Hass im Internet Über die Hälfte der untersuchten Polizei-Stellen versagt

phi

21.5.2024

Gesetzeshüter von gestern: Polizisten verfolgen im Februar 1967 die Radquer-Weltmeisterschaften auf der Zürcher Allmend. Was sie im Frühjahr 2024 oft weniger streng verfolgen, sind Hasskommentare im Internet.
Gesetzeshüter von gestern: Polizisten verfolgen im Februar 1967 die Radquer-Weltmeisterschaften auf der Zürcher Allmend. Was sie im Frühjahr 2024 oft weniger streng verfolgen, sind Hasskommentare im Internet.
KEYSTONE

Das Gesetz ist klar, wenn es um Hass im Internet geht: Bei einer Anzeige müssen die Behörden ermitteln. Doch ein Test in 21 Kantonen zeigt, dass die Polizei vielerorts ihrer Pflicht nicht nachkommt.

phi

21.5.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Behörden müssen ermitteln, wenn Hasskommentare im Internet – auch von Drittpersonen – angezeigt werden.
  • Reflektiv hat bei 34 Polizeiposten in 21 Kantonen Anzeigen gestellt: Nur 16 leiteten sie korrekt an die Staatsanwaltschaft weiter.
  • In 18 Fällen versagte die Polizei den Dienst. Zwei Mal wurde Antragstellenden von einer Anzeige abgeraten.

«Willkommen im Internet – dem letzten rechtsfreien Raum der Schweiz!» So beginnt Gülsha Adilji das Video, in dem das Journalisten-Kollektiv Reflekt eine Recherche präsentiert, die kein gutes Licht auf die Polizeiarbeit wirft: Wenn es um das Anzeigen von Hasskommentaren im Internet geht, versagen 18 von 34 Polizeiposten.

Hass und Diskriminierung wegen «Rasse», Ethnie, Religion oder sexueller Orientierung sind hierzulande strafbar, schreibt Reflekt: «Die Behörden müssen ermitteln, sobald sie von einer potenziellen Straftat erfahren.» Im Praxistest in 21 Kantonen zeigt sich dann aber, dass verantwortliche Polizist*innen mehrheitlich nicht das tun, was das Gesetz verlangt.

Polizist ermittelt gegen Antragstellerin

In 18 von 34 Fällen sei die Anzeige nicht oder nur bedingt aufgenommen: «Die Zahl überrascht sehr», sagt Monika Simmler, Strafrechtsprofessorin an der Universität St. Gallen, zum Recherche-Kollektiv. «Eigentlich müssten alle Polizeikorps die Anzeigen entgegennehmen, prüfen und die rechtliche Würdigung dann der Staatsanwaltschaft überlassen.»

Nur 16 Polizeiposten leiteten den Vorgang an die Staatsanwaltschaft weiter. In zehn Kantonen folgte in mindestens einem der gemeldeten Fälle ein Strafverfahren. In zehn Fällen verweigerte die Polizei die Annahme ohne Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft. Drei Mal wurde die Anzeige nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft abgelehnt.

In drei Fällen wurde die Anzeige angenommen, aber nicht bearbeitet. Und zwei Mal haben Polizist*innen von einer Anzeige abgeraten. Heraus sticht dabei das Verhalten eines Polizisten in Köniz bei Bern: Der Beamte suchte nach Einreichen der Anzeige im Internet nach der Anzeigenstellerin und fand ein drei Jahre altes Instagram-Foto, auf dem die Frau an einer Kostümparty eine Armee-Hose trägt.

«Es ist grotesk»

Obwohl diese Ermittlung ohne konkreten Verdacht unrechtmässig ist, leitet der Polizist ein Ermittlungsverfahren wegen «unerlaubten Tragens der Schweizer Armeeuniform» ein, schreibt Reflekt: «Es ist grotesk, wenn eine Person, die Anzeige erstattet, bei der Polizei einer Onlinerecherche unterzogen wird», kommentiert Strafrechtsprofessorin Monika Simmler.

Weniger gravierend sollen Fälle wie etwa in Einsiedeln, Zug und Zürich gewesen sein, wo die Polizei fälschlicherweise bekundet habe, dass nur Betroffene selbst Hasskommentare zur Anzeige bringen könnten. Auch der Hinweis der Polizei, man möge sich doch direkt an die Staatsanwaltschaft wenden, sei nicht korrekt. 

Mehrere Polizeiposten hätten Fehler eingeräumt, als Reflektiv sie mit den Recherche-Ergebnissen konfrontiert habe. Der Zusammenschluss der kantonalen Polizeikommandanten und -kommandantinnen räumt ein, dass «Handlungsbedarf» bestehe und die Polizeikorps «sensibilisiert» würden.