«The Wizard of Oz» (1939): Dorothy (Judy Garland, Mitte) versucht mithilfe des Zauberers von der bösen (grünen) Hexe zu entkommen. Ein Beispiel der ersten Situation: Anflehung/Hilferuf.
Situation zwei: Erlösung. Superman (Henry Cavill) rettet in «Man of Steel» (2013) die Menschheit vor einer Bedrohung ...
... auch «Deliverance» bedient sich an diesem Muster: Hier retten sich die Protagonisten – die Bedrohten – allerdings selbst. Links im Bild übrigens ein junger Burt Reynolds.
Situation drei: Ein Rächer jagt einen oder mehrere Kriminelle für ein begangenes Verbrechen. «The Punisher» ist ein schönes Beispiel dafür. Im Bild: Jon Bernthal als Frank Castle.
Situation vier: ein Familiendrama entsteht als ein Mitglied ermordet wird und die Verdächtigen allesamt aus der eigenen Familie stammen. Wie beim phänomenalen «Knives Out» (2019).
Situation fünf: Richard Kimble (Harrison Ford) wird von der Polizei verfolgt wegen Mordes an seiner Frau. Er ist jedoch unschuldig, der Zuschauer fiebert mit ihm.
Situation sechs: Die Katastrophe. Ein Umstand, bei dem die Menschen zusammenarbeiten müssen, um jenen zu überstehen. Wie in «Deep Impact» mit Robert Duvall (rechts), in welchem ein Meteor auf die Erde zu rast.
Die Menschheit kennt nur 36 Geschichten
«The Wizard of Oz» (1939): Dorothy (Judy Garland, Mitte) versucht mithilfe des Zauberers von der bösen (grünen) Hexe zu entkommen. Ein Beispiel der ersten Situation: Anflehung/Hilferuf.
Situation zwei: Erlösung. Superman (Henry Cavill) rettet in «Man of Steel» (2013) die Menschheit vor einer Bedrohung ...
... auch «Deliverance» bedient sich an diesem Muster: Hier retten sich die Protagonisten – die Bedrohten – allerdings selbst. Links im Bild übrigens ein junger Burt Reynolds.
Situation drei: Ein Rächer jagt einen oder mehrere Kriminelle für ein begangenes Verbrechen. «The Punisher» ist ein schönes Beispiel dafür. Im Bild: Jon Bernthal als Frank Castle.
Situation vier: ein Familiendrama entsteht als ein Mitglied ermordet wird und die Verdächtigen allesamt aus der eigenen Familie stammen. Wie beim phänomenalen «Knives Out» (2019).
Situation fünf: Richard Kimble (Harrison Ford) wird von der Polizei verfolgt wegen Mordes an seiner Frau. Er ist jedoch unschuldig, der Zuschauer fiebert mit ihm.
Situation sechs: Die Katastrophe. Ein Umstand, bei dem die Menschen zusammenarbeiten müssen, um jenen zu überstehen. Wie in «Deep Impact» mit Robert Duvall (rechts), in welchem ein Meteor auf die Erde zu rast.
Jedes Buch, jede Serie, jeder Film, einfach jede Geschichte, die jemals geschrieben wurde, folgt laut dem französischen Schriftsteller Georges Polti 36 Mustern. Bis heute trifft dies zu. Hier ist Teil eins der
36 dramatischen Situationen.
Georges Polti verfasste 1895 eine detaillierte Liste von 36 Grundplots, die alle Geschichten der Menschheit abdecken. Dies scheint auf Anhieb eine erschütternde Nachricht, wenn auch eine äusserst faszinierende.
Polti analysierte dazu griechische Texte, klassische und damals zeitgemässe französische Arbeiten. Auch studierte er unzählige nicht-französischsprachige Autoren. Interessant dabei: Polti behauptete damals, dass er die Arbeit von Carlo Gozzi, einem venezianischen Dramaturgen, fortführe. Jener entdeckte ebenfalls 36 dramatische Situationen – fast hundert Jahre zuvor.
Poltis Buch, das denselben Namen trägt, erschien 1916 auf Englisch und wird bis zum heutigen Tag gedruckt. Unzählige Schreiber*innen, Autor*innen, Geschichtenerzähler*innen brauchen dieses Stück Literatur, um in ihren Branchen voranzukommen.
In einem ersten Teil stelle ich Ihnen die ersten sechs Situationen vor. Allesamt werden dabei mit klassischen und modernen Beispielen illustriert. Vorneweg: Die verschiedenen Situationen dienen als Basis für eine Geschichte. In welcher Form sie in Büchern, TV oder Kinos dargestellt werden, ist darum möglicherweise nicht immer gleich ersichtlich – es sind sehr lose Vorgaben. Steigen wir mit der allerersten Situation ein. Obige Bildergalerie gibt Ihnen indes einen kurzen Überblick.
Charaktere:
- der Verfolger
- der Bittsteller
- der mächtige/autoritäre Entscheidungsträger
Unser Held, der Bittsteller, ersucht hierbei Hilfe beim mächtigen Entscheidungsträger, um dem Verfolger entfliehen zu können.
Ein gutes Beispiel dafür ist das Musical «Der Zauberer von Oz» (1939), in dem die Heldin Dorothy die Hilfe vom Zauberer benötigt, um nach Hause zu gelangen. Und um derweil dem Zorn der bösen Hexe zu entkommen.
Charaktere:
- der Bedrohte
- der Bedroher
- der Retter
Das sollte selbsterklärend sein. Aber der Vollständigkeit halber: Der Retter erlöst den Bedrohten vom Bedroher. Dies scheint eine der häufigsten Situationen zu sein – so auf den ersten Blick. Es ist das klassische Hollywood-Kino. Was sich hier ändern kann, ist die Perspektive. Manchmal wird die Geschichte aus der Sicht des Bedrohten oder jener des Retters erzählt. Die meisten Superhelden-Stories werden an dieser Situation aufgehängt.
Superman – beispielsweise – rettet seine Geliebte Lois Lane, sonstige Menschen oder gar die Erde vor diversen Bedrohungen.
Im Film «Deliverance» – buchstäblich der Name der Situation im Englischen – wird die Geschichte aus der Sicht von mehreren Bedrohten erzählt, die sich schliesslich selbst retten. Das habe ich gemeint mit «sehr losen Vorgaben».
3
Rache für ein Verbrechen
Der Rächer jagt den Kriminellen für ein begangenes Verbrechen. Da darf sich so manch ein «Tatort» einreihen, aber auch zum Beispiel «Minority Report». Im futuristischen Streifen werden Menschen verhaftet, bevor sie eine Straftat begangen haben. Es ist also eine Abwandlung dieses Konzepts.
Beliebt sind auch ominöse Verbrecher in diesem Zusammenhang, bei denen das Publikum nicht genau weiss, wer jetzt der Bösewicht ist. Oder dieser Charakter wird generell als «Sie» bezeichnet und man erfährt erst später in der Geschichte, wer «Sie» genau ist. So handhabt das «The Punisher»: Hauptcharakter Frank Castle hat seine Familie verloren, sie wurde ermordet. Der Ex-Soldat macht «Sie» – die Verantwortlichen – während einer Staffel der Serie ausfindig. Zusammen mit dem Publikum ordnet er den Schuldigen nach und nach Gesichter und Namen zu.
4
Rache an einem Verwandten für den Tod eines Verwandten
Charaktere:
- das rächende Familienmitglied
- das Opfer innerhalb der Familie
- das schuldige Familienmitglied
Dies ist ein Familiendrama durch und durch. Auch hier ist die Rollenverteilung klar: Ein Familienmitglied versucht den Mord an einem anderen Familienmitglied durch wiederum ein Familienmitglied aufzuklären.
Das berühmteste Beispiel hierfür ist wohl William Shakespeares «Hamlet». Der namensgebende Protagonist will sich darin an seinem Onkel rächen, der für den Tod von Hamlets Vater verantwortlich ist.
In moderneren Zeiten liesse sich hier etwa «Star Wars» erwähnen. Luke Skywalker will Darth Vader töten, der angeblich seinen Vater ermordet hat. Dabei findet Luke heraus, dass Vader sein Vater ist. Der Sithlord ist also gleichzeitig Opfer und das schuldige Familienmitglied. Weiter dreht sich auch der Film «Knives Out» (2019) um genau eine solche Familientragödie. Das Familienoberhaupt wird in der Nacht nach seiner Geburtstagsfeier ermordet, im Haus befindet sich nur seine eigene Familie.
Charaktere:
- eine Form der Bestrafung
- einen Flüchtigen
Diese Situation ähnelt der dritten – «Rache für ein Verbrechen» –, mit folgendem Unterschied: Die Geschichte wird so gestaltet, dass das Publikum Sympathie für den Flüchtigen entwickelt und nicht etwa für das Rechtssystem. Will heissen, obwohl der Flüchtige womöglich ein Verbrechen begangen hat, lassen sich seine Taten gut nachvollziehen.
Eine simple Illustration hierbei wäre der «Hulk», der nicht für seinen Zustand verantwortlich ist und dennoch vom Militär verfolgt wird.
Ein klassisches Beispiel ist «Les misérables». Ein ehemaliger Sträfling versucht, seiner Vergangenheit und der damit verbundenen Ächtung zu entkommen, scheitert aber immer wieder. Und auch: «The Fugitive», der wiederum buchstäblich den englischen Begriff für diese Situation trägt. Dabei wird Richard Kimble – fälschlicherweise – als Mörder seiner Frau von der Polizei verfolgt.
Diese Situation kann unzählige Charaktere haben. Die Grundidee ist jedoch, dass etwas Schreckliches passiert ist und die Hauptcharaktere damit umgehen müssen. Das «Schreckliche» kann dabei eine Invasion von Ausserirdischen sein oder auch eine Naturkatastrophe, eine Situation, in der die Betroffenen zur Zusammenarbeit gezwungen werden.
Hier gehen einem die Beispiele fast nicht aus. Der Meteor, der auf die Erde rast: «Armageddon», «Deep Impact». Maschinen, die die Menschheit unterjochen wollen: «Terminator», «Matrix». Eine Alieninvasion: «Mars Attacks», «Independance Day», «Krieg der Welten». Oder die Menschheit selbst hat eine Katastrophe herbeigeführt und die Zivilisation zerstört: «Waterworld», «The Core», «Mad Max». Aus diesem Muster liessen sich bisher also diverse Blockbuster zimmern.
Dies war Teil eins einer sechsteiligen Serie über die verschiedenen dramaturgischen Situationen, die jeder Geschichte seit Anbeginn der Menschheit zugrundeliegen. Teil zwei folgt heute in einer Woche.
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