«Tatort: Leonessa» im Check Gibt es Sex-Unternehmer im Kindesalter?

tsch

8.3.2020

Der neue «Tatort» mit Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) war ein ekliges Sozialdrama – mit starken Jung-Charakteren. Die verdingten sich als Sex-Unternehmer in eigener Sache, um der Tristesse ihrer Hochhaussiedlung zu entkommen. Gibt es Vorbilder in der Realität?

Zwei 15-Jährige, ein Mädchen und ein Junge, prostituierten sich im Parkhaus am Rande einer tristen Hochhaussiedlung. Mehr Tristesse als im Ludwigshafener «Tatort: Leonessa» geht nicht. Den Ermittlern ging die Geschichte einiger Jugendlicher, deren Eltern ihre Kinder und sich selbst längst aufgegeben hatten, zu Recht an die Nieren. Entsprechend war der «Tatort: Leonessa» nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig.

Worum ging es?

Leon (Michelangelo Fortuzzi) und Vanessa (Lena Urzendowsky), zwei Kids aus dem Sozialblock, sind für ihre «Gehaltsklasse» viel zu teuer angezogen. Die 15- oder 16-Jährigen lassen sich nach absolviertem Hauptschulabschluss durch den Tag treiben. Ihre vor dem Fernseher festgewachsenen oder daueralkoholisierten Eltern beachten die Kinder kaum.

Als ein Nachbar, der etwa gleichaltrige Samir (Mohamed Issa), den Kneipenwirt des Viertels erschossen hinterm Tresen findet, stossen die Ermittlerinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) auch auf das Geheimnis der Jugendlichen: Sie verkaufen ihre Körper auf dem Dach eines Parkhauses an Freier aus dem Internet. Mit dem verdienten Geld erwerben sie Konsumgüter, die ihren tristen Alltag abtöten sollen.

Worum ging es wirklich?

Kann man helfen, wenn sich Menschen längst aufgegeben haben? Das war die Frage, die nach 90 Minuten ziemlich explizit über diesem «Tatort» schwebte. Natürlich muss man im Falle einer «Nein»-Antwort auch mit der Nachfrage leben können: «Das heisst, wir versuchen, auch nicht mehr zu helfen?» Lena Odenthal und Johanna Stern verzweifeln jedenfalls daran, einige von der restlichen Gesellschaft «freigestellte» Jugendliche zu retten.

Was im «Tatort» des renommierten Kreativteams Wolfgang Stauch (Drehbuch, er schrieb mit «Anne und der Tod» den vielleicht besten «Tatort» des Jahres 2019) und Regisseurin Connie Walther («Frau Böhm sagt Nein») ebenfalls deutlich wurde: Das Gefühl der Perspektivlosigkeit überträgt sich von Eltern auf ihre Kinder. Im Getto wird es von Generation zu Generation weitergegeben. Wahrscheinlich muss sich ein «Tatort», der dieses Prinzip bebildert, einfach schlecht anfühlen.

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Gibt es freiwillige Jugendprostitution in Deutschland?

Prostitution an sich ist seit 2001 in Deutschland nicht mehr als «sittenwidrig» verboten, wohl aber die Prostitution von Minderjährigen. Das Jugendschutzgesetz verbietet sogar, dass Prostitution in der Nähe einer Schule stattfindet oder in einem Haus, in dem Minderjährige wohnen.

Darüber hinaus gibt es nach Meinung von Menschenrechtsorganisationen keine freiwillige Prostitution in Deutschland – egal welches Lebensalter man betrachtet: Prostitution geschieht, wenn nicht zusätzlich durch fremden Druck («Zuhälter») befördert, ausschliesslich aus Armutsgründen. Ein grosser Anteil der in Deutschland tätigen Prostituierten sind tatsächlich Migrantinnen aus ärmeren osteuropäischen Ländern wie Bulgarien, Rumänien oder Moldawien. Darunter befinden sich viele Mädchen, die bei Eintritt in die Prostitution tatsächlich jünger als 18 Jahre alt waren.

Verdient man mit Prostitution «viel Geld»?

Laut einer Veröffentlichung der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes ist das keineswegs der Fall: «Zwischen 10 und 40 Euro pro Sexkäufer verdient eine Frau auf dem Strassenstrich und im Bordell, bei extrem hohen ‹Mietkosten› von täglich 120 bis 180 Euro für Bordellwohnungen, Wohnwagen oder Zimmern in Bordellen.

Wegen der hohen Konkurrenz sind Prostituierte immer mehr Druck ausgesetzt und können den Sexkäufern oft keine Grenzen setzten, sodass sie auch gefährliche und erniedrigende Praktiken in Kauf nehmen müssen.» Terre des Femmes zitiert hier eine Untersuchung aus dem Jahr 2010 im Rahmen einer Dissertation an der Uni Bremen. Es ist kaum anzunehmen, dass sich die Einkommensverhältnisse der Sexarbeiterinnen seitdem entscheidend «verbessert» haben.

Wer waren die jungen Schauspieler?

Trotz ihres jungen Alters, das natürlich deutlich über 15 oder 16 liegt, blicken die Darsteller des Jugendlichen-Trios bereits auf einige Erfahrung vor der Kamera zurück: Die hellblonde Vanessa wird von Lena Urzendowsky gespielt, der jüngeren Schwester des Schauspielers Sebastian Urzendowsky («Der Turm»). Die 20-jährige gebürtige Berlinerin wurde 2017 für ihre Hauptrolle im Cyber-Grooming-Film «Das Weisse Kaninchen» mit dem Grimme-Preis und anderen Trophäen bedacht. Im jungen Netflix-Hit «How To Sell Drugs online (fast)» ist sie ebenso dabei wie in der noch kommenden Serienadaption «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo», die Philipp Kadelbach («Unsere Mütter, unsere Väter») gerade für Amazon dreht.

Eine Serie, in der ihr «Leonessa»-Spielpartner Michelangelo Fortuzzi ebenfalls eine der jugendlichen Hauptrollen spielen wird. Auch der 19-jährige Leon-Darsteller kam schon mit Auszeichnungen in Berührung: 2019 gewann Fortuzzi einen Deutschen Fernsehpreis für das ARD-Drama «Alles Isy». Mohamed Issa, der 22-jährige Darsteller des Samir, spielte indes eine grössere Rolle im Netflix-Jugenddrama «Wir sind die Welle».

Der «Tatort: Leonessa» lief am Sonntag, 8. März, um 20:05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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