Baikalsee Ein russisches Naturjuwel versinkt im Abfall

dpa

22.9.2019

Am Ufer des Baikalsees türmt sich vielerorts der Abfall.
Am Ufer des Baikalsees türmt sich vielerorts der Abfall.
Source: Ulf Mauder/dpa

Der riesige Baikalsee in Sibirien ist ein Besuchermagnet. Doch wo Menschenmassen sind, ist auch der Abfall nicht weit. Das fragile Ökosystem der Region ist gefährdet, der Ruf nach Putin wird lauter.

Am Ufer reihen sich Schaschlikbuden und Verkaufsstände aneinander. Unzählige Touristenbusse halten an den kleinen Stränden an einem der grössten Naturwunder Russlands. Der mystische Baikalsee ist das tiefste und älteste Süsswasserreservoir der Welt.

Dem kleinen Ort Listwjanka ist seine Geschichte als Fischerdörfchen am Westufer des Sees kaum noch anzusehen. Hunderttausende Auswärtige kommen jedes Jahr hierhin. Doch noch nie kamen so viele Touristen zum Unesco-Weltnaturerbe Baikalsee wie in diesem Jahr, sagen Umweltschützer. Und noch nie habe sich so viel Abfall angesammelt.

«Schande Russlands»

Der über 1'600 Meter tiefe See in Sibirien macht immer wieder international Schlagzeilen. Früher kämpften Umweltschützer gegen eine Zellulosefabrik, deren Abwässer direkt in den See geleitet wurden. Die als «Schande Russlands» bezeichnete Fabrik wurde 2013 geschlossen.

Nun setze dem rund 640 Kilometer langen und bis zu 80 Kilometer breiten See besonders der wachsende Tourismus zu, sagt auch der Umweltbeauftragte des Kremls, Sergej Iwanow. «Der Baikal bereitet uns grosse Sorgen», betonte er kürzlich bei einer Umweltkonferenz.

Viele Touristen zelten Iwanow zufolge ohne Genehmigung, Hotels verfügen über keine Kläranlagen. Zudem würden viele Menschen wild grillieren und so immer wieder schwere Waldbrände verursachen. Tonnen von Abfall lägen am Ufer und gefährdeten den See. Iwanow schlägt deshalb vor, eine Touristenquote einzuführen.



Auch die Einwohner von Listwjanka hadern mit den Touristenmassen. «Es ist eine echte Belagerung», sagt Touristenführer Roman, der die Gäste von der rund 70 Kilometer entfernten Stadt Irkutsk zum See bringt. Gleichzeitig profitiert die strukturschwache Region enorm von den Besuchern. Auf einer Reise mit der – bei deutschen wie auch chinesischen Touristen beliebten – Transsibirischen Eisenbahn quer durch Russland lässt sich leicht ein Zwischenstopp in dem 2'000-Seelen-Ort einlegen.

Im vergangenen Jahr kamen nach offiziellen Angaben mehr als 1,6 Millionen Touristen zum Baikalsee; um zu wandern, Bootsausflüge zu machen oder an dem Gewässer einfach nur zu entspannen.

Abfallproblem gibt landesweit zu reden

Das Abfallproblem in Russland ist in den vergangenen Jahren zu einem echten Streitthema geworden. So will etwa Moskau einen Teil seines Abfalls nach Archangelsk in den Norden verlagern. Doch die Anwohner protestieren seit Monaten dagegen. Eine landesweite Abfallreform ist eigentlich geplant. Die Behörden sollen die Umsetzung auf Anweisung von Präsident Wladimir Putin nun stärker kontrollieren.



In Listwjanka schiessen Hotels, Restaurants und Badeplätze wie Pilze aus dem Boden. Nur wenige Meter vom Ufer entfernt gibt es unzählige Baustellen, Marktplätze und Zoos, in denen etwa Robben für Shows im eiskalten Wasser dressiert werden.

«Listwjanka erstickt im Tourismus», sagt Galina Sibirjakowa der Deutschen Presse-Agentur. Die Umweltschützerin ist in dem kleinen Ort geboren. Heute lebt sie mit ihrer Familie auf der archaischen Schamaneninsel Olchon am Westufer des Sees.


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Immer mehr Parkplätze werden in ihrer Heimat für die Touristenbusse gebaut, Strassen erweitert, Wälder dafür gerodet. «Es tut weh, das alles zu sehen. Und diese Entwicklung gibt es auch in anderen Orten», sagt Sibirjakowa.

Sie befürchtet: Auch auf der Schamaneninsel, wo es erst seit kurzem eine Landstrasse gibt, könne es bald so aussehen. Jedes Jahr kommen rund 50'000 Touristen hierhin. Es gibt mehr als 30 Hotels und Wellnessorte in Olchon – Tendenz steigend.

«Diese schönen Orte verwandeln sich in Müllhalden», sagt Sibirjakowa. Deshalb dokumentiert sie seit einigen Jahren auf einem Blog die Abfallsünden der Region. Sie will so Hotels dazu bringen, zumindest die Auflagen des Naturschutzes einzuhalten. Nicht immer bringt das den gewünschten Erfolg.

Werden Fälle aufgedeckt, droht den Betreibern zwar eine Geldstrafe. Doch die Behörden seien zu mild, kritisiert Sibirjakowa. «Gegen das Naturschutzrecht zu verstossen, bleibt wirtschaftlich rentabel. Die Strafen sind einfach zu gering.»

Putin soll sich ein Bild vor Ort machen

Auf der anderen Uferseite in der Teilrepublik Burjatien gibt es ähnliche Probleme. «Es ist ein Teufelskreis», sagte Iwan Loginow von der Organisation «Neue Energie» lokalen Medien. Die Menschen vor Ort profitierten zwar von den Touristen, am Ende fehlten jedoch sowohl die Mittel als auch der Wille, um gegen den zurückgelassenen Unrat vorzugehen. Dort werde dieser nur vergraben, Recycling gebe es noch nicht. «Der Naturschutzbeauftragte kommt zwar vorbei, es gibt Strafen. Der Abfall bleibt aber trotzdem liegen.»

Weil viele Bewohner wie auch Schamanen mit der Entwicklung unzufrieden sind, hoffen sie auf Hilfe aus Moskau. Kremlchef Putin solle sich persönlich ein Bild von der Lage am See machen, sagt eine Verkäuferin an einer Schaschlikbude in Listwjanka. «Und er soll sehen, wie die Perle Russlands zugrunde geht. Das darf nicht so bleiben.» Alles schreit nach der versprochenen Abfallreform.

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