Neue Ansätze HIV-Behandlung im Wandel – Duale Therapie und Antikörper

Walter Willems, dpa

30.11.2018

Am 01. Dezember ist Welt-Aids-Tag. Obwohl man das Virus inzwischen medikamentös gut im Griff hat, wird fleissig weitergeforscht.
Am 01. Dezember ist Welt-Aids-Tag. Obwohl man das Virus inzwischen medikamentös gut im Griff hat, wird fleissig weitergeforscht.
Bild: Getty Images

Gut 30 Jahre nach dem Beginn der Aids-Pandemie können Mediziner die Erkrankung gut kontrollieren. Neue Medikamenten-Kombinationen und alternative Therapie-Ideen könnten das Leben der Patienten weiter verbessern.

Vor gut 20 Jahren revolutionierte die antiretrovirale Therapie (ART) die Behandlung von HIV-Patienten. Die Kombination von mindestens drei HIV-Medikamenten drückt die Viruslast im Blut der Patienten unter die Nachweisgrenze und verhindert den Ausbruch der Immunschwächekrankheit Aids. Damit wurde die HIV-Infektion zu einer chronischen Erkrankung. Inzwischen steht die über Jahrzehnte etablierte Therapie im Wandel: Der Dreier-Cocktail wird zunehmend ersetzt durch nur noch zwei Medikamente.

Das Präparat Juluca – eine Kombination der Wirkstoffe Dolutegravir und Rilpivirin – wurde schon im Frühjahr in der EU zugelassen. Es ist gedacht für HIV-Patienten, die seit mindestens sechs Monaten stabil auf eine retrovirale Dreifach-Therapie eingestellt sind. Nur dann kommen sie für die Umstellung auf zwei Mittel infrage.

«Wir haben jetzt die Möglichkeit, bei vielen Patienten eine duale Therapie einzusetzen», sagt Norbert Brockmeyer von der Uniklinik Bochum. «Inzwischen sind mehrere Medikamente so potent, dass man von dem Dogma 'mindestens drei Wirkstoffe' wegkommt. Diese Therapie ist ähnlich wirksam, hat aber weniger Nebenwirkungen», betont der Sprecher des Kompetenznetzes HIV/Aids. «Für das Gros der Patienten reicht das völlig aus.»

Die aufregendste HIV-Studie 

Ob ein Zweier-Regime auch als Anfangstherapie taugen kann, prüften Mediziner um Pedro Cahn von der Uniklinik Buenos Aires (Argentinien). Vor kurzem stellten sie im Fachblatt «The Lancet» Zwischenresultate von zwei Zulassungsstudien mit den Wirkstoffen Dolutegravir und Lamivudin vor, die vom Pharmakonzern ViiV Healthcare finanziert wurden. Insgesamt bekamen etwa 1440 Patienten entweder eine Dreifach- oder aber die Zweifach-Kombination.

Nach 48 Wochen war der Anteil der Patienten, bei denen die Viruslast deutlich gefallen war, in beiden Gruppen mit gut 90 Prozent vergleichbar – wobei die Dreifach-Therapie minimal besser abschnitt. Zu einem vermehrten Auftreten von Resistenzen führte die duale Therapie nicht. «Das war die aufregendste HIV-Studie in diesem Jahr», sagt Jürgen Rockstroh vom Uniklinikum Bonn. Die Daten über 96 Wochen stünden allerdings noch aus.

Deutlich weniger Neben- und Wechselwirkungen

Vom Wegfall eines Medikaments profitierten vor allem jene Patienten, die auch wegen anderer Gesundheitsprobleme Arzneien einnähmen, sagt Brockmeyer. «Die meisten HIV-Patienten sind inzwischen über 50 Jahre alt», erläutert der Mediziner. Viele nähmen Medikamente auch wegen Herz-Kreislauferkrankungen oder neurologischer Beschwerden. «Wenn wir nur zwei HIV-Medikamente brauchen, reduzieren sich die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arzneien. Das ist eine deutliche Verbesserung.»

Dass sich die Zahl der HIV-Arzneien grundsätzlich verringern lässt, führt er auf die Entwicklung neuer Wirkstoffe in den letzten Jahren zurück. «Es hat sich unglaublich viel getan bei Medikamenten», betont der Mediziner, «deshalb ist die duale Therapie überhaupt möglich.» Grundsätzlich können Ärzte zurzeit zwischen weit mehr als 30 Präparaten aus sechs Wirkstoffklassen wählen. Damit lässt sich die Infektion bei fast allen Patienten kontrollieren.

Fortschritte verzeichnet die HIV-Therapie auch mit Antikörpern. Die Idee ist nicht neu: Schon Mitte der 1980er Jahre – das Virus war erst kurz zuvor identifiziert worden – schlugen Mediziner vor, den Aids-Erreger mit Antikörpern zu bekämpfen. Doch der Ansatz trat in den Hintergrund – weil frühe Studien enttäuschten und vor allem weil 1996 die antivirale Therapie aufkam.

Natürliche hochpotente Antikörper

Doch in den letzten Jahren wurde die Idee wieder aufgegriffen – mit sogenannten breit neutralisierenden Antikörpern (bnAB), die mehrere verschiedene HIV-Varianten neutralisieren können. «Das Feld hat sich in den letzten fünf bis acht Jahren sehr stark entwickelt, auch aus technischen Gründen», sagt Florian Klein, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Köln. Inzwischen könne man sehr potente hochspezifische Antikörper synthetisch herstellen. «Das sind rein humane Antikörper, die aus HIV-infizierten Menschen isoliert wurden, die eine besonders starke Antiköper-Antwort gegen das Virus zeigten», sagt Klein.

Antikörper erlangten immer breitere medizinische Anwendungen, schrieb Klein mit seinem Kölner Kollegen Henning Gruell jüngst in einem Übersichtsartikel im Fachblatt «Retrovirology». Inzwischen seien mehr als 70 Antikörper zugelassen, unter anderem gegen Krebs, Autoimmun-Erkrankungen und einige wenige auch gegen bakterielle und virale Krankheitserreger. Im März kam in den USA ein Antikörper für die HIV-Therapie auf den Markt. Ibalizumab bindet an die CD4-Zellen des Immunsystems, das Hauptziel der HI-Viren, die diese Zellen dann nicht mehr entern können.

Grundsätzlich verfolgt der Einsatz von breit neutralisierenden Antikörpern in der HIV-Therapie jedoch eine andere Strategie: Die Antikörper blockieren am Virus selbst mögliche Bindestellen, so dass der Erreger keine Zielzellen mehr infizieren kann. Das Virus kann dann abgebaut werden. Damit ein Antikörper möglichst breit wirkt, sollte er möglichst viele HIV-Varianten neutralisieren. Und um Resistenzen zu verhindern, wollen Forscher – ähnlich wie bei der konventionellen antiretroviralen Therapie – mindestens zwei verschiedene Antikörper miteinander kombinieren.

Wie gut der Ansatz funktioniert, darüber berichtete Klein zusammen mit US-Kollegen Ende September in den Zeitschriften «Nature» und «Nature Medicine». Sie hatten mehr als 30 Patienten die beiden Antikörper 3BNC117 und 10-1074 drei Mal intravenös verabreicht, im Abstand von jeweils drei Wochen. Danach war die Viruslast bei jenen Patienten, die die vorherige konventionelle Therapie abgebrochen hatten, im Mittel für 21 Wochen kontrolliert, das Virus war während dieser Zeit im Blut nicht nachweisbar.

Konventionelle Therapie weiterhin gefragt

«Bei zwei Patienten hielt die Wirkung sogar mehr als 30 Wochen an», sagt Klein. Generell, so der Virologe, hänge die Dauer der Wirkung von der Halbwertzeit der Antikörper ab. Und die lasse sich noch verlängern. Zudem hofft Klein auf einen zweiten Effekt. «Die Antikörper-Gabe könnte auch eine Hilfestellung für das Immunsystem bieten», sagt er. Seine Hoffnung: Die Therapie könnte die Körperabwehr gegen das HI-Virus aktivieren. Darauf deuten Untersuchungen an Menschen und Affen hin. Derzeit, so schreiben Gruell und Klein, prüften mehr als 30 Studien das Potenzial von Antikörper-Therapien gegen HIV.

Eine alleinige Alternative zur konventionellen Behandlung bietet das Verfahren aber noch lange nicht – auch weil die derzeitige Therapie sehr erfolgreich und leicht verfügbar ist. «Daher braucht der klinische Einsatz breit neutralisierender Antikörper nicht nur sichere und hochaktive Produkte, sondern er hängt auch von der Einfachheit der Verabreichung und den richtigen Einsatzstrategien ab», schreiben Gruell und Klein.

Unter bestimmten Bedingungen könnte die Antikörper-Therapie jedoch Vorteile bieten, so Klein. Sie könnte etwa jenen Patienten helfen, die verschiedene HI-Viren mit unterschiedlichen Resistenzen tragen. Ein weiterer Vorteil sei, dass die Antikörper seltener gegeben werden müssen. «Wenn man die Antikörper alle drei Monate oder noch seltener verabreichen muss, wäre der Ansatz vorstellbar.» Ein Nachteil könnte allerdings der Preis sein, insbesondere bei Dreifach-Kombinationen. Antikörper zählen derzeit noch zu den teuersten medikamentösen Therapien überhaupt.

Der Bonner Infektiologe Rockstroh sieht die Antikörper-Therapie mit Skepsis. «Eine fallende Viruslast erreichen wir auch mit anderen Medikamenten», sagt der Immunologe vom Uniklinikum Bonn. «Ich glaube nicht, dass Antikörper die derzeitige Therapie ersetzen werden.»

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