Dermatologe im Interview  «Wie stark man schwitzt, hängt von diversen Faktoren ab»

Von Runa Reinecke

24.7.2019

Sport kurbelt die Schweissproduktion bei Hitze zusätzlich an. 
Sport kurbelt die Schweissproduktion bei Hitze zusätzlich an. 
Bild: iStock

Die hochsommerliche Hitze beschert uns unangenehme Nebenwirkungen. «Bluewin» hat bei einem Spezialisten nachgefragt, was man gegen starkes Schwitzen tun kann und wann man deshalb einen Arzt aufsuchen sollte.  

In dubio pro Deo –  sind Schweisshemmer mit Aluminiumsalzen wirklich gesundheitsschädlich? Und falls ja, gibt es wirksame Alternativen?

Antonio Cozzio ist Dermatologe und weiss, wie man während der momentan herrschenden Temperaturen einigermassen trocken durch den Tag kommt.

Herr Cozzio, warum schwitzen wir überhaupt?

Das macht unser Körper, um die Temperatur zu regulieren: Es bildet sich ein Feuchtigkeitsfilm auf der Haut, der verdampft. Dadurch wird dem Körper Wärme entzogen, und das kühlt uns ab. Ohne diesen Mechanismus könnten wir gar nicht überleben.

Aber wir schwitzen nicht immer am ganzen Körper …

Das gilt für das sogenannte thermoregulatorische Schwitzen, etwa, wenn uns beim Sporttreiben warm wird. Es gibt aber auch noch andere Formen, wie das emotionale Schwitzen, das sich nur an bestimmten Körperstellen, wie der Stirn, unter den Achseln oder an den Handinnenflächen bemerkbar macht. Steht man unter Stress oder ist man nervös, zum Beispiel weil man von «Bluewin» interviewt wird (lacht), sorgt das Hormon Adrenalin dafür, dass sich die Blutgefässe zusammenziehen. Die Haut wird kalt – dann spricht man von kaltem Schweiss auf der Stirn.

Prof. Dr. Dr. Antonio Cozzio ist Facharzt für Dermatologie und Venerologie FMH. Als Chefarzt leitet er die Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Kantonsspital St. Gallen.
Prof. Dr. Dr. Antonio Cozzio ist Facharzt für Dermatologie und Venerologie FMH. Als Chefarzt leitet er die Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Kantonsspital St. Gallen.
Bild: zVg

Warum riecht der Schweiss so unangenehm?

Das tut er nicht immer. Der frische Schweiss ist an sich geruchsfrei. Er fängt erst dann an zu stinken, wenn Bakterien auf der Haut den Schweiss unter den Achseln, im Genital-, Brust- oder Analbereich in seine einzelnen Bestandteile wie Ameisen- oder Buttersäure zersetzen. Diese Fettsäuren riechen zwar unangenehm, schützen uns aber gegen schädliche Keime. Ich sage es jetzt mal ganz geradeheraus: Am Stinken stirbt man nicht, aber wenn die Haut zu steril ist, breiten sich Bakterien aus, die uns krankmachen können.

Apropos Stinken: Offenbar hat nicht jeder, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, einen guten Riecher für die eigenen Ausdünstungen …

Das mag daran liegen, dass sich die Nase mit der Zeit an den eigenen Geruch gewöhnt und diesen dann nicht mehr als störend wahrnimmt. Das ist in etwa so, wie wenn man einen Raum betritt, in dem es unangenehm riecht – und nach wenigen Minuten bemerkt man kaum mehr etwas davon.

«Am Stinken stirbt man nicht, aber wenn die Haut zu steril ist, breiten sich Bakterien aus, die uns krankmachen können.»

Menschen schwitzen unterschiedlich stark. Was ist noch normal, was nicht?

Eine klare Linie lässt sich da nicht ziehen. Jeder Mensch schwitzt anders, und dies hängt von ganz unterschiedlichen Faktoren, etwa der Veranlagung, ab. Aufmerksam werden sollte man immer dann, wenn sich das Schwitzverhalten im Verlauf des Lebens stark verändert. Hat man bisher kaum oder mässig transpiriert, schwitzt dann aber plötzlich stark, eventuell begleitet von Symptomen wie Gewichtsverlust und Fieber, ist das für Ärzte immer ein Alarmzeichen. Dahinter könnte eine sekundäre Hyperhidrose stecken, bei der man nach einer zugrunde liegenden Krankheit suchen muss.

Welche Ursachen gibt es?

Dass sich dahinter eine Krankheit wie Diabetes, ein Schilddrüsenenleiden oder Krebs verbirgt, ist eher selten. Manchmal verstärken bestimmte Medikamente das Schwitzen. In der Hyperhidrose-Sprechstunde schauen wir uns deshalb auch immer an, welche Mittel die Patientin oder der Patient gerade einnimmt. Der Genuss von scharfen Speisen, Alkohol, Nikotin oder Koffein kann die Schweissproduktion ebenfalls ankurbeln.

Und das sorgt dann für Schweissflecken auf Bluse oder Hemd. Wer darauf verzichten möchte, setzt auf schweisshemmende Deodorants mit Aluminiumchlorid. Wie funktioniert dieser Wirkstoff?

Aluminiumchlorid ist ein Salz. Es verschliesst die Gänge der Schweissdrüsen mechanisch, die Haut bleibt trocken. Nach einer gewissen Zeit werden die Salzkristalle ausgeschieden, und dann beginnt man wieder zu schwitzen.

Aluminiumchlorid steht in Verdacht, bei regelmässiger Anwendung das Brustkrebsrisiko zu erhöhen. Wie beurteilen Sie das als Mediziner?

Die Datenlage hierzu ist noch sehr dünn. Eine der drei wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Thema zeigt einen Zusammenhang, zwei zeigen keinen. Wichtig zu wissen ist, dass es sich bei den drei vorhandenen Analysen um sogenannte retrospektive Studien handelt, das heisst, die Studienteilnehmer wurden im Nachhinein zu ihrem Anwendungsverhalten befragt. Solche Untersuchungen sind unzuverlässig, da man nicht weiss, ob nicht auch andere Faktoren einen Einfluss auf die Entstehung einer Brustkrebserkrankung hatten.

Was raten Sie Ihren Patientinnen und Patienten?

Wir empfehlen unseren Patientinnen und Patienten, diese schweisshemmend wirkenden Deos nicht auf frisch rasierter und somit gereizter oder sogar verletzter Haut anzuwenden. Ich rate dazu, Produkte mit Aluminiumchlorid nicht ständig zu benutzen.

Gibt es denn keine zuverlässig wirkenden Alternativen?

Noch kann ich nichts empfehlen, was bereits auf dem Markt ist. Es gibt aber zwei Stoffe, deren Wirkungsmechanismen ich gemäss Literatur sehr interessant finde. Zum einen das bereits in den USA zugelassene Glycopyrronium und zum anderen ein lokal anwendbares Anticholinergikum. Anticholinergika werden normalerweise als Tablette eingenommen und sind schon seit längerer Zeit für die Behandlung der überaktiven Blase oder der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) im Einsatz. Zu einer ihrer «Nebenwirkungen» zählt die Schweisshemmung, und so kam man auf die clevere Idee, Anticholinergika auch für die äusserliche Anwendung zu testen. Offenbar mit Erfolg. Wann und ob die beiden Wirkstoffe in der Schweiz verfügbar sein werden, ist aber noch nicht bekannt.

Für wen kommt eine Behandlung mit Botulinumtoxin infrage?

Wenn eine Patientin oder ein Patient unter einer Hyperhidrose, also unter krankhaftem Schwitzen leidet und eine innere Erkrankung als Ursache dafür ausgeschlossen werden kann. Zu den für die Behandlung geeigneten Arealen gehören die Achselhöhlen oder, etwas weniger geeignet, die Handflächen. Durch gezielte Injektionen mit dem Nervengift wird die Produktion der betreffenden Schweissdrüsen komplett heruntergefahren. Der Nachteil ist, dass die Behandlung nur über einige Wochen bis wenige Monate anhält und dann wiederholt werden muss.

Wird diese Therapie von der Grundversicherung der Krankenkasse übernommen?

Liegt eine starke, krankhafte Form der Hyperhidrose vor, kann man es mit einem Kostenübernahmegesuch versuchen. Normalerweise muss man die Behandlung aber selbst bezahlen.

Wie steht es mit Hausmitteln? Salbeitee soll die Schweissproduktion mindern …

Das empfehle ich manchmal auch. Allerdings gibt es keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die belegen, dass Salbei bei starkem Schwitzen hilft. Persönlich zweifle ich aber nicht daran, dass in unterschiedlichen pflanzlichen Nahrungsmitteln wirksame Substanzen vorkommen, die das Schwitzen hemmen, aber eben auch verstärken können.

Gibt es Medikamente zum Einnehmen, um die Schweissproduktion zu hemmen?

Die gibt es. Gewisse Arzneien aus der Gruppe der Antidepressiva oder Betablocker helfen gegen das emotionale Schwitzen. Mediziner verordnen diese Medikamente aber nur äusserst selten, denn sie beeinflussen den ganzen Organismus und haben Nebenwirkungen. Deshalb versuchen wir das, so lange wie möglich, lokal zu behandeln.

«Ich zweifle nicht daran, dass in unterschiedlichen pflanzlichen Nahrungsmitteln wirksame Substanzen vorkommen, die das Schwitzen hemmen, aber eben auch verstärken können.»

Verraten Sie uns noch Ihre persönlichen Tipps, um möglichst trocken durch den Sommer zu kommen?

Alles, was schweisstreibend wirkt, wie Stress, Alkohol, Nikotin oder Kaffee, nach Möglichkeit meiden. Immer nach dem Zwiebelschalenprinzip kleiden – also mehrere dünne Kleidungsstücke übereinander tragen und diese dann, angepasst ans persönliche Temperaturempfinden, aus- beziehungsweise anziehen. Manchen unserer Patientinnen und Patienten hilft es, regelmässig im Wechsel mit warmem und kaltem Wasser zu duschen. Dazu gibt es zwar keine Studien, aber Patienten berichten mir immer wieder über einen positiven Effekt dieser Kneipp-artigen Duschen.

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