«Lost Place» im Schwarzwald Grandhotel Waldlust – Haus der gruseligen Phänomene

Marco Krefting, dpa

26.11.2020

Ein verfallenes Gewächshaus, ein Autowrack oder ein ehemaliges Hotel: Im Süden von Deutschland gibt es zahlreiche verlassene Orte. Den Flair, der sie umgibt, wissen Fans von «Lost Places» in Szene zu setzen.

Das güldene Himmelbett verlassen, im rosa gekachelten Badezimmer bröckelt die Decke nieder, im Festsaal stehen silbern-glänzende Kerzenhalter auf den Tischen – der Charme der Zeit um 1900 ist noch zu sehen. Aber auch die Jahrzehnte, die seither vergangen sind.

Jahrzehnte, in denen die Zeit im Grandhotel Waldlust in Freudenstadt im Schwarzwald gewissermassen stillstand. Und genau das ist der Grund, warum die alten Gemäuer sich neuer Beliebtheit erfreuen – als sogenannter «Lost Place», als verlassener Ort.

«In der Waldlust kann man nicht nur das Vergessene sehen, sondern auch das architektonisch Erhaltene», sagt Herbert Türk vom Verein Denkmalfreunde Waldlust. Seit einigen Jahren versucht er wieder Leben in das alte Hotel zu bringen. Mit Kunst- und Kulturveranstaltungen. Aber auch mit Menschen, die die einst noble Kulisse wertschätzen.

Gegen einen Obolus zum Erhalt des denkmalgeschützten Gebäudes dürfen Hobbyfotografen hier auf Tour gehen. Aber auch für Auftragsarbeiten stehe der Villenbau parat. «Häufig für Vintage-Magazine», sagt Türk.

In einem Raum des ehemaligen Grandhotel Waldlust, das zu den sogenannten Lost Places gehört, steht eine Massageliege.
In einem Raum des ehemaligen Grandhotel Waldlust, das zu den sogenannten Lost Places gehört, steht eine Massageliege.
Bild: Uli Deck

Die alten Gemäuer sehen fast so aus wie damals, als hier europäischer Adel und internationale Schauspielstars ein und aus gingen. Damit der Eindruck so bleibt, saniert der Verein hier und da das Nötigste. «Wir achten aber darauf, dass wir zum Beispiel mineralische Farben nehmen», erklärt Türk. «1900 gab es noch keine Dispersionsfarbe.»

Anziehungsort für allerhand

Das Besondere, das so entsteht, lockte vor einigen Jahren Filmemacher für den Horrorfilm «Bela Kiss: Prologue». «Das war der Durchbruch als Drehort», erinnert sich Türk. «Von da an war die Waldlust kein Geheimtipp mehr.» Das ZDF folgte mit dem Schwarzwaldkrimi «Und tot bist Du!», Bands drehten Musikvideos, sogenannte Ghosthunter suchten nach paranormalen Schwingungen, wie der Vereinsvorsitzende berichtet.

Und unzählige Freunde der Lost Places kamen. Vor Corona seien zweimal pro Woche je rund 50 Leute durch das Gebäude geführt worden, sagt Türk. Verlassen ist anders. Da die Waldlust prominent als Lost Place beworben wird, stehe sie seit Jahresbeginn auf einer inoffiziellen Hitliste auf Platz drei in Deutschland, erzählt Türk. Daher werde aussortiert: «Wir achten darauf, dass es nicht zu inflationär wird.»



Vor allem Fotografen und Youtube-Filmer sind weltweit auf der Suche nach einst belebten Orten, die heute verfallen, verstaubt, verlassen sind. Einer von ihnen ist Benjamin Seyfang aus Metzingen, der seit Jahren Lost Places fotografiert und schon einen Bildband mit Motiven aus dem Südwesten veröffentlicht hat wie ein bemoostes Autowrack, Kellergewölbe und einen Raum, an dessen Wand noch ein Gehstock lehnt.

In der ehemaligen DDR gebe es mehr Leerstand als in seiner Heimat, sagt er. «Aber nach Baden-Württemberg kommen nicht so viele.» Daher würden Orte auch nicht so überrannt wie etwa im Ruhrgebiet. Dabei gehört zur Suche nach Lost Places auch Recherchearbeit, wo diese sich befinden. In Foren wie einer von Seyfang betriebenen Facebook-Gruppe mit mehr als 4000 Mitgliedern werden zwar fleissig Fotos von Touren gezeigt. Auf Fragen nach den Adressen herrscht aber meist Schweigen.

Geheimnistuerei und Hausfriedensbruch

Er habe sogar Bildmaterial auf seinem Rechner, das noch niemand gesehen habe. Zum Teil, weil Seyfang gerne erst Hintergründe zu den Plätzen recherchiert. «Ich habe auch Bilder nicht veröffentlicht, um die Orte zu schützen.» Dass andere wie die Waldlust quasi als Lost Place vermarktet werden, sieht der Fotograf pragmatisch: «Das ist wie bei Schauhöhlen, die gezielt geopfert und der breiten Masse zugänglich gemacht werden. Andere bleiben dafür im Verborgenen.»

Doch im Internet findet man viele Fotos. Und mit etwas Geduld bekommt man auch heraus, wo man hin muss. Verlassene Krankenhäuser und Schwimmbäder, in denen alles stehen und liegen blieb. Oder weitere historische Hotels auf der Schwarzwaldhochstrasse etwa. «Dass mir die Orte ausgehen, glaube ich nicht», sagt Seyfang. Momentan reizt ihn ein Autofriedhof, den es irgendwo im Schwarzwald geben soll.

Immer wieder Thema im Zusammenhang mit Lost Places sind Unfälle in morschen Gemäuern oder Hausfriedensbruch. Sich mal durch einen Zaun zu quetschen oder über eine Mauer zu klettern, gehöre zum Flair, sagt Seyfang. Wichtig sei, nichts kaputt zu machen. So lautet auch die prominenteste Regel in seinem Buch: «Nimm nichts mit als Deine Fotografien und hinterlasse nichts als Deine Fussspuren.»



Grosse Probleme habe es in der Waldlust keine gegeben, sagt Türk. Dann und wann gehe eine Scheibe zu Bruch. «Das tut weh. Zumal die teilweise nicht mehr original ersetzbar sind.» Lost-Places-Jäger seien allgemein aber sehr darauf bedacht, nichts zu zerstören. Selbst die, die unerlaubt eindringen, hätten meist «Ehrfurcht vor dem Ort». Und auch wenn die Pandemie den Zustrom und die Pläne zum Ausbau der Kulturangebote im Grandhotel im Moment drosselt, kann Türk ihr etwas abgewinnen: «Insofern ist die Waldlust ein Jahr mehr Lost Place.»

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