Blinder ExtremsportlerSteven Mack – Todessprung ins Leben
Niels Walter
25.1.2019
Steven Mack ist ein Schweizer Extremsportler. Er sprang von Brücken, stieg auf Berge – bis er, gerade einmal 20-jährig, nach einem 150-Meter-Horrorsturz blind aus dem Koma erwachte. Gebremst hat ihn das fast nicht.
Steven Mack wird 1986 geboren und wächst in der Nähe von Zürich auf. Er macht eine Lehre als Hochbauzeichner und denkt: «Das ist kein Leben!» Auf der Suche nach dem, was ihn glücklich macht, lotet er seine Grenzen aus.
Er klettert auf Gipfel, springt an Seilen von Bäumen und Brücken, taucht in vereisten Seen, lebt im Wald und übernachtet im Schnee. Nur wenn er Wind und Wetter ausgesetzt ist, an Felswänden und über Abgründen hängt und unter freiem Himmel schläft, fühlt er sich lebendig. Eine Lebendigkeit, die ihn fast das Leben kostet.
Bei einem Pendelsprung von der berühmten Ganterbrücke im Wallis reissen 2006 die Seile. Er stürzt 150 Meter in die Tiefe. Ein Baum rettet ihn vor dem sicheren Tod. Stevens ist schwer am Kopf verletzt, sein übriger Körper übersteht den Aufprall auf wundersame Weise fast unversehrt. Als Steven Mack aus dem Koma erwacht, ist er blind.
Die Originalausgabe des Buches «Der Blindgänger – Das gewagte Leben des Steven Mack» erschien 2011. Jetzt, sieben Jahre später, führte Autor Niels Walter für das nun vorliegende Taschenbuch ein langes Gespräch mit Steven Mack über sein Leben heute.
«Bluewin» publiziert exklusiv eine gekürzte Version – plus können die Leserinnen und Leser am Ende der Geschichte das Taschenbuch «Der Blindgänger» zu einem vergünstigten Preis bestellen.
Ferngespräche zwischen Havanna und Adelboden
Steven Mack lebt inzwischen im Berner Oberland, Niels Walter seit längerem in Kuba und Mexiko, weshalb die beiden den Kontakt verloren haben. Sieben Jahre nach dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches haben sich die beiden per Internet-Telefonie wieder über Steven Macks Leben, sein Ringen mit Dämonen und andere Abenteuer unterhalten. Was ist aus dem «Blindgänger» geworden? Auszüge aus den Ferngesprächen zwischen Havanna und Adelboden.
Steven, du atmest kurz und schnell wie ein Sprinter nach dem Zieleinlauf. Kommst du gerade vom Sport?
Nein, ich bin nur zum Telefon geeilt. Ich war mit Kindern auf den Bäumen vor unserem Haus, wo ich einen kleinen Seilpark eingerichtet habe. Heute Nachmittag sind ein paar Knaben und Mädchen aus dem Dorf zu uns hochgekommen. Ich zeige ihnen, wie man sich sicher in den Seilen und im Geäst bewegt. Reines Freizeitvergnügen in der Natur, nichts Gefährliches.
Na ja, du könntest mit ihnen auch auf dem sicheren Waldboden eine Wurst auf dem Feuer braten.
Stimmt, aber da müssten die Kinder für mich den Blindenführer machen und mir alles zeigen. Den Seilpark in den Bäumen habe ich selbst eingerichtet, die Distanzen zwischen den Stämmen ausgemessen, die Seile gespannt, Strickleitern gemacht und aufgehängt. Ich kenne jede Schlaufe, jedes Seil und jeden Ast und kann den Kindern einiges vermitteln – nicht nur Technisches, sondern auch Dinge wie Selbsteinschätzung, Umgang mit Angst, Gruppendruck. Die Bäume, ein halbes Dutzend fünfundzwanzig Meter hohe Rottannen, hat mir eine Bäuerin geschenkt.
Immer noch der wagemutige «Blindgänger» Steven, der hoch hinaus muss und den Nervenkitzel sucht?
Falscher Eindruck. Von jenem Leben habe ich mich verabschiedet. Ich bin nicht mehr nur der starke Blinde, der furchtlos durchs Leben geht und sich waghalsig Gefahren aussetzt. Meine alte Heimat Volketswil, mein Leben im Grossraum Zürich, die Auftritte und Vorträge, an denen ich über Gefahren und Risiken dozierte – das alles habe ich hinter mir gelassen. Ich habe seit fünf Jahren eine feste Partnerin, seit Sommer 2017 sind wir verheiratet, mit ihr und ihrem jüngsten Sohn wohne ich seit vier Jahren im Berner Oberland, etwas abgelegen in einem Chalet oberhalb von Adelboden. Ihre zwei älteren Söhne sind inzwischen erwachsen und ausgezogen.
Ein neues Leben?
Ziemlich anders, ja. Die letzten sieben Jahren waren eine Katharsis, in der ich Abstürze überlebte, die schlimmer waren als mein Sturz von der Ganterbrücke. Im Vergleich zu jener Zeit nach dem Unfall, als ich mich mit aller Kraft und einem völlig übersteigerten Selbstbewusstsein ins Leben zurück und wieder nach oben kämpfte, war ich in den vergangenen Jahren zeitweise nur noch ein Häufchen Elend.
«Ich bin blind, na und? Ich bin happy, habe alles im Griff und keine Schmerzen.»
Was ist geschehen?
Wie soll ich sagen? Ich habe einen steinigen Weg hinter mir. Eine Reise zu mir selbst, meinen Ängsten und Schwächen, in die Trauer und Verzweiflung, das Alleinsein und das Blindsein. Kurz, eine Reise zu jenem Steven, dem ich fünfundzwanzig Jahre lang ausgewichen bin, zwanzig Jahre vor meinem Unfall und die ersten fünf Jahre danach. Die Vorträge, die Buchpräsentationen, Lesungen und Medienauftritte, immer wieder meine spektakuläre Geschichte erzählen: All das hatte mich mit der Zeit sehr ermüdet.
Wie begann diese Reise zum anderen Steven?
Zuerst war es einfach einmal ein Abbremsen. Ich schaltete ein paar Gänge runter, sagte einige geplante Vorträge und Termine ab, ebenso das Vorhaben, in Dubai die Fassade eines Wolkenkratzers hinaufzuklettern. Das gab mir schon mal etwas Zeit und Raum, auf die ersten Jahre nach dem Unfall zurückzublicken. Der Steven, den ich da vor mir sah, begann mich anzuwidern. Ich wollte nichts mehr mit diesem Typ zu tun haben, der alle davon überzeugen wollte: «Ich bin blind, na und? Ich bin happy, habe alles im Griff und keine Schmerzen.» Das war eine unbewusste Masche.
Bist du selbst zu dieser Erkenntnis gelangt, oder steckt dahinter wieder eine Heilslehre, wie du sie nach dem Unfall eine Zeit lang in grosser Zahl gesucht hattest?
Nein, nichts von beidem. Ich würde es so beschreiben: Nach dem Unfall rannte ich auf demselben Weg weiter wie zuvor. Immer vorwärts, stets auf der Suche nach dem nächsten Adrenalinkick. Früher holte ich ihn mir am Berg und im Extremsport, nach dem Unfall mit öffentlichen Auftritten und in abenteuerlichen Bekanntschaften, im Sex. Letztlich ging es mir immer nur darum, Anerkennung zu suchen, meine innere Leere zu füllen – und dies im Modus der permanenten ausserordentlichen Leistung, der Extremleistung. Ich kannte nichts anderes. Ich war süchtig danach, mich stets gegenüber mir selbst zu beweisen. Doch das ist verdammt anstrengend, gerade als Blinder. Diese ununterbrochene Anstrengung nutzte mich ab, machte mich, wie ich schon sagte, müde – und wahrscheinlich offen für den Weg der Erkenntnis und für den Glauben.
Wirklich? Den Weg zu Gott?
Der tat sich erst später auf, in einer religiösen Gruppe, die dann aber auch nur ein Teilstück meines Weges war. Es begann mit einer Frau. Sandra.
Eine irdische Rettung.
Nein, das Gerettetwerden ist komplizierter. Ich würde es als Hilfe oder wichtigen Anstoss bezeichnen. Sandra gab mir zu verstehen, dass der Steven, den sie damals, im Jahr 2012, an einem Vortrag auf dem Podium sah, nur eine Seite von mir zeigte. Sie kam auf mich zu und sagte mir unverblümt, dass jener Steven eine Maske sei, dass ich ein grosses Theater aufführe. Für mich war das ein Schlag ins Gesicht. Wochen später trafen wir uns wieder. Wir näherten uns einander behutsam an. Sie sah in mir noch einen anderen Steven, und ich liess mich auf sie und auf diesen Steven ein. Zuerst auf meine typische Art: extrem und radikal. (...)
Es handelt sich hier um einen originalen Textauszug. Deshalb erfolgten keine Anpassungen gemäss «Bluewin»-Regeln.
Leserangebot «Der Blindgänger»
«Bluewin»-Leserinnen und -Leser können das Taschenbuch «Der Blindgänger – Das gewagte Leben des Steven Mack» unter dem Codewort bw19bg zum Spezialpreis von Fr. 14.90 statt Fr. 17.90 (inkl. Porto/Verpackung) bestellen. Entweder direkt über die Homepage: www.woerterseh.ch, per Mail: leserangebot@woerterseh.ch oder telefonisch unter: 044 368 33 68. Bitte Codewort nicht vergessen.
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