Ein Mann steht auf der Strasse im Flüchtlingslager Al-Yarmouk in der Nähe von Damaskus.
Die wirtschaftliche Not im Land ist gross.
Syrische Flüchtlinge in einem Lager im östlichen Libanon: Wann sie zurückkehren können, ist weiterhin ungewiss.
Leute auf der Strasse in der Hauptstadt Damaskus.
Präsident Baschar al-Assad und seine Frau Asma haben sich kürzlich mit dem Coronavirus angesteckt. (Archivbild von 2016)
Syrien leidet nach zehn Jahren Bürgerkrieg
Ein Mann steht auf der Strasse im Flüchtlingslager Al-Yarmouk in der Nähe von Damaskus.
Die wirtschaftliche Not im Land ist gross.
Syrische Flüchtlinge in einem Lager im östlichen Libanon: Wann sie zurückkehren können, ist weiterhin ungewiss.
Leute auf der Strasse in der Hauptstadt Damaskus.
Präsident Baschar al-Assad und seine Frau Asma haben sich kürzlich mit dem Coronavirus angesteckt. (Archivbild von 2016)
Zwölf Millionen haben in Syrien nicht genug zu essen, die humanitäre Not verschärft sich weiter. Die Hoffnung auf einen Frieden ist nach zehn Jahren Bürgerkrieg gering.
Allein die Zahlen zeichnen ein verheerendes Bild. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien vor zehn Jahren haben Hunderttausende Menschen ihr Leben verloren. Zwölf Millionen wurden vertrieben. Mehr als die Hälfte der Syrer leidet heute unter Schlafstörungen, Angst und Depressionen. Die Hoffnung auf einen Frieden? Gering. Und dennoch sagt Scheich Ahmed al-Sajasna: «Wir haben keine Reue. Im Gegenteil. Ich fühle mich zufrieden und stolz.»
Der blinde Geistliche, heute Mitte 70, gehörte 2011 zu den Wortführern der Syrer, die angespornt von der Aufständen in der arabischen Welt auch in der südsyrischen Stadt Daraa aufbegehrten.
An einem Freitag – drei Tage nach der ersten Demonstration in der Hauptstadt Damaskus am 15. März – versammelten sich die Menschen erst zum Gebet in den Moscheen und strömten dann auf die Strasse, wo sie ihrem Unmut Luft verschafften. «Freiheit, Freiheit», riefen sie.
Doch Machthaber Baschar al-Assad reagierte, wie es typisch für die Herrschaft seiner Familie ist: Er schickte seine Truppen, die auf die Demonstranten schossen, erst mit Tränengas, dann mit echter Munition.
Zehn Jahre später sind keine Anzeichen für eine politische Lösung des Konflikts zu erkennen. Zwar ist die Gewalt zuletzt zurückgegangen, doch alle Gespräche über eine politische Lösung stehen still.
Dreigeteiltes Land
Manche Beobachter sehen Assad und seine Anhänger mittlerweile als Gewinner, weil sie wieder rund zwei Drittel des Landes kontrollierten. De facto ist Syrien allerdings dreigeteilt: in Gebiete unter Kontrolle der Regierung, verschiedener Rebellengruppen und der Kurdenmiliz YPG, jeweils unterstützt von Truppen ihrer ausländischen Verbündeten.
Was sie eint, ist die massive wirtschaftliche Not, unter der ein Grossteil der Bevölkerung leidet. Vor dem zehnten Jahrestag des Konflikts schicken Hilfsorganisationen täglich Schreckensmeldungen über die humanitäre Not in Syrien, weiter verschärft durch die schwere Wirtschaftskrise im benachbarten Libanon und die Corona-Pandemie, der das Gesundheitssystem nicht gewachsen ist.
Während das syrische Pfund abstürzt, steigen die Preise immer weiter. Es mangelt an Treibstoff, Medikamenten und vor allem an Nahrung. Der Hunger grassiert in Syrien schon seit langem. Rund zwölf Millionen Menschen in dem Bürgerkriegsland hätten nicht genug zu essen, warnt das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP).
«Seht ihr – überall Lager»
Fausi Schahadat, 42 Jahre alt und Vater von fünf Kindern, hat sich die Mütze an diesem Tag Ende Februar weit über die Stirn gezogen, um sich gegen die Winterkälte zu schützen, während er auf dem Boden eines Zeltes in einem Flüchtlingslager hockt. Er spricht mit Wut, dann auf einmal klingt seine Stimme fast verzweifelt: «Wir leiden hier alle unter Hunger», sagt er. «Wir leiden hier alle unter Armut.»
Auch Schahadat gehörte 2011 zu den Demonstranten in Daraa, seit rund zwei Jahren aber lebt er als Vertriebener im Rebellengebiet um die Stadt Idlib im Nordwesten Syriens. Er schimpft auf Assad und dessen «Verbrecherregime», das sogar Schulen bombardiere und Kinder töte. «Ist das vorstellbar? Es gibt ein Regime, das die Kinder umbringt.»
Schahadats Leben ist in einer Sackgasse gelandet, wie das Millionen anderer Syrer. Er läuft mit seinem Handy, über das er das Interview führt, nach draussen, um die Umgebung zu zeigen: brauner Boden auf einer Anhöhe, felsig und trocken. Am Horizont sind weisse Zelte von Vertriebenen zu erkennen: «Seht ihr», sagt Fausi. «Überall Lager.»
Alles verloren hat auch Amin al-Sajjid, der mit seiner Familie in der Hauptstadt Damaskus lebt. Der 47-Jährige erinnert sich gerne zurück an die Zeit vor dem Konflikt, in der als Besitzer eines kleinen Ladens nicht viel, aber genug verdiente.
Revolutionäre oder Terroristen?
Wo Schahadat von «Revolutionären» spricht, sieht Al-Sajjid «Terroristen» am Werk. «Als der Krieg kam und der Terrorismus auftauchte, war alles vorbei», sagt er. «Wir haben alles verloren.» Um die Familie zu ernähren, schlägt er sich jetzt als Tagelöhner durch. «Wir besitzen nichts mehr.»
Überall in Syrien müssen die Menschen heute für Lebensmittel anstehen, auch in den Gebieten im Norden und Osten unter kurdischer Kontrolle. Schirin Ibrahim, Anfang 30, berichtet von einer Brotkrise in der Stadt Amudah an der Grenze zur Türkei: «Es gibt kein Mehl.»
Die Kurdin, Moderatorin des dortigen Radiosenders Arta FM, erlebte den Beginn des Konflikts in der nordsyrischen Grossstadt Aleppo, wo erst die Menschen protestierten und dann die Panzer durch ihr Viertel rollten. Als die Lage zu brenzlig wurde, floh sie 2011 mit ihrer Familie nach Amudah, eine kurdische Stadt. Nach einer Woche wollten sie zurück nach Aleppo, so war der Plan. Sie blieben bis heute.
Der Kampf geht weiter
Ibrahim ist geschockt von der Gewalt der Regierungstruppen, aber auch von extremistischen Gruppen, die im Laufe des Konflikts unter Namen wie «Taliban in Syrien» auftauchten. Bei einem Besuch in Aleppo 2012 wird sie von einem Ägypter bei einer Kontrolle rüde angefaucht, warum sie nicht verschleiert sei. Persönlich habe sie keine Reue, sagt auch Ibrahim. «Aber ich bedauere es, wie sich die Revolution verwandelt hat. Ich wünschte, das wäre niemals passiert.»
Assad und seine Anhänger machen nach zehn Jahren Bürgerkrieg nicht den Anschein, als seien sie zu Kompromissen bereit. Der Machthaber kündigte vielmehr mehrfach an, Syrien «bis zum letzten Fleck befreien» zu wollen. Auf der Seite seiner Gegner wiederum ist immer wieder zu hören, dass der Aufstand zwar nicht erfolgreich gewesen, aber lange noch nicht vorbei sei.
«Diese Revolution ist grösser als die iranische oder die französische», sagt Scheich Al-Sajasna, der heute im Emirat Katar lebt. «Gott wird ihr den Sieg schenken, weil sie berechtigte Forderungen verteidigt und gegen Tyrannei ist.»