Interview Peter Wick: «Vielleicht macht das Coronavirus die Maske salonfähig»

Von Barbara  Schmutz

3.12.2020

Empa-Forscher Peter Wick trägt am liebsten eng anliegende Stoffmasken. Wenn er viel reden muss, setzt er sich eine Chirurgenmaske auf.
Empa-Forscher Peter Wick trägt am liebsten eng anliegende Stoffmasken. Wenn er viel reden muss, setzt er sich eine Chirurgenmaske auf.
Bild: zVg

Er forscht zu Stoffen, die Viren abwehren können: Peter Wick von der Empa hofft, dass Masken künftig zu einem Accessoire wie Schals werden. Dann könnten Risikopatienten auch während Grippewellen Maske tragen, ohne schräg angeguckt zu werden.

Herr Wick, seit der ersten Corona-Welle erforscht die Empa Community-Masken. Welche Erkenntnisse konnten Sie in den vergangenen Monaten gewinnen?

Die wichtigste und beeindruckendste war, wie schnell es gelang, eine Community-Maske auf den Markt zu bringen, die mehr als nur ein Stück Stoff vor dem Gesicht ist. Zu Beginn der Pandemie, als wir in der Schweiz zu wenig Masken hatten, entstand innert kürzester Zeit ein loser Wissenschaftsverbund, bestehend aus Empa-Forscherinnen und -forschern, Materialwissenschaftlern, Ärzten, Biologinnen und Aerosol-Experten.

Was passiert sonst noch?

Parallel dazu wurde die nationale Covid-19-Science-Taskforce gegründet. Gleichzeitig bekamen wir von Schweizer KMUs unzählige Masken-Prototypen zugeschickt. Die einen sahen aus, als würde man einen Kaffeefilter im Gesicht tragen, andere erinnerten an die Stoffmasken, die heute allgegenwärtig sind. Alle wollten einen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten, weil sie aber nicht wussten, was die Maske zu erfüllen hat, wandten sie sich für eine klare Guideline an uns.

Woran orientierten Sie sich beim Masken-Design?

An den Medizinern im Netzwerk. Sie machten sich für eine Maske stark, die mindestens so gut ist wie eine Chirurgenmaske, aber zusätzlich hilft, die Aerosole zu reduzieren. Der Krisenstab des Bundes hatte der Covid-19-Science-Taskforce den Auftrag erteilt, eine Empfehlung für die Community-Masken zu entwickeln. Die Spezifikationen, die wir daraufhin entwickelten, dienten der Textil- und Filterindustrie dazu, entsprechende Masken zu produzieren.

Zur Person: Peter Wick

Peter Wick, 49, studierte an der Universität Fribourg Biologie, mit Schwerpunkt Zell- und Molekularbiologie. Nach Assistenzjahren an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Fribourg wechselte er im Jahr 2002 an die Empa nach St. Gallen. Hier erforscht er zusammen mit seinem Team und Partnern in Medizin und Industrie Materialien und Konzepte für Gesundheitslösungen. Seit 2014 ist Wick Leiter der Abteilung Particles-Biology Interactions.

Kamen auch die Vorschläge für Stoffe von den Wissenschaftlern?

Nein, die Produzenten entschieden zusammen mit ihren Textilingenieuren selber, welche Stoffe sie verwenden wollten, die sind kreativ genug. Die Empfehlungen gaben nur vor, was die Maske können muss: Tröpfchen und Aerosole abhalten und so luftdurchlässig sein, dass man gut atmen kann, andernfalls tragen sie die Leute nicht – und sie soll wiederverwendbar sein. Bei den ersten Masken, die gefertigt wurden, waren Filtration und Luftdurchlässigkeit noch verbesserungsfähig, doch schon bald erreichten die Textilingenieure die Werte, die wir mit den Medizinern definiert hatten.

Auf dem Markt sind diese Masken nun als diejenigen, die von der Covid-19-Science-Taskforce empfohlen werden.

Ja, und sie tragen das Label von Testex- oder SQTS. Auf dem Beipackzettel steht unter anderem, wie viele Waschgänge die Maske überstehen muss, ohne an Performance zu verlieren. Doch trotz der Empfehlungen der Taskforce sind die Community-Masken keine Schutzmasken wie die FFP-Masken oder die Chirurgenmasken. Aber beim Pendeln im Zug oder überall dort, wo der nötige Abstand zu anderen Leuten nicht eingehalten werden kann, reduzieren sie das Risiko, dass man sich ansteckt.

Was ist mit all den Stoffmasken, die man bei Grossverteilern, in Warenhäusern oder in Boutiquen kaufen kann?

Maskenproduzenten, die mit einem Hightech-Produkt ernsthaft einen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten wollen, lassen ihre Produkte prüfen und bekommen danach ein Label von Testex oder von SQTS. Die Labels zeigen, dass die Masken den Empfehlungen der Covid-19-Science-Taskforce entsprechen. Es gibt auch Masken ohne Label, die in Kleinmanufakturen hergestellt werden. Die sind nicht zwingend schlecht.

Was wir sagen können: Wenn Masken ohne Label aus einem guten Textil fabriziert sind, filtern sie wahrscheinlich Tröpfchen gut, sind aber vielleicht strenger zum Atmen. Ist eine Maske aber lediglich aus einem zweimal gefalteten Baumwollstoff genäht, sieht man ja selber, dass die kaum viel taugt. Es gab einen Youtuber, der verschiedene Masken testete, indem er versuchte, durch die Maske hindurch eine Kerze auszublasen. Sein Fazit: Gelingt es, ist die Maske schlecht. Das kann ich bis zu einem Grad unterschreiben. Nur ist es längst nicht in jedem Fall so, dass die Maske gut ist, wenn die Kerze nicht ausgeblasen werden kann. Das ist eben die Krux.

Könnten die von der Taskforce empfohlenen Schweizer Community-Marken dereinst Vorbild für eine europäische Stoffmasken-Norm sein?

Wir haben festgestellt, dass unsere Taskforce-Empfehlungen über die Landesgrenze hinaus Anklang finden, wir stehen etwa in direktem Kontakt mit der Afnor, der offiziellen französischen Stelle für Normung. Tatsächlich hat der Schweizerische Normenverband erkannt, dass die Spezifikationen für die Produktion von Community-Masken so gut sind, dass es sich lohnt, daraus eine Schweizer Regel zu machen. Das ändert für die Konsumenten direkt nichts, aber uns gibt es die Möglichkeit, bei der Normendiskussion auf europäischem Level aktiv mitzumachen. Die Franzosen arbeiten ebenfalls an einem Normenpapier. Vorbild für ihre Community-Maske war die Schutzmaske. Erstaunlicherweise sind ihre Beschreibungen und Empfehlungen für eine Community-Maske fast dieselben wie die der Taskforce, mit einem Unterschied: Sie liessen den Tröpfchenschutz komplett weg. Das finden wir schade, denn wir wissen, dass Covid-19 eine Tröpfchen-Infektionskrankheit ist.



Mal waren die Tröpfchen das grosse Problem, dann die Aerosole. Wenig später dann konnte man lesen, dass die Aerosole doch nicht so problematisch seien.

Das war eine unglückliche Kommunikation. Spricht man mit Infektiologen, unterscheiden sie nicht zwischen Tröpfchen- und Aerosol-Infektion. Sondern eher zwischen Tröpfchen- und Schmierinfektionen.

Welche Materialien halten denn die Viren-Tröpfchen und Aerosole ab oder machen sie gar unschädlich?

Community-Masken ohne antivirale Beschichtung funktionieren rein über Filtration. Meistens bestehen sie aus zwei Komponenten: Einer luftdurchlässigen Textilschicht, die Tröpfchen und Aerosole filtert, und einer zweiten Schicht, ich nenne sie den Fashion-Anteil, die den Filter schützt. Bei den Masken mit antiviraler Beschichtung wird das Textil speziell ausgerüstet, zum Beispiel mit einer positiven Ladung. Trifft nun das Coronavirus mit seiner negativ geladenen Hülle auf die Maske, werden die Virenstrukturen so stark an die positive Ladung gebunden, dass das Virus inaktiviert wird, im besten Fall sogar kaputtgeht.

Sie forschen nicht nur an antiviralen Textilien für Masken, sondern auch für Sitzbezüge etwa für den öffentlichen Verkehr. Wie weit ist diese Forschung?

Wir unterstützen unsere Industriepartner in dieser Richtung. Sobald ein antiviraler Stoff für Masken entwickelt ist, kann man diesen auch anderweitig verwenden, zum Beispiel für Vorhänge oder für Sitzbezüge. Will man mit einem antiviralen Stoff Sitze in Trams, Bussen oder Flugzeugen beziehen, müsste er weiterentwickelt werden, damit die Beschichtung aufgrund der deutlich grösseren mechanischen Belastung nicht innert Kürze weggesessen wird. Wenn man den Dreh aber mal raushat, stehen einem verschiedene Marktfelder offen. Man kann Luftfilter mit antiviralen Vliesen ausrüsten oder man kann die Vorhänge, die auf Notfallstationen die einzelnen Kabinen abtrennen, mit einer antiviralen Beschichtung versehen.

Wir wissen vom Contact-Tracing, dass 15 Minuten Kontakt mit einer infizierten Person reichen, um sich anzustecken – wenn der Kranke und die Gesunde keine Maske tragen. Wie lange dauert es denn, wenn sich beide mit Maske schützen?

Wir sind daran, Algorithmen zu entwickeln, die Eingabeparameter so weit zu verfeinern, dass wir eine immer bessere Voraussagbarkeit bekommen. Wenn 15 Minuten ungeschützter Kontakt mit einem ebenfalls ungeschützten Infizierten reichen, um angesteckt zu werden, kann sich die Zeit mit Maske ohne Weiteres vervier-, verfünf- oder verzehnfachen, je nach Maskentyp, Raumgrösse und dem Abstand zu anderen. Modellierungen dazu sind in der Pipeline oder werden, vor allem von China, derzeit fast wöchentlich publiziert. Die Chinesen haben verschiedene Infektionen rekonstruiert.

Erzählen Sie bitte.

Ein Fall, der berühmt geworden ist, stammt aus dem Monat April. Damals konnte eine Infektion zurückverfolgt werden. In einem Restaurant steckte ein Infizierter andere Gäste an. Nachdem es gelungen war, das Restaurant herauszufinden, untersuchten Wissenschaftler die Lüftung – sie hatte keinen Filter. In einem weiteren Schritt konnten im sogenannten Rückwärts-Contact-Tracing die Gäste ausfindig gemacht werden, die sich angesteckt hatten. Man stellte fest, dass alle in der Ecke des Restaurants sassen, in der dieselbe Luft zirkulierte wie dort, wo der infizierte Gast sass. Diejenigen Gäste, die weiter weg am Essen waren, in einer Ecke mit anderer Zirkulationslüftung, die blieben gesund. Das ist der Vorteil des Rückwärts-Contract-Tracings: Man kann Infizierte und einen Ansteckungsort identifizieren und dann versuchen, die Situation so gut wie möglich zu rekonstruieren, um zu verstehen, warum sich die einen Menschen anstecken und andere nicht.



Die Erkenntnisse, die an der Empa und in der Covid-19-Science-Taskforce gewonnen werden, sollen nicht nur in der jetzigen Pandemie von Nutzen sein, sondern auch für allenfalls folgende.

Richtig, an der Empa forschen wir seit jeher an Textilien für den medizinischen oder technischen Bereich. Zum Beispiel an Shirts mit Sensoren, die Vitalfunktionen messen, oder wir untersuchen, wie gut man mit einer Jacke, die mit Solarzellen ausgerüstet ist, das Handy laden kann. Diesen Spielraum nutzen wir nun auch für Masken. Unser Ziel ist es, dass die Textilindustrie aus antiviral beschichteten Stoffen Masken produzieren kann, die schützen, komfortabel zu tragen sind und ansprechend aussehen. Denn wenn die Maske dereinst zum Accessoire wird, das so selbstverständlich getragen wird wie Krawatten, Schals oder Foulards, fällt es Risikopersonen viel einfacher, etwa während der alljährlich wiederkehrenden Grippewelle eine Maske zu tragen, sie werden dann nicht mehr schräg angeguckt. Vielleicht macht das Coronavirus die Maske salonfähig.

Stoffmasken, die mehrmals getragen werden können, sind nachhaltiger als Einwegmasken. Wird es in Zukunft auch kompostierbare Masken geben?

Die Einwegmaske ist tatsächlich ein Problem. Würden alle, die eine Maske tragen müssen, diese jeden Tag wechseln, wären wir bei einem Verbrauch im Millionenbereich. So viele sind es derzeit nicht, weil nicht alle täglich die Maske wechseln. Die einen aus Kostengründen, die anderen, weil sie Abfall vermeiden wollen. Kompostierbare Masken sind sicher eine Überlegung wert, es gibt kompostierbaren Plastik, noch ist der aber extrem teuer. Ob die Maske das Produkt ist, das den kompostierbaren Plastik populär macht, wird die Zukunft zeigen. Wahrscheinlicher ist es, dass für die Produktion von neuen Masken alte wiederverwendet werden. Ich denke da etwa an Upcycling oder an Second Use. So können die Masken zu einem weiteren guten Beispiel für eine künftige zirkuläre Wirtschaft werden.

Wie gut sind die Maskenschläuche, die derzeit für den Wintersport propagiert werden?

Wenn die Schläuche die Anforderungen der Community-Masken-Empfehlung erfüllen und so sitzen, dass sie nicht verrutschen können, ist das sicherlich ein gangbarer Weg. Was die herkömmliche Maske mit den Gummibändeln betrifft – vielleicht tüftelt ja bereits ein Skihelm-Hersteller an Modellen, die es möglich machen, die Maske am Helm zu befestigen. Sicher ist: Mit Handschuhen, vor allem mit Fausthandschuhen, wird es schwieriger sein, Masken aufzusetzen. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Schweizer Hersteller auch für dieses Problem Lösungen finden werden.

Welches Modell tragen Sie am liebsten?

Mittlerweile habe ich ein ganzes Set von Masken, die von der Taskforce empfohlen werden. Ich will wissen, wie sich die verschiedenen Community-Masken anfühlen. Jetzt, wo es kalt ist, trage ich am liebsten die eng anliegenden Stoffmasken. Wenn ich viel reden muss, setze ich die Chirurgenmaske auf. Man hat mir gesagt, dass die Akustik bei meinem Stimmtimbre so die beste sei.

Geprüfte Community-Masken: Unter swisstextiles.ch sind Produzenten aufgeführt, die Masken nach den Empfehlungen der Covid-19-Science-Taskforce fabrizieren.

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