln und Kraftstoff sind darauf ausgerichtet, wochenlang auszuharren.

Die gewöhnlich stark befahrene Fernstrasse von Neu-Delhi zu vielen nordindischen Städten ist dieser Tage mit Zehntausenden protestierenden Bauern statt Autos gefüllt. Viele von ihnen tragen farbenfrohe Turbane.

Ihre Schlange aus Lastwagen, Traktoren und Anhängern ist mindestens drei Kilometer lang. Sie haben genug Lebensmittel und Kraftstoff für mehrere Wochen gebunkert. Die Stimmung ist ausgelassen: «Inquilab Zindabad» (lang lebe die Revolution) lautet ihr Schlachtruf.

Gekommen, um zu bleiben

Die Bauern protestieren gegen neue Gesetze, die nach ihrer Aussage dazu führen werden, dass sie von Konzernen ausgebeutet werden und schliesslich ihr Land verlieren werden. Die von der anschwellenden Rebellion erschütterte Regierung beteuert hingegen, dass die Bauern von den Reformen profitieren würden. Doch die Bauern geben nicht nach.

Nachts schlafen sie in den Anhängern oder unter Lastwagen. Tagsüber sitzen sie in Gruppen auf den Ladeflächen, umgeben von grossen Mengen Reis, Linsen und Gemüse. Morgens nehmen sie im Freien kalte Duschen, die Nachmittage verbringen sie mit Zeitunglesen auf Schaumstoffmatratzen. Oder sie spielen im Schneidersitz Karten.

Gekocht wird in riesigen Töpfen, die mit Holzlöffeln von der Grösse eines Paddels umgerührt werden. In Hunderten provisorischen Suppenküchen am Strassenrand wird Essen zubereitet. Gewaschene Kleidung wird zum Trocknen auf Leinen aufgehängt, die zwischen den Traktoren gespannt sind.

«Kampf ums Überleben»

«Wir werden diesen Ort nicht verlassen», sagt der 26-jährige Gurpreet Singh, ein Student der Biotechnologie, der einer Bauernfamilie entstammt. «Es ist ein Kampf um unser Überleben.»

Täglich kommen Tausende neue Teilnehmer hinzu. Die Proteste begannen im September, nationale Aufmerksamkeit erlangten sie aber erst in der vergangenen Woche, als Bauern aus den Bundesstaaten Punjab und Haryana aufbrachen. Auf ihrem Weg zur Hauptstadt räumten sie Betonbarrieren beiseite, die die Polizei aufgestellt hatte, und liessen sich auch durch Tränengas, Schlagstöcke und Wasserwerfer nicht stoppen.

Nun sind sie am Rande von Neu-Delhi und drohen, die Hauptstadt zu belagern. «Es wird eine lange Schlacht werden», sagt der 65-jährige Bauer Darshan Singh Khatauli. «Es liegt in der Hand der Regierung, wann sie dies beenden wollen.»

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