Basler Stuntfrau Petra Sprecher muss viel einstecken «In den letzten Jahren ging immer wieder etwas kaputt»

Von Marlène von Arx

24.9.2022

Nach 20 Jahren als Stuntfrau in Hollywood denkt die Baslerin Petra Sprecher über eine Zukunft mit mehr Schauspielerei als Verletzungen nach. Sie ist im Dokumentarfilm «Cascadeuses», der am Zürich Film Festival Premiere feiert, zu sehen und spricht über ihren knallharten Job.

Von Marlène von Arx

24.9.2022

Die Basler Stuntfrau Petra Sprecher fliegt seit zwanzig Jahren in Hollywood durch die Luft, durch Glasscheiben und Treppen hinunter.

Sie wirkte in Filmen wie «Minority Report», «Pirates of the Caribbean» und «Ad Astra» mit, und doubelte Stars wie Mariah Carey, Zoe Saldana, Kimberly Elise und Leona Lewis.

Ihr Gesicht sieht man dabei nie. In «Cascadeuses» ändert sich das nun. Im Dokumentarfilm von Elena Avdija gibt sie mit weiteren Stuntfrauen aus der Schweiz und Frankreich Einblick in ihr Leben.

Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten setzt sich Petra Sprecher mit Verletzungen, einer Selbstvertrauenskrise und dem Wunsch nach Neuorientierung auseinander. «Damals hatte ich Hüftprobleme und musste mich schliesslich einer Operation unterziehen», erinnert sie sich bei einem selbstgebrauten Gesundheitsdrink in ihrem Guest-Haus in Hollywood.

«In den letzten Jahren ging immer wieder etwas kaputt»

«Ich hatte so viele Verletzungen die letzten Jahre, dass es mit meiner Moral nicht mehr zum Besten stand.» Sie beugt sich vornüber und zeigt ein halbes dutzend Operationsnarben nur schon an den Füssen. Nicht zuletzt auch um den Körper etwas zu schonen, bildet sie sich ständig weiter – sei es mit teuren Stuntfahr-Kursen oder Waffen-Trainings. Jetzt ist sie zum ersten Mal seit Jahren hundert Prozent auskuriert und kann seit sechs Wochen wieder voll trainieren. Aber sie macht sich nichts vor: «In den letzten Jahren ging immer wieder etwas kaputt, als ich wieder voll anfing zu trainieren – nicht auf dem Set, sondern einfach durch Abnützung.»

Wie sie und ihre jüngeren Berufs-Kolleginnen schnell festgestellt haben, birgt der Traumberuf vor allem für Frauen besondere Verletzungsgefahren: «Während die Männer den Starken spielen und unter den Jeans Polsterungen tragen können, fallen wir oft ohne versteckbaren Schutz in Miniröcken und High Heels auf Betonböden.»

Auch sie dachte am Anfang, dass sie wie eine proaktive Action-Heldin durch die Luft fliegen würde. Aber inzwischen werden in Los Angeles hauptsächlich TV-Krimis gedreht und Stuntfrauen verkörpern meistens Frauen, die geschlagen, vergewaltigt und ermordet werden. Das gibt nicht nur blaue Flecken, sondern schlägt auch aufs Gemüt.

Zu hellhäutig für «Black Panther»

Viele der grossen Superhelden-Filme werden in London oder sonst fern der Filmmetropole gedreht. Den grossen Marvel-Job bei «Black Panther» verpasste Petra Sprecher vermutlich, weil sie zu hellhäutig war: «Seit Black Lives Matter versuchen sie in Hollywood wirklich, den Hautton der Stuntleute genau an die der Schauspieler und Schauspielerinnen anzupassen. Filme, die in Afrika spielen, werden meistens mit eher dunkelhäutigen Schauspielern besetzt.»

Von Anfang an nahm die Neunundvierzigjährige hin und wieder Schauspielunterricht. Jetzt will sie richtig als Schauspielerin durchstarten: Zweimal die Woche besucht sie eine Schauspielklasse, die sie beflügelt.

Ihr Lehrer Glenn Morshower (als Schauspieler bekannt aus «24») rät der Baslerin, ihren Akzent loszuwerden und vor allem am akzentfreien englischen «th» zu arbeiten. «Ich bin stolz, Schweizerin zu sein und möchte nicht unbedingt als Amerikanerin wahrgenommen werden, aber vor der Kamera muss man halt akzentfrei sein», meint sie. «Hier glauben sie nämlich, es gebe nur Schwarze in den USA und in London und die entsprechenden Akzente von dort. Wieso sieht man keine anderen Schwarzen am Fernsehen? Ich will da eine Wegbereiterin werden, denn die Leute sind immer erstaunt: ‹Was? Es gibt Schwarze in der Schweiz?›»

Erster Job als Stuntfrau an der Seite von Tom Cruise

Petra Sprecher wuchs mit ihrer Mutter, dem Stiefvater (den biologischen, nigerianischen Vater lernte sie nie kennen) und zwei jüngeren Brüdern in Aesch (BL) auf.

Ihre Performer-Karriere beginnt im Jugendzirkus Basilisk. Dann besucht sie die comart Theaterschule in Zürich. Weil sie fürs Theater zu viel physische Energie hat, liefert sie dort als Abschlussarbeit statt einer Szene eine Trapez-Nummer ab. Nach der renommierten Zirkusschule L’Écôle Nationale de Cirque in Montréal landet sie schliesslich mit einer Solo-Schwungseil-Nummer im Cirque du Soleil.

Während der USA-Tournee liest sie einen Artikel über schwarze Stuntfrauen in Hollywood. Das wurde ihr nächstes Ziel. Ihr erster Job war gleich an der Seite von Tom Cruise in Steven Spielbergs «Minority Report». Dass auf Hollywood-Sets ein anderer Wind wehte als im Zirkus, merkte sie sofort: «Man ist austauschbar und es gibt viele ungeschriebene Gesetze», sagt Petra Sprecher. «Wenn beispielsweise die Schauspielerin, die man doubelt, einen zum Mittagessen einlädt, muss man ablehnen und mit der Stunt Crew essen. Die ‹Cascadeuses›-Filmcrew durfte auf keines der Sets. Als Stuntfrau muss man eben unsichtbar werden und sich in eine graue Maus verwandeln.»

Dabei mag es Petra Sprecher bunt und laut. Am liebsten würde sie eine Spionin spielen, in einem Bond-Film oder in einer TV-Show wie «Alias», in der sie sich wie Jennifer Garner als Undercover-Agentin viel verkleiden muss: «Auch das Sci-Fi Genre würde mir gefallen. Ich möchte einfach meine Kreativität einbringen können. Als Stuntfrau macht man jemanden nach und tut das, was einem gesagt wird. Als Schauspielerin kann ich beruflich sein, was ich mir schon länger wünsche: nämlich einmalig.»

«Cascadeuses - Stuntwomen» läuft am 24.9./25.9./28.9. und 30.9. am ZFF