Darts-WM Es lebe die flache Erde!

Von Gion Mathias Cavelty

2.1.2021

«Sagen auch Sie Ja zur flachen Erde», empfiehlt Ihnen TV-Experte Gion Mathias Cavelty.

Ich bin Flacherdler. Werden auch Sie Flacherdler!

Alles, was Sie dafür tun müssen, ist, die Vorstellung von der Welt als Kugel aufzugeben – und sie fortan als Scheibe zu sehen und zu feiern.

Und weil es mehr Spass macht: als Dartscheibe (alles andere wäre ja Unsinn).

Nie fühle ich mich so sehr als Flacherdler wie in den Tagen der TV-Live-Übertragung der Weltmeisterschaft der Professional Darts Corporation. Es sind für mich die schönsten Tage des Jahres. Denn dann konzentriert sich bei mir alles auf die Dartscheibe im Alexandra Palace in London. Es gibt dann nichts anderes mehr.

Alle Sorgen sind vergessen. Es gelten nur noch die Regeln und Gesetze der Scheibenwelt. Und die sind – anders als die Regeln und Gesetze des Alltags – denkbar einfach. Und das ist schön. Man ist in Control. Man hat die Power.

Und auch die Protagonisten, die vor der Dartscheibe stehen und sie mit kleinen Pfeilen aus Wolfram bewerfen, schwatzen einen nicht voll oder wollen einem etwas verbieten oder andrehen oder einen belehren oder für irgendetwas schuldig machen. Sie sind keine Virologen oder Politiker oder Meinungsaufzwinger oder Steuerbeamten. Sie wollen einfach kleine Pfeile auf die Scheibe werfen (und damit viel Kohle einsacken, hahaha. Es gibt Anstrengenderes, um sich sein Leben zu finanzieren).

Die Helden des Dartsports sehen häufig aus wie Typen auf einer FBI-Fahndungsliste. Sie waren Fliesenleger oder Klempner oder Maurer, bevor sie Profis wurden. Das ist doch fantastisch: Jeder Mensch hat die Chance, Darts-Weltmeister zu werden, egal, wie er ausschaut, egal, wie reich er ist, egal, wie seine Zähne aussehen, egal, woran er glaubt. Er sollte einfach einen funktionierenden Wurfarm haben (und verdammt gut im Subtrahieren sein).

Nein, sie scheren sich einen feuchten Kehricht darum, ob sie gut aussehen oder nicht (mit Ausnahmen, Stichwort «The Bronzed Adonis» oder «The Iceman»). Nirgends gibt es dickere Wampen im Fernsehen zu sehen als während der Übertragung eines Dart-Matches. Um zu gewinnen, furzen sie auch mal auf der Bühne und bringen so ihren Gegner aus dem Konzept (bei Interesse googeln: «Who farted? Gary Anderson or Wesley Harms?»).

Es ist einfach herrlich. Herrlich primitiv. Und ich meine das als grosses Kompliment. Als Gegenteil der zurechtgestylten, zurechtdesignten, zurechtschönheitsoperierten, völlig austauschbaren künstlichen Figuren, die sonst den TV-Bildschirm bevölkern. Hoffentlich bleibt der Dartsport immer primitiv. Er ist jetzt schon weniger primitiv als früher. Noch weniger primitiv darf er aber auf keinen Fall werden!

Ich schreibe diese Zeilen nach dem Ausscheiden des grossen Peter Wright gegen Gabriel Clemens. Und ich sage einmal mehr: A big F**K YOU, Corona! Denn wenn Live-Publikum im Ally Pally zugelassen wäre, hätte Clemens niemals gewonnen. Wright wäre wiederum zum Weltmeister ge-sing-brüllt respektive ge-brüll-sungen worden.



Gleich danach: Michel van Gerwen vs. Ricky Evans; MvG unstoppable. Sieht nicht so aus, als ob ihm noch jemand gefährlich werden könnte. Ausser, es trägt sich das Phänomen zu, das ich als «Das Verlassenwerden-von-den-guten-Geistern» bezeichne: Urplötzlich scheint ein scheinbar Unbesiegbarer von den guten Geistern, die bis dato seinen Wurfarm manövrierten, verlassen worden zu sein, denn er trifft nicht einmal mehr die einfachsten Doppelfelder. Er ist dann wie hohl. Die entscheidenden 21 Gramm sind dann wie verdampft (siehe die Forschungen des amerikanischen Arztes Duncan MacDougall). Sehr unheimlich.

Am 3. Januar 2021 findet das Finale der PDC Darts-WM statt (mein Tipp: Michael van Gerwen vs. Gabriel Clemens) – doch auch danach werde ich die Erde so gut wie möglich flach halten.


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