Mit Pia Sundhage soll eine renommierte Trainerin das Schweizer Nationalteam der Frauen an die EM 2025 führen. Die 63-jährige Schwedin will ihren grossen Erfahrungsschatz nutzen.
Eigentlich soll an diesem Abend in Bern der Fokus ganz woanders liegen. An der Swiss Football Night sollen am Montag die besten Fussballerinnen und Fussballer des Jahres für ihre Leistungen 2023 gekürt werden. Doch irgendwann geistert in den edlen Hallen des Casinos das Gerücht herum, das Schweizer Nationalteam der Frauen habe eine neue Trainerin. Ein Blick auf die Website des Schweizerischen Fussball Verbands (SFV) verrät: Es ist mehr als ein Gerücht. Die Newsmeldung, die eigentlich erst am Dienstagmorgen vom SFV hätte aufgeschaltet werden wollen, ist für kurze Zeit frei einsehbar, und so verbreitet sich zwischen Cüpli und Canapé schnell, dass künftig eine grosse Figur des Frauenfussballs die besten Schweizer Fussballerinnen betreuen wird: Pia Sundhage.
Der Reiz des Heimturniers
Etwas mehr als zwölf Stunden später sitzt die 63-jährige Schwedin im dritten Stock des SFV-Hauptsitzes in Muri bei Bern und sagt: «Ich bin dankbar und glücklich, diese Chance zu erhalten.» Sundhage hat in ihrem Leben als Fussballerin und Trainerin viel gesehen, viel gewonnen. Die USA führte sie ab 2008 zweimal in Folge zu Olympia-Gold. Mit den Amerikanerinnen, Schweden und zuletzt Brasilien hat sie drei der grössten Nationen und etliche Stars des Sports gecoacht. Hätte sie nach ihrem Aus bei den Brasilianerinnen nach der WM 2023 entschieden, sich zur Ruhe zu setzen, hätte ihr das kaum jemand übel genommen. Aber in ihrem neuen, türkis SFV-Trainingsanzug und mit einem Vertrag bis 2025 ausgestattet sagt sie: «Ich bin immer noch neugierig. Ich habe noch viel Energie.»
Diese Energie ist spürbar. Sundhage lacht viel, als sie zum ersten Mal in ihrer neuen Funktion vor den Medien sitzt. Sie habe sofort gewusst, dass sie die Aufgabe im SFV als Cheftrainerin annehmen wolle, als sie im Dezember kontaktiert worden sei. Weil es sie immer noch reizt, neue Kulturen kennenzulernen, weil sie den Fussball liebt und ihre immense Erfahrung gern weitergibt. Vor allem aber auch, weil die Schweiz Austragungsort der EM 2025 sein wird. Sundhage weiss wie es ist, eine Gastgebernation an eine EM-Endrunde zu führen. 2013 in Schweden coachte sie ihr Heimatland bis in die Halbfinals.
«Nicht viele Trainer erhalten die Möglichkeit, eine Gastgebernation an ein solches Turnier zu führen. Das ist etwas, das ich nicht verpassen wollte», sagt Sundhage. Den Zusammenhalt, den sie damals gespürt, die Euphorie, die sich im ganzen Land entwickelt habe – es sind Dinge, welche die neue Nationaltrainerin in anderthalb Jahren in der Schweiz wieder erleben möchte. «Zu versuchen zu gewinnen, wenn es wirklich zählt und etwas zusammen zu erreichen, ist eines der besten Gefühle überhaupt.»
Die Tugenden der Weltklasse-Teams
Die weitgereiste Schwedin hofft, dass sie die Tugenden, die sie bei ihren verschiedenen Stationen mitbekommen hat, auch ins Schweizer Nationalteam implementieren kann. Sie spricht von der Organisation der Schwedinnen, der Entschlossenheit der Amerikanerinnen, eine Partie um jeden Preis für sich zu entscheiden, und den Emotionen der Brasilianerinnen. «Wenn wir diese drei Dinge zusammenbekommen, wird die EM 2025 fantastisch werden.» Das Heimturnier ist an diesem Vormittag sehr präsent, und die Nomination einer Trainerin mit diesem Renommee zeigt, dass die Verantwortlichen im SFV mit grossen Ambitionen in die nächsten anderthalb Jahre steigen, an deren Ende eine sportlich erfolgreiche Europameisterschaft stehen soll.
Vorerst will Sundhage aber ihr neues Umfeld kennenlernen, eine Wohnung in Zürich oder Bern suchen, Kontakt zu Spielerinnen aufnehmen und sich ein Bild machen, wo das Team steht. Erste Ansprechperson wird Captain Lia Wälti sein, die am Vorabend meinte, die wichtigste Eigenschaft der neuen Trainerin sei neben internationaler Erfahrung die Fähigkeit, das Team zusammenzuschweissen und eine klare Spielidee zu vermitteln, die zu den Spielerinnen passe. Sundhage findet den Prozess des Kennenlernens eines neuen Teams den aufregendsten Teil der Arbeit, schliesslich sei jede Spielerin anders und habe entsprechend andere Bedürfnisse an sie als Coach. «Kommunikation ist das Wichtigste in diesem Job», sagt sie. «Es geht um den Weg, den wir zusammen gehen.»
Mittel gegen die Ernsthaftigkeit
Sundhage ist leidenschaftliche Sängerin. Als sie das US-Team übernahm, versammelte sie die Spielerinnen um sich und sang «The Times They Are A-Changin» von Bob Dylan. Und die Zeiten haben sich für die damals darbenden Amerikanerinnen tatsächlich zum Besseren gewendet. Ob Sundhage beim ersten Zusammenzug der Schweizerinnen Mitte Februar ebenfalls ein Lied parat haben wird, weiss die neue Trainerin noch nicht. Sie möge es, die Spielerinnen zu überraschen, und bei solchen Aktionen gehe es ihr vor allem auch darum, die Botschaft zu vermitteln: «Nehmt das Ganze nicht so ernst. Es ist nur Fussball.» Sie lacht. Natürlich.
sda