Serie: Schweizer in L.A. (6) «Rassismus in den USA ist mit der Schweiz nicht zu vergleichen»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

5.7.2020

Das Coronavirus hat Hollywood lahmgelegt, nicht jedoch die Stuntfrau Petra Sprecher. Die Baslerin, die an der Seite von Brad Pitt in «Ad Astra» durch den Weltraum flog, jongliert stets mehrere Karriere-Bälle gleichzeitig.

Das Jahr fing ganz gut an: Stuntfrau Petra Sprecher choreografierte und koordinierte die Stunts eines neunjährigen Parkour-Wunderkindes für die NBC-Talent-Show «Little Big Shots» und hatte einen Job in Atlanta gebucht für Marvels neue «Loki»-Serie mit Owen Wilson.

Zudem wurde sie nach zwei Jahren auf der Warteliste endlich auch in die exklusive Networking/Dating-App Raya aufgenommen, auf der angeblich auch schon Channing Tatum und Ben Affleck gesichtet wurden.

Und dann kam der Lockdown. Keine Drehs mehr bis auf Weiteres. «Und auch keine Dates!», lacht Petra Sprecher schallend. Als der erste Schock überwunden war, atmete sie zum ersten Mal seit Langem wieder einmal tief durch: «Auch wenn ich nicht auf Sets arbeite, sind meine Tage voll mit Trainings, Jobsuche, Nachhaken bei den Stunt-Koordinatoren und so weiter. Jetzt war ich plötzlich frei vom Kampf um den nächsten Job – und konnte mal etwas nur für mich machen.»

Finanziell war die Baslerin zum Glück abgestützt: Sie hat eine Kleinfirma mit sich als einziger Angestellten. Seit April erhält diese Lohnschutz durch den Staat. Das sei wichtig, denn ihr Lifestyle sei nicht gerade billig: «Da ist die Mitgliedschaft im Fitnessstudio, die Kampf- und andere Trainingsstunden, die man nehmen muss um à jour zu bleiben, mein Bio-Gourmet-Food, meine künstlichen Finger-Nägel und mein Botox …» , lacht die Sechsundvierzigjährige, bei der in der Tat keine Falten auszumachen sind. Nicht einmal Lachfalten. Obwohl sie gern und oft herzlich lacht.

Petra Sprecher als Zombie, Mariah Carey, Cop und FBI-Agentin: «Stunts werden tagelang geprobt und gefilmt, und am Schluss bleiben oft nur wenige Sekunden davon im fertigen Film übrig. Das ist normal. Hauptsache, sie haben genug Material zum Schneiden.»
Petra Sprecher als Zombie, Mariah Carey, Cop und FBI-Agentin: «Stunts werden tagelang geprobt und gefilmt, und am Schluss bleiben oft nur wenige Sekunden davon im fertigen Film übrig. Das ist normal. Hauptsache, sie haben genug Material zum Schneiden.»
zVg

Im Zirkus gross geworden

Petra Sprecher richtet sich zurzeit ein Heimstudio ein und rutscht vor einem Green Screen auf ihrem Stuhl hin und her. Sie kann nicht still sitzen. Das konnte sie nie und deshalb war ihre Familie in Aesch (BL) froh, dass sie den Jugendzirkus Basilisk entdeckte und sich da akrobatisch austoben konnte. Aus dem Spass wurde beruflicher Ernst, als sie in die Zirkusschule in Montréal ging und schliesslich am Schwungseil mit dem Cirque du Soleil durch die USA tourte.

Amerika war nie ihr Ziel, aber dann las sie einen Artikel über schwarze Stuntfrauen in Los Angeles. Das wollte sie ausprobieren. Ihr erster Job war an der Seite von Tom Cruise in «Minority Report», letztes Jahr arbeitete sie mit Brad Pitts Stuntman in «Ad Astra» an einem Fall und irgendwann fiel sie von einer Klippe als Leona Lewis, über eine Treppe als Mariah Carey, liess sich für eine TV-Serie von einem Auto anfahren und bewertete für James Corden in «The World’s Best» internationale Talente.

«Manchmal kommt man mit Stars wie Tom Cruise oder Charlize Theron auch zum Plaudern», so Sprecher. «Kimberly Elise hat mir sogar ihre High-Speed-Internet-Connection angeboten, die die Stars in ihren Trailern bekommen, und wir tauschten SMS aus. Brad Pitt ist hingegen eher der Typ, der in den Pausen in seinem Trailer bleibt.»

Petra Sprecher glaubt, dass dieses Jahr mit einer Rückkehr zu ihrem Job nicht mehr zu rechnen ist. Und, dass danach die Stunt Crews auf ein Minimum reduziert werden. Umtriebig investiert sie deshalb in ein Heimstudio und in ihr nächstes Projekt: Eine Interview-Show, die sie von ihrem Apartment in Hollywood selber aufzeichnen und auf YouTube stellen will. Gäste sollen interessante Persönlichkeiten mit spannenden Geschichten sein – einen K-Pop-Produzenten und die Leiterin des Wonder Youth Global Talent Online-Wettbewerbs, bei dem Petra Sprecher auch als Expertin fungiert, hat sie bereits verpflichtet. «Zuerst habe ich mir überlegt, einen Podcast zu machen, aber ich will jetzt vor die Kamera. Man muss in Amerika einmal Schwarze zeigen, die nicht African-American sind. Schliesslich gibt es Schwarze auf der ganzen Welt.»

«Rassismus in Amerika ist so brutal und nicht zu vergleichen, mit dem was ich in der Schweiz erfahren habe»

Zwei Welten

Wie unterschiedlich deren Erfahrungen sein können, erlebte sie mit ihrem ersten Freund in den USA, einem Schwarzen. «Rassismus in Amerika ist so brutal und nicht zu vergleichen, mit dem was ich je in der Schweiz erfahren hatte», so die Tochter einer Schweizerin und eines Nigerianers, den sie zu ihrem Bedauern nie kennenlernte. Die Eltern hatten sich bereits vor ihrer Geburt getrennt: «Ich bin glücklich mit zwei weissen Brüdern aufgewachsen. Ich habe zwar gespürt, dass ich anders bin als andere Kinder, aber mir kam es eher als etwas Positives vor: Man sagte mir, ich hätte mehr Muskeln, ich könne deshalb meistern, was ich mir im Sport vorgenommen hatte oder meine Haare wurden als schön und voluminös bewundert.» Im Prinzip komme sie sich heute in der Schweiz fremder vor als früher: «In der Migros oder im Coop werde ich jetzt immer auf Hochdeutsch angesprochen, selbst wenn ich dann auf Baseldeutsch antworte. Vielleicht liegt es an meinen Kleidern. Mich umgibt wohl inzwischen eine ausländische Aura.»

Es war ihr wichtig, trotz der Corona-Krise wenigstens an einem der «Black Lives Matter Protest»-Märsche teilzunehmen (mit Maske!). «Das war so gewaltig», erinnert sie sich. «Es ist jetzt eine gute Zeit, sich zu überlegen, was wir ändern können und was es nicht mehr braucht.»

Zum US-Nationalfeiertag wünscht sich die ausgebildete Yogalehrerin «eine allgemeine Genesung im Kopf und dass die, die ein Hass gegen Schwarze haben, mehr mit dem Herzen leben. Rassismus ist erlernt. Hass braucht Energie. Es ist es doch viel einfacher, wenn sich jeder nur das Beste für den anderen wünscht.»

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