Entlarvende Sprache Darum verraten sich Verbrecher durch ihren Schreibstil

Von Runa Reinecke

28.10.2020

Unser persönlicher Schreibstil spricht Bände – obwohl uns das überhaupt nicht bewusst ist. 
Unser persönlicher Schreibstil spricht Bände – obwohl uns das überhaupt nicht bewusst ist. 
Bild: Getty Images

Auf ihrer Täterjagd finden Textprofiler mehr über Verfasser von Facebook-Posts, E-Mails oder SMS heraus, als diesen lieb ist. Wie das funktioniert, hat uns eine Schweizer Expertin für forensische Sprachwissenschaft im Interview verraten.

Ob wir es wollen oder nicht: In jedem Text hinterlassen wir unbewusst Hinweise auf unsere Person. Die forensische Sprachwissenschaftlerin Annina Heini gewährt uns im Interview einen Einblick in die machtvolle, manipulative und für sie durchschaubare Welt der Buchstaben, Satzzeichen und Emojis. Die gebürtige Bernerin zeigt auch auf, warum wir bei Gesprächen genauer hinhören sollten, und stellt klar: Früher oder später würde jeder ein falsches Geständnis ablegen.

Frau Heini, angenommen, Sie bekommen eine E-Mail von einer Person, die Sie nicht kennen. Mutmassen Sie darüber, was für ein Mensch sich hinter den Zeilen verbirgt?

Eigentlich versuche ich, das Berufliche vom Privaten zu trennen, ich analysiere nicht bewusst. Aber ich habe auch schon Nachrichten bekommen, bei denen ich mir dachte: Kommt diese Antwort jetzt wirklich von meiner Kollegin? Vielleicht hat sie doch eher ihr Freund geschrieben, der neben ihr im Auto sitzt, weil sie gerade fährt.

Womit befassen sich forensische Sprachwissenschaftlerinnen?

Wir wenden sprachwissenschaftliche Methoden an, um anhand vorhandener Texte oder mündlicher Aussagen etwas herauszufinden, was aus kriminalistischer Sicht von Bedeutung sein könnte. Die forensische Linguistik ist ein relativ junges und deshalb noch nicht allzu bekanntes Forschungsgebiet.

Zur Person: Annina Heini
Bild: zVg

Dr. Annina Heini (27) absolvierte einen Bachelor in englischer Literatur und Linguistik an der Universität Bern. Nach ihrem Masterstudium in forensischer Linguistik promovierte sie am Aston Institute for Forensic Linguistics an der Aston University in Birmingham, England, wo sie weiterhin forscht und doziert.

Und das findet im Moment vor allem wegen der Netflix-Serie über den Unabomber Beachtung …

Gut finde ich, dass das Thema durch die Serie gerade viel Aufmerksamkeit bekommt und dadurch im Mainstream angekommen ist. Aber die damals verwendete sprachliche Analyse war eher oberflächlich. Schon vorher gab es hier in England bessere und gründlichere Untersuchungen, die sich eher mit der forensischen Sprachwissenschaft vereinbaren lassen.

Eindrücklich in diesem Zusammenhang ist der Fall von Timothy Evans, der 1950 wegen Mordes in London hingerichtet wurde. Eine nachträgliche Sprachanalyse seiner Polizeiaussagen zeigte auf, dass die belastenden Aussagen nicht von ihm stammten. Das trug dazu bei, dass er nach seinem Tod begnadigt wurde. Im sprachanalytischen Gutachten von 1968 taucht auch zum ersten Mal der Begriff ‹Forensic Linguistics› auf.

Woher kommt Ihr grosses Interesse für diese Disziplin?

Ich war schon als Kind ein grosser Fan der Krimiserie ‹Die drei ???›. Damals spielte ich mit den Kindern aus der Nachbarschaft Detektivbüro. Doch in dem Vorort von Bern, in dem ich aufgewachsen bin, gab es leider nicht viel zu ermitteln. Losgelassen hat mich das Thema Kriminalistik aber nie. Während ich meinen Bachelor an der Universität Bern machte, erzählte mir ein Kommilitone, dass es einen Studiengang für forensische Linguistik in England gibt. Das war genau das, was ich immer machen wollte.

In Ihrer Doktorarbeit analysierten Sie die sprachlichen Besonderheiten während Verhören. Was haben Sie genau untersucht?

Befasst habe ich mich mit dem Diskurs in Verhören mit jungen Verdächtigen zwischen 17 und 18 Jahren, um herauszufinden, wie sich deren legaler Status als Kind respektive Erwachsener in der Sprache manifestiert. Ein grundlegender Aspekt bei der konversationsanalytischen Forschung zu Polizeiverhören ist das immer vorhandene Machtgefälle. Unterlegen sind Verdächtige situationell, weil diese Verhöre in einer für die Verdächtigen fremden Räumlichkeit stattfinden und sie von uniformierten, teilweise sogar bewaffneten Polizisten umgeben sind.

Zum anderen aufgrund der Befragungssituation: Die Person, die die Frage stellt, ist in der Machtposition. Dem oder der Befragten bleibt hinsichtlich der Gesprächsstruktur nichts anderes übrig, als zu antworten. Schon allein dadurch ist er oder sie limitiert. Hinzu kommt das Thema, also was inhaltlich gefragt wird: Das Gegenüber kann sich mit seiner Antwort nur innerhalb eines vorgegebenen Spielraums bewegen. Viele Polizeibeamte sind sich dessen gar nicht bewusst. Sie denken sich: Wo ist das Problem? Ich bin doch nett, freundlich und übe keinen Druck aus.

Und durch dieses Machtgefälle kann es zu falschen Geständnissen kommen?

Ja. In meinen Vorlesungen frage ich die Studierenden auch mal: Würde jemand von Ihnen ein falsches Geständnis ablegen? ‹Nein, natürlich nicht›, heisst es dann. In Wahrheit würde dies aber jede Person im Raum früher oder später tun. Und das ganz ohne Folter, Erpressung oder Drohung – einzig durch die bewusste oder unbewusst genutzte Manipulation der Sprache. Anders als bei uns in Europa werden Menschen in den USA mit dem Ziel verhört, ein Geständnis zu bekommen. Das gelingt ganz ohne körperliche Aggression und Gewalt, nur anhand von gekonntem Beeinflussen.

Können Sie das anhand eines Beispiels veranschaulichen?

Nehmen wir an, ein Mann wird beschuldigt, eine Tür beschädigt zu haben. Auf die Frage ‹Was ist passiert, als Sie das Haus verliessen?› antwortet er: ‹Ich habe die Tür zugemacht.› Der Polizist verstärkt diese Aussage, indem er zurückfragt: ‹Sie haben also die Tür zugeknallt … was passierte dann?› In der Regel nimmt der Verhörte die Manipulation, also den Unterschied zwischen ‹zugemacht› und ‹zugeknallt› nicht wahr und widerspricht deshalb auch nicht. Das kann gravierende Folgen für den Angeklagten haben. In England wird das Interview aufgezeichnet und verschriftlicht. Einzelne Passagen daraus werden später als Beweismittel vor Gericht verwendet.

Angenommen, Sie müssen ein Erpresserschreiben analysieren. Wie gehen Sie vor?

Es kommt ganz darauf an, was man herausfinden will. Nehmen wir an, die Aufgabe besteht darin, ein Profil des Verfassers einer Erpresser-E-Mail anzufertigen. Bei Alterseinschätzungen macht man das üblicherweise in Zehnjahresschritten. Wenn es ein deutscher Text ist, können die anhand der Rechtschreibreformen angewendeten Schreibregeln Ansätze zur Auskunft über das Alter geben. Bestimmte Dialektwörter grenzen den Autorenkreis genauso ein wie grammatikalische Fehler. Aufgrund von Letzteren kann in bestimmten Fällen eine Muttersprache oder Muttersprachfamilie eruiert werden.

Gibt es besonders prägnante Merkmale?

Auffällig wäre zum Beispiel, wenn ein Leerschlag vor dem Ausrufezeichen gemacht wird. Dann könnte es jemand mit französischen Wurzeln sein, denn das ist im Französischen üblich. Ins Auge sticht auch die Schreibweise grosser wie grösserer Zahlen. Im Englischen mit einem Komma: 10,000, in der Schweiz mit Apostroph: 10’000 und im Deutschen mit einem Punkt: 10.000. Schreibt jemand ‹I am coming tomorrow back›, verwendet er die deutsche Satzstellung ‹Ich komme morgen zurück› anstatt der im Englischen korrekten ‹I am coming back tomorrow›.

Entlarvend ist auch der irrtümliche Gebrauch von Wörtern: Der ‹Chef› ist im Englischen nicht der Boss, sondern der Koch. Besonders interessant wird es, wenn jemand versucht, dümmer zu tönen, als er oder sie in Wahrheit ist.

Wie kommt man dem Schwindel auf die Schliche?

Zum Beispiel durch die Tatsache, dass ganz einfache Wörter falsch, komplizierte Fremdwörter hingegen korrekt geschrieben werden.

Inwieweit lässt sich der Kreis der möglichen Verfasser eingrenzen?

Das kommt ganz darauf an. Gibt es bereits einen Verdächtigen, so konzentriert sich die Arbeit eher auf vorhandene Texte, die diese Person verfasst hat. Wie gut dieser Abgleich funktioniert, hängt auch davon ab, welche Art von Texten man miteinander vergleicht.

Zum Beispiel?

Eine SMS wird ganz anders verfasst als ein Geschäftsbrief; da sind verschiedene Gattungen und Modalitäten im Spiel. Besser ist es, wenn man zwei SMS oder zwei Geschäftsbriefe miteinander vergleichen kann, bei denen man schon von der Form her ähnlichere Textmuster hat. Es kommt natürlich auch darauf an, was zur Verfügung steht.

Derart kurze Texte wie SMS können einen Täter überführen?

Geradezu exemplarisch dafür ist ein Fall, der sich 2009 hier in England ereignete. Ein Mann hatte seine Frau umgebracht. Obwohl sie bereits tot war, verschickte er über das Handy seiner Frau Textnachrichten an ihre Freunde und Verwandte und liess diese glauben, sie hätte die SMS selbst geschrieben. Am Abend zündete er sein Haus an, indem sich auch die Leiche befand. Doch schon bald stellte sich heraus, dass es hier nicht mit rechten Dingen zuging.

Der Leiter unseres Instituts analysierte nun ihre angeblichen SMS vom Tattag und glich diese mit unbestrittenen SMS von ihr und ihrem Ehemann ab. Die Analyse zeigte nicht nur, dass die besagten SMS tatsächlich mit seinem und nicht ihrem Schreibstil übereinstimmten, sondern konnte auch einen temporalen Wechsel lokalisieren, was wiederum als Indizien für die Tatzeit gebraucht werden konnte.

Wie hatte er sich verraten?

Sie beendete viele ihrer Nachrichten mit einem ‹x› ­– im englischen Sprachraum ein Symbol für Kuss. Das verwendete er auch in seinen gefälschten Nachrichten. Beim Abgleich seiner eigenen und der angeblich von seiner Frau verfassten SMS fand man aber folgende Merkmale wieder: Mal tauchte eine Abkürzung auf, die er sonst auch immer gebrauchte, mal fand sich eine Schreibweise, die so in ihren Nachrichten nie vorhanden war. Er verwendete Kommas, während sie diese nie benutzte. Dieser Fall zeigt deutlich, dass wir unbewusst Hinweise in Texten hinterlassen und es sehr schwierig ist, persönliche Schreibmerkmale zu unterdrücken.

Werden Sie noch länger in England bleiben?

Eigentlich wollte ich nach meiner Doktorarbeit in die USA gehen. Wegen der Pandemie musste ich das jetzt aber erst einmal auf Eis legen.

Was fasziniert Sie an den USA?

Spannend und in gleicher Weise beängstigend finde ich das Strafjustizsystem. Es unterscheidet sich sehr von dem Grossbritanniens, gerade wenn es um polizeiliche Vorgehen einschliesslich Verhören geht. In gewissen Gefängnissen der USA ist es möglich, einen College- oder Universitätsabschluss zu machen. Weil ich gerne doziere, würde ich gerne an einer Universität tätig sein und zudem als Lehrperson mit inhaftierten Menschen arbeiten.

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