Aserbaidschan vs. Armenien Mindestens 27 Tote in Berg-Karabach – UN-Sicherheitsrat will tagen

SDA

20.9.2023 - 04:02

Armenien warnt vor neuem Krieg mit Aserbaidschan

Armenien warnt vor neuem Krieg mit Aserbaidschan

Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan hält einen weiteren Krieg seines Landes gegen Aserbaidschan für «sehr wahrscheinlich». Im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP beschuldigte er Aserbaidschan zudem des «Völkermords» an Armeniern

22.07.2023

Im Südkaukasus startet das autoritär geführte Aserbaidschan Kampfhandlungen gegen Berg-Karabach. Die von Armeniern bewohnte Region verzeichnet am ersten Tag Dutzende Tote und Verletzte – und bittet den UN-Sicherheitsrat um Hilfe.

Keystone-SDA

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  • Aserbaidschanische Truppen haben Berg-Karabach angegriffen.
  • Am ersten Tag des von Aserbaidschan gestarteten Militäreinsatzes gegen die von Armeniern bewohnte Südkaukasus-Region Berg-Karabach sind mehr als zwei Dutzend Menschen ums Leben gekommen.
  • In New York wurde für Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates einberufen, wie aus Diplomatenkreisen verlautete. Zuvor hatte Armenien das Gremium um Hilfe gebeten.
  • Seit mehr als zwei Wochen gab es bereits kleinere Artillerieangriffe.
  • Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig des Beschusses.
  • Der russische Präsident Wladimir Putin betonte am 12. September, Berg-Karabach sei Teil Aserbaidschans.
  • Aserbaidschan fordert den Rückzug aller armenischen Truppen aus Berg-Karabach. Eriwan will dort aber keine stationiert haben.

Am ersten Tag eines von Aserbaidschan gestarteten Militäreinsatzes gegen die von Armeniern bewohnte Südkaukasus-Region Berg-Karabach sind mehr als zwei Dutzend Menschen ums Leben gekommen. Der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach (Arzach), Gegam Stepanjan, sprach von mindestens 27 Toten. Darunter seien mindestens sieben Zivilisten – drei Frauen, zwei Kinder und zwei Männer. Mehr als 200 weitere Menschen seien verletzt worden.

Die armenische Schutzmacht Russland forderte die Konfliktparteien am frühen Mittwochmorgen auf, zivile Opfer zu vermeiden und die Feindseligkeiten unverzüglich zu stoppen.

Ein beschädigtes Wohnhaus in Stepanakert in der Region Berg-Karabach nach einem Beschuss. (19. September 2023)
Ein beschädigtes Wohnhaus in Stepanakert in der Region Berg-Karabach nach einem Beschuss. (19. September 2023)
Bild: Keystone/AP Photo/Siranush Sargsyan

Stepanjans Angaben zufolge wurden mehr als 7000 Bewohner aus 16 Orten vor dem aserbaidschanischen Beschuss in Sicherheit gebracht. Ein grosses Problem bei den Evakuierungsmassnahmen ist den Angaben von vor Ort zufolge der massive Treibstoffmangel, den eine monatelange aserbaidschanische Blockade der Region verursacht hat.

Mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region

Das autoritär geführte Aserbaidschan hatte am Dienstagmorgen einen breit angelegten Militäreinsatz zur Eroberung Berg-Karabachs begonnen. Die Region liegt zwar auf aserbaidschanischem Staatsgebiet, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Die beiden ehemals sowjetischen Länder kämpfen seit Jahrzehnten um Berg-Karabach. Die Waffenruhe nach dem letzten Krieg im Jahr 2020, in dem das durch Gas- und Öleinnahmen hochgerüstete Aserbaidschan bereits grosse Teile Karabachs erobert hatte, wurde immer wieder gebrochen.

Das russische Aussenministerium forderte einen Stopp der jüngsten Feindseligkeiten. «Wegen der schnellen Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen in Berg-Karabach rufen wir die Konfliktparteien auf, das Blutvergiessen sofort zu beenden, die Kampfhandlungen einzustellen und Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden», hiess es in einer am frühen Mittwochmorgen veröffentlichten Mitteilung des russischen Aussenministerium, wie die staatliche Nachrichtenagentur Tass berichtete.

In New York wurde unterdessen für Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates einberufen, wie aus Diplomatenkreisen verlautete. Zuvor hatte Armenien das Gremium um Hilfe gebeten. Am Rande der UN-Vollversammlung traf sich zudem Italiens Aussenminister Luigi Di Maio separat mit seinen Kollegen aus Aserbaidschan und Armenien und bot einer Mitteilung zufolge eine italienische Vermittlung an. Auch der Iran bot sich als Vermittler an.

Forderung: Abdankung armenischer Führung in Region

Als Bedingung für das Ende des jetzigen Militäreinsatzes nannte Aserbaidschan die Niederlegung der Waffen und die Abdankung der armenischen Führung in der Region Berg-Karabach. International wurde Aserbaidschan für sein gewaltsames Vorgehen kritisiert. Bundesaussenministerin Annalena Baerbock etwa forderte: «Aserbaidschan muss den Beschuss sofort einstellen und an den Verhandlungstisch zurückkehren.»

Ähnlich äusserte sich US-Aussenminister Antony Blinken. In einem Telefonat mit Aserbaidschans Machthaber Ilham Aliyev betonte er, dass es keine militärische Lösung gebe und dass die Parteien den Dialog wieder aufnehmen müssten, wie der Sprecher des Aussenministeriums, Matthew Miller, mitteilte. Blinken habe die von Aliyev geäusserte Bereitschaft zur Kenntnis genommen, die Militäraktionen einzustellen und ein Treffen von Vertretern Aserbaidschans und der Bevölkerung Berg-Karabachs abzuhalten. Blinken unterstrich, dass dies sofort umgesetzt werden müsse. Rückendeckung für Baku kam hingegen aus der Türkei.

Katastrophale humanitäre Lage in Berg-Karabach

Die ebenfalls islamisch geprägte Türkei gilt als Schutzmacht Aserbaidschans, wohingegen das christlich-orthodoxe Armenien traditionell auf die Unterstützung Russlands setzt, das in der Region auch eigene Soldaten stationiert hat.

Mittlerweile aber braucht Moskau seine Kämpfer in erster Linie für den eigenen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Beobachter hatten deshalb bereits befürchtet, dass Aserbaidschan diese instabile Lage für militärisches Vorgehen nutzen könnte. Schon vor Beginn des jüngsten Beschusses war die humanitäre Lage in Berg-Karabach katastrophal gewesen, weil Aserbaidschan den einzigen Zugang Armeniens in die Exklave – den sogenannten Latschin-Korridor – blockierte.

In Armeniens Hauptstadt Eriwan brachen am Dienstagabend heftige Proteste gegen die eigene Regierung aus, es kam zu Zusammenstössen mit der Polizei. Medien zufolge setzten die Beamten Blendgranaten ein. Die Demonstranten forderten von Regierungschef Nikol Paschinjan ein entschiedeneres Vorgehen sowie Unterstützung der armenischen Bewohner Berg-Karabachs. Auch die russische Botschaft in Eriwan wurde von wütenden Menschen umzingelt. Angaben des armenischen Gesundheitsministeriums zufolge wurden bis zum Abend im Stadtzentrum 16 Polizisten und 18 Demonstranten verletzt.