Comeback von Anna Netrebko «Ein Triumph war es trotz Standing Ovation nicht»

Von Bruno Bötschi

28.5.2022

Anna Netrebko und ihr Klavierbegleiter Malcolm Martineau nehmen den Schlussapplaus in der Scala Mailand freudig entgegen.
Anna Netrebko und ihr Klavierbegleiter Malcolm Martineau nehmen den Schlussapplaus in der Scala Mailand freudig entgegen.
Bild: Keystone

Operndiva Anna Netrebko hat sich nur zögerlich vom Krieg in der Ukraine distanziert. Nun tritt sie nach einer Pause wieder auf – am Freitag etwa in der Mailänder Scala. Musikkritiker Christian Berzins sass im Publikum.

Von Bruno Bötschi

28.5.2022

Anna Netrebko ist zurück. 

In den vergangenen Wochen und Monaten musste die russisch-österreichische Starsopranistin wegen dem Krieg in der Ukraine und ihrer Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin viel Kritik einstecken.

In der Folge sagten mehrere grosse Opernhäuser ihre Auftritte ab und das langjährige Management trennte sich von der Künstlerin. Anfangs März wurde Anna Netrebko auch von der Scala Mailand in der Oper «Adriana Lecouvreur» von Francesco Cilea ersetzt.

Am vergangenen Freitag stand die 50-jährige Operndiva nun zum ersten Mal wieder in der norditalienischen Stadt auf der Bühne. Sie eröffnete das ausverkaufte Comeback-Konzert mit der Arie «Io son l'umile ancella» aus Cileas Oper.

Christian Berzins, am Freitag kehrte Anna Netrebko auf die grosse Bühne zurück – sie trat während eines Liederabends in der Scala in Mailand auf. Wie haben Sie ihr Konzert erlebt?

Künstlerisch durchzogen, aber das war bald einmal egal: Die internationalen Opernfans – Deutsche, Schweizer, Franzosen, Russen und Italiener – feierten ihre Anna. Und sie genoss es.

Wegen des Krieges in der Ukraine musste die russisch-österreichische Operndiva in den vergangenen Wochen und Monaten viel schlechte Presse einstecken. Netrebko ist eine Vertraute des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Wie hat das als durchaus kritisch bekannte Mailänder Publikum auf ihren Auftritt reagiert?

Zur Person: Christian Berzins
zVg

Christian Berzins ist Autor und Musikkritiker der Zeitungen von CH Media. Er hörte im Alter von neun Jahren bei den Salzburger Festspielen seine erste «Zauberflöte», erlebte dort in den Folgejahren mehrmals Jahrhundertdirigent Herbert von Karajan. 1998 wurde er Musikkritiker der «Aargauer Zeitung», schrieb für die «Zeit» und die «Weltwoche», später wurde er Kulturjournalist bei der «NZZ am Sonntag».

Man feierte die Diva – alles Politische war vergessen, war kein Thema: Blaugelb gab es nicht. Es ging auch kaum um die Stimme, obwohl die Mailänder*innen sonst sehr kritisch sind.

Bei ihrem letzten Auftritt – am 7. Dezember 2021 bei Macbeth – buhte das Mailänder Publikum.

Diesmal gab es «Brava»-Rufe von Beginn weg. Aber ein Triumph war es trotz Standing Ovation am Schluss nicht.

Wieso nicht?

Das tönt in Mailand ganz anders. Anna Netrebko sang zu wenig gut, um das Publikum rasend zu machen. Da half auch der Blumenstrauss, der bereits nach dem ersten Lied wie ein totes Tier auf die Bühne klatschte, wenig.

Die Operndiva eröffnete ihr ausverkauftes Comeback-Konzert in der Scala mit der Arie «Io son l'umile ancella» aus der Oper «Adriana Lecouvreur». Anfangs März hatte sie noch auf einen Auftritt in dieser Oper von Francesco Cilea verzichtet.

Der Auftakt zum Konzert war durchaus bezeichnend. Anna Netrebko liebt es bedeutungsschwanger.

Wie beurteilen Sie als erfahrener Musikkritiker ihren Auftritt?

Wie gesagt: durchzogen. Anna Netrebko spielt zu sehr Diva, vertraut ihrem glänzenden Kapital, sang sich aber durch Arien und Lieder, die ihr keine grossen Schwierigkeiten bereiteten.

Als wir Mitte April über die 50-jährige Sängerin sprachen, sagten Sie: «Es geht bergab, ganz klar.»

Ja, wenn sie so weitermacht, ist das so. Sie zeigt bereits Schwächen, bei allem Schwarzmeer-Gold, das da noch aus ihrem Mund kommt. Eine Edita Gruberova erfand sich und ihre Stimmtechnik mit 50 nochmals neu.

Anna Netrebko trat Mitte vergangener Woche auch noch in der Pariser Philharmonie auf. Hat die Opernwelt demnach der 50-jährigen Sopranistin bereits wieder verziehen?

Es scheint so.

Werden demnächst auch andere grosse Häuser wieder Netrebko zusammenarbeiten, nachdem etwa die Met New York, das Opernhaus Zürich und das KKL Luzern mehrere Aufritte mit ihr abgesagt haben?

Die Met wohl nicht so schnell, die andern, wenn sie sie denn kriegen, schon.

Die Operndiva selber teilte am Freitag mit, sie werde in diesem Jahr zusammen mit ihrem Ehemann Yusif Eyvazov für Konzerte unter anderem nach Regensburg, in die Kölner Philharmonie und die Hamburger Elbphilharmonie kommen.

Das wird zweifellos so sein. Es waren viele Deutsche am Freitag in der Scala – auch viele Franzosen und Schweizer. Man jubelte ihr zu.


Die Kritik von Christian Berzins über das Comeback-Konzert von Anna Netrebko in der Scala kannst du hier lesen.


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