Schiedsrichter Fedayi San redet mit blue Sport über Rituale, leicht fallende Stürmer, den neuen Modus und verrät, weshalb er am liebsten in Schwarz und nur in kurzen Ärmeln pfeift.
Ein Donnerstagabend um 18:00 Uhr in einem Kaffee beim Bahnhof in Bern: blue Sport trifft den dienstältesten Schweizer Schiedsrichter Fedayi San zweieinhalb Stunden vor Anpfiff der Partie YB gegen GC auf einen Espresso.
Kick and Rush, Ballbesitzfussball, Angriffe über die Flügel, Konterfussball… Trainer und Spieler wollen, wenn möglich, alles über die Spielweise der gegnerischen Teams wissen. Gilt das auch für Schiedsrichter?
Fedaji San: Es erleichtert uns sicher die Aufgabe, wenn wir wissen, wie die Teams spielen. Da wir in der Super League nur zwölf Mannschaften haben, kennen wir Schiedsrichter ihre jeweiligen Spielsysteme dementsprechend gut. Aber ich persönlich will im Vorfeld nicht alles wissen. Zum Beispiel informiere ich mich nie aktiv, welche Spieler vorbelastet sind und bei einer nächsten gelben Karte gesperrt wären.
Warum?
Ich könnte dann eventuell ein wenig voreingenommen sein und mir zweimal überlegen, ob ich ihm die Gelbe nun zeigen sollte oder nicht.
Es gibt Spieler, die leichter fallen, die schneller motzen als andere. Tauschen Schiedsrichter untereinander ihre Erfahrungen aus?
Sicher reden wir untereinander. Aber jeder von uns kennt die verschiedenen Charaktere der Spieler, viele spielen ja länger in der Super League.
Und bei einem Neuzugang?
Da kann es vorkommen, dass ein Schiedsrichter, der einen neuen Spieler das erste Mal pfeift, die Kollegen über seine Beobachtungen informiert.
Seit dieser Saison wird in einem neuen Modus gespielt. Merkt man als Schiedsrichter mit der Einführung des Strichs einen Unterschied?
Ja. Den Unterschied zu den letzten Saisons sieht man nur schon, wenn man die Anzahl Karten vergleicht. Sie sind mit der Einführung der Championship Group und der Relegation Group gestiegen. Spieler und Staff sind nervöser, es geht um viel. In den letzten Saisons war’s relaxter zu dieser Zeit. Der neue Modus ist auch für uns Schiedsrichter eine neue Herausforderung.
Also keine Matchvorbereitungen im Liegestuhl mehr?
Gab es nie, wird es auch nie geben. Ich bereite mich auf jedes Spiel genau gleich vor. Egal, ob es um den Titel, um den Abstieg oder um nichts mehr geht.
Trainer haben jeweils einen Matchplan. Sie auch?
Einen spezifischen Matchplan habe ich nie, ich versuche immer spontan zu bleiben. Ich denke, dann bin ich wachsamer, flexibler und kann in aussergewöhnlichen Situationen besser entscheiden. Ich habe keinen Matchplan, aber immer dasselbe Ziel: Wir wollen keine matchentscheidenden Fehler machen und nicht zum Thema werden.
Rund 90 Minuten vor Kickoff in der Schiedsrichterkabine im Wankdorf. San und sein Team packen ihre Taschen aus.
Sie sind der dienstälteste Referee, haben bereits über 200 Partien in der Super League gepfiffen. Sind Sie eigentlich vor einem Anpfiff noch nervös?
Nein, die Nervosität habe ich in all den Jahren mehr oder weniger abgelegt. Aber eine gewisse Anspannung ist immer noch da. Es wäre nicht gut, wenn es anders wäre.
Fussballer haben Rituale, Sie auch?
Nein, ich habe keine.
Wir haben gehört, Sie würden, egal bei welchen Temperaturen, immer kurzärmlig pfeifen…
… Ja. Lange Ärmel fühlen sich für mich an, als würde ich ein Pyjama tragen.
Sie haben Tenues in schwarz, gelb, rot und blau zur Auswahl. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Farbe aus?
Meine Kollegen ziehen mich oft auf, weil ich, wenn immer möglich, in Schwarz aufs Feld gehe. Das ist für mich die Farbe der Schiedsrichter, zudem macht sie schlank (schmunzelt). Heute wird’s aber das Gelbe sein. Weil YB in einem komplett schwarzen Dress aufläuft, würde nicht mal der mutigste Schiedsrichter der Welt schwarz wählen.
Was erwarten Sie für ein Spiel?
Es kann alles passieren. YB gegen GC sind immer intensive Duelle. Kommt hinzu, dass die Ausgangslage für heute zusätzlich brisant ist: YB spielt um die Meisterschaft und GC will unbedingt vom Barrage-Platz weg.
Das Spiel ist mit dem 3:0 von Monteiro bereits in der 21. Minute entschieden. San und sein Team haben bis zum Schlusspfiff alles im Griff, kaum Diskussionen, San muss keine einzige Karte ziehen. Erst zum zweiten Mal in seiner langjährigen Super-League-Karriere. Klar ist Schiri-Boss Dani Wemelinger, der als Inspizient im Wankdorf ist, nach Spielschluss zufrieden. Er lobt seinen Routinier: «Fedayi, du hast eine unglaubliche Ruhe und Sicherheit in der Spielleitung.» Er vergleicht ihn mit einem guten Wein, der mit jedem Jahr besser wird.
Schon nach 20 Minuten war der Deckel drauf, das Spiel entschieden. War dieses Spiel deshalb eine Ihrer einfacheren Aufgaben?
Nein. Wenn ein Spiel schon so früh entschieden ist, heisst das nicht, dass es einfacher für uns Schiedsrichter wird. Die grosse Herausforderung ist dann, dass man über 94 Minuten die Konzentration hochhalten kann. Das ist das Phänomen bei der Beurteilung der Schiedsrichter: Du kannst über 90 Minuten einen Top-Job machen und dann ein Fehlentscheid in der Nachspielzeit und du warst schlecht.
Stört Sie das?
Nein, damit habe ich mich längst abgefunden.
Ihr Vorgesetzter Dani Wermelinger war voll des Lobes, verglich Sie mit gutem Wein, der immer besser wird. Sie sind nun 41, wie lange wollen Sie noch pfeifen?
Solange es mir Spass macht, noch macht es das.
Und jetzt wird mit einem Glas Wein auf den fehlerfreien Auftritt angestossen?
Wir essen alle noch was zusammen, das ist so üblich. Viele Schiedsrichter trinken dabei auch mal ein Bier oder ein Glas Wein. Ich nehme jeweils ein Süssgetränk oder Wasser. Alkohol ist nicht so mein Ding.
Fedayi San wurde zwei Wochen nachdem blue Sport ihn ins Wankdorf begleitet hat, von der Uefa als Video Assistant Referee für die EM 2024 aufgeboten. Damit ist er der erste Schweizer überhaupt, der als VAR für eine Endrunde nominiert wurde.