Online-Filmfestivals Notlösung – oder echte Alternative

Von Lukas Rüttimann

7.1.2021

Johnny Depp beehrte 2020 das Zurich Film Festival. Das ZFF war eines der wenigen Festivals, das trotz Corona durchgeführt wurde.
Johnny Depp beehrte 2020 das Zurich Film Festival. Das ZFF war eines der wenigen Festivals, das trotz Corona durchgeführt wurde.
Alexandra Wey/Keystone

In Corona-Zeiten finden Filmfestivals fast ausschliesslich virtuell statt. Eine Notlösung oder echte Alternative? Argumente gibt es für beides.

Auf den ersten Blick scheint die Sache klar: Online ist ein Filmfestival kein echtes Festival. Schliesslich geht es in Locarno oder Solothurn längst nicht nur darum, Filme zu schauen. Man will sich auch mit anderen Filmfans austauschen, einen Streifen gemeinsam in einer besonderen Atmosphäre erleben und für eine bestimmte Zeit voll und ganz vom Medium Film in all seinen Facetten umgeben sein.

Nicht zu vergessen: Die launigen Partys nach Premieren, an denen man vielleicht sogar sein Drehbuch, an dem man seit Jahren gearbeitet hat, einem Produzenten schmackhaft machen kann. Weder Internet-Zugang noch E-Mail-Anfragen können solche Erlebnisse ersetzen. Deshalb sind virtuelle Ausgaben von Festivals lediglich eine Notlösung in einer aussergewöhnlichen Zeit.

Nach dem Filmmarkt in Cannes, dem Nifff in Neuenburg oder dem Filmfestival Locarno im vergangenen Jahr werden darum auch die ab dem 20. Januar stattfindenden Solothurner Filmtage heuer als Online-Ausgabe über die Bühne gehen. Stattfinden sollen Online-Filmgespräche, und das Rahmenprogramm wird von interaktiven Vermittlungsformaten und Live-Schaltungen begleitet. Einzig die internationalen Festspiele von Venedig und das ZFF trauten sich im vergangenen Herbst, ihre Festivals trotz Corona durchzuführen – als Mahnmal für das Kino als Live-Erlebnis sozusagen.

Beliebiger, aber auch zugänglicher

Online-Festivals sind also ein vorübergehendes Phänomen, das zusammen mit der Pandemie möglichst bald wieder von der Bildfläche verschwinden soll. Oder etwa nicht? Tatsächlich haben virtuell durchgeführte Festivals auch Vorteile – was Kino-Romantiker nur ungern hören.

Sinn und Zweck eines Festivals ist es jedoch, ein Programm möglichst vielen Filmfans zugänglich zu machen. Zumal an Festivals meist Filme laufen, die im normalen Kinobetrieb keine oder nur eine sehr beschränkte Plattform erhalten. Statt über Journalisten als Katalysatoren können Festivals also ganz direkt auf ihr Publikum zugehen. Zumal sich via Live-Blogs hervorragend über die Werke – sogar mit Filmschaffenden selbst – diskutieren lässt.

Das Internet führt also gewissermassen zu einer Sozialisierung des Festivalwesens. Denn bislang waren solche Events einer eher elitären Klientel vorbehalten – all jenen, die über genug finanzielle und zeitliche Ressourcen verfügen, um für ein Festival eine oder zwei Wochen an einen mehr oder weniger fernen Ort zu reisen. Das mag in der Schweiz kein Totschlag-Argument für einen hiesigen Filmfan sein. Anders sieht das jedoch für ein Festival beispielsweise in Palm Springs oder Toronto aus. Deren exquisite Programme können sich Interessierte nun auch online zu Gemüte führen – ohne um die halbe Welt jetten zu müssen.

Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen

Freilich lässt sich dieser Aspekt nicht verallgemeinern. Jedes Festival hat seinen eigenen Charakter, seine eigene Tradition. Cannes etwa lebt vom Glamour, den die Stars auf dem roten Teppich an der Croisette verströmen. Kein Live-Stream, auch in noch so guter Qualität, kann dieses Erlebnis ersetzen. Auch die eigentliche Magie des Kinos als Ort, wo ein Publikum voll und ganz in die Vision eines Filmemachers eintaucht, ohne abgelenkt werden zu können, geht auf dem Sofa natürlich flöten. Nicht zu vergessen ist auch das Gastgewerbe, die vielen Helfer und Zulieferer, die wirtschaftlich von einem Publikumsevent profitieren.

Doch Kinoromantik hin, neue Medienwelt her – dank Streaming ist der Internet-Geist in Sachen Film längst aus der Flasche raus; das war er schon vor Corona, und in sie zurückzwingen lässt er sich nicht. Die Pandemie hat die aktuelle Entwicklung beschleunigt. Wie in anderen Bereichen liegt die Wahrheit deshalb wohl irgendwo dazwischen: Für den Glamour am roten Teppich und die Begegnung mit Gleichgesinnten und Filmemacher*innen wird ein Online-Code nie Ersatz sein. Doch für Festivals, die ein kuratiertes Filmangebot abseits der breiten Masse einem möglichst grossen Publikum zugänglich machen wollen, kann ein virtuelles Angebot eine echte Alternative sein. Auch dann, wenn Pandemien vor allem wieder auf der Leinwand Angst und Schrecken verbreiten.

Die Solothurner Filmtage finden vom 20. – 27. Januar als virtuelle Ausgabe statt.

Zurück zur Startseite