Ausnahmezustand Eine Woche nach dem Attentat – so trauern die Menschen in Hanau

von Jörn Perske (Text) und Frank Rumpenhorst (Fotos), dpa/uri

26.2.2020

Nach dem Attentat in Hanau mit elf Toten ist die Stadt noch immer im «Ausnahmezustand», wie eine Opferbeauftragte sagt. Auch an ihr geht die Trauer der Menschen nicht spurlos vorüber.

Das Gedenken an die Opfer des mutmasslich rassistischen Anschlags in Hanau ist auch eine Woche nach der Tat noch sehr präsent in der Stadt. An den beiden Tatorten liegen massenhaft Blumen. Menschen haben Kerzen und Grablichter aufgestellt. Und auch am Marktplatz sind Trauer und Zeichen der Solidarität sichtbar.

Das Brüder-Grimm-Denkmal vor dem Rathaus wirkt wie ein zentraler Gedenkort, an dem die Menschen zusammenkommen, stehenbleiben und miteinander ins Gespräch kommen. Neben Blumen und Kerzen, die den Sockel des Denkmals bedecken, sind hier auch Fotos der Getöteten zu sehen. Die Opfer bekommen dort Gesichter.

Das Denkmal ist aber auch ein Ort der Botschaften und Appelle. «Aufstehen gegen Rassismus», wird auf einem Schild gefordert, auf einem anderen «Respekt. Kein Platz für Rassismus». Ein wütendes «Es reicht!!!» ist auch zu lesen. Einige der abgelegten Blumen welken zwar bereits, aber die Erinnerung an die Tat vor rund einer Woche wird die Menschen noch lange beschäftigten.

Viel Arbeit für Opferbeauftragte

Ein 43-jähriger Deutscher hatte neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen. Der Sportschütze soll auch seine Mutter (72) und dann sich selbst getötet haben. Nach bisherigen Erkenntnissen hatte der mutmassliche Täter eine rassistische Gesinnung und war psychisch krank.

Die Taten von Hanau beschäftigen auch die Opferbeauftragten. Neben den Vertretern von Bund (Edgar Franke) und Land (Helmut Fünfsinn) sind das zwei Vertreterinnen, die die Stadt Hanau ernannt hat. Die Vorsitzende des Hanauer Ärztevereins, Dr. Maria Haas-Weber, geht der Aufgabe zusammen mit der Leiterin der städtischen Stabstelle für Gesundheit, Dr. Silke Hoffmann-Bär, nach.



Hoffmann-Bär gab der Deutschen Presse-Agentur Einblicke in ihre Arbeit. Aufgabe der Medizinerin ist es vor allem, die angestossene Hilfe zu koordinieren. «Bei mir laufen alle Anfragen zusammen», sagt sie. Deswegen ist ihr Handy derzeit auch ihr wichtigstes Arbeitsmittel. Hoffmann-Bär gibt zum Beispiel nach Gesprächen mit Opfern Einschätzungen ab, ob jemand eine Therapie braucht. Und wer in Hanau dabei weiterhelfen könnte.

«Wir helfen, wo wir können»

Hoffmann-Bär berichtet, sie habe bereits mehrere Opferfamilien getroffen. «Wichtig ist es, mit den Menschen empathische Gespräche zu führen. Sie bekommen das Signal von uns, dass sie mit wirklich allen Problemen, die sie beschäftigen, auf uns zukommen können. Wir helfen, wo wir können.» Ein grosses Thema sei neben der Verarbeitung der Trauer auch, wie finanzielle Soforthilfe beantragt werden kann. Ehepartner, Kinder und Eltern von Getöteten können 30'000 Euro bekommen und Geschwister 15'000 Euro. Dies hatte der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Edgar Franke, mitgeteilt.



Finanzhilfen sind für die Hinterbliebenen wichtig, wie Hoffman-Bär erklärte: «Die Menschen machen sich Sorgen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen. Andere wollen unbedingt aus ihrer Wohnung ausziehen, weil sie sonst zu stark an den verlorenen Menschen erinnert werden.» Um Bestattungskosten müssen sich die Opferfamilien nicht kümmern. Die übernehme die Stadt.

Die Gespräche gehen aber auch an der Hanauer Opferbeauftragten nicht spurlos vorüber. «Das kann bei aller Professionalität niemanden kalt lassen. Es ist emotional sehr herausfordernd. Ich habe eine junge Frau getroffen, deren Freundin erschossen wurde, als sie mit ihr an dem Abend zusammen unterwegs war. Sie hat während des Gesprächs nicht aufhören können zu weinen. Das geht einem sehr nahe.»

Neben Trauer auch viel Wut

Bei anderen Angehörigen sei neben der Trauer auch viel Wut zu beobachten. «Die Tat hat grosses Entsetzen ausgelöst. Die Menschen fragen sich: Wie kann es zu solch einem schrecklichen Verbrechen kommen?» Auch wenn es zuweilen schwierige Situationen gebe, seien die Kontakte mit den Opfer-Familien von einem «guten Miteinander» geprägt.

Über das Klima in der Stadt sagt die Vorsitzende des Hanauer Ausländerbeirats, Selma Yilmaz-Ilkhan: «Dieses Attentat hat tiefe Wunden verursacht.» Die Menschen hätten Angst und fragten sich, wie es habe passieren können, dass unschuldige junge Leute ermordet worden seien. «Für die Integration bedeutet dies, dass wir mehr partizipative Politik machen müssen. Wir müssen Menschen mitnehmen, die wir vernachlässigt haben.»

Die Politik- und Sozialwissenschaftlerin Yilmaz-Ilkhan beobachtet: «Die Menschen fühlen sich in Hanau zu Hause, es gibt ein gutes Miteinander. Jedoch müssen wir auch erwähnen, dass auch wir in Hanau die bundesweite Entwicklung nach rechts spüren.» In den vergangenen Jahren habe sie vermehrt Beschwerden und Ängste von Menschen mit Migrationshintergrund wegen Beschimpfungen auf der Strasse zu hören bekommen.

Die Kanzlerin kommt zur Trauerfeier

Neben der Ursachensuche für die Tat beschäftigt Hanau auch die Frage einer zentralen Trauerfeier. Sie wird womöglich in der kommenden Woche stattfinden. Die Abstimmungen mit Bund und Land laufen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat mitgeteilt, dass sie teilnehmen wolle. Da aber kein genauer Termin feststehe, gebe es hierfür noch keine Gewissheit, erklärte die Stadt.

Am Dienstag wurden die Beisetzungen der Todesopfer fortgesetzt. Ein Mann wurde in Dietzenbach (Landkreis Offenbach) beerdigt. Am Mittwoch findet eine Trauerfeier für einen Mann aus Rumänien statt, ehe er dorthin übergeführt wird. Für zwei weitere Getötete soll am Freitag (15:00 Uhr) ein Trauergebet auf dem Marktplatz stattfinden. Danach soll ein Trauerzug zum Hauptfriedhof führen, wo die beiden Männer bestattet werden sollen.

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