Vater dank LeihmutterOlivier Borer: «Man warf uns vor, wir hätten ein Kind gekauft»
Von Bruno Bötschi
11.5.2023
Olivier Borer: «Seit der Geburt von Naël hat sich unser Leben auf den Kopf gestellt»
Er wollte immer Kinder haben, bis er realisierte, dass er schwul ist. Nun wurde SRF-Moderator Olivier Borer doch Vater. Sein Sohn wurde von einer Leihmutter ausgetragen.
13.04.2023
Olivier Borer wurde vor einem halben Jahr per Leihmutterschaft Vater. Warum das nicht einfach war und welche Kritik er und sein Mann sich in den letzten Monaten anhören mussten, erzählt er im Gespräch mit blue News.
Von Bruno Bötschi
11.05.2023, 06:42
11.05.2023, 06:43
Bruno Bötschi
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Olivier Borer und sein Mann sind Mitte November 2022 zum ersten Mal Eltern geworden.
Sohn Naël wurde in den USA von einer Leihmutter ausgetragen. Die Eizelle stammt von einer zweiten Frau.
Im Interview erklärt der 41-jährige SRF-Sportmoderator, warum ein «Ja» zu einer Leihmutterschaft ein egoistischer Entscheid ist.
Der erste Teils des Interviews mit SRF-Moderator Olivier Borer zum Thema erschien am vergangenen Freitag auf blue News.
Olivier Borer, auf deiner Website steht der Satz: «Ich bin kein Lautsprecher. Mir liegen die leisen, die feinen Töne.» Seit du Vater geworden bist, publizierst du regelmässig Instagram-Storys über deine Familie. Warum informierst du so offensiv?
Homosexualität ist heute kein Tabuthema mehr, Leihmutterschaft schon. Wusstest du, dass von allen Leihmutter-Babys 60 Prozent in heterosexuelle Beziehungen und nur 20 Prozent in homosexuelle Partnerschaften gehen?
Nein, das wusste ich nicht.
Ein Hetero-Paar kann einfacher verheimlichen, dass ein Bauchmami im Spiel war, ein Männerpaar kann das nicht.
«Uns ist klar, dass wir mit unserem Familienmodell nicht der Norm entsprechen», sagtest du in einem Interview. Ist dies der Grund, warum du so offen über das Modell Leihmutterschaft redest?
Ich bin fest überzeugt, es braucht Menschen wie wir, die dem Thema ein Gesicht geben. Mit der Geburt unseres Sohnes Naël konnten wir einen Diskurs anstossen.
Nach deinem Schritt an die Öffentlichkeit gab es teils auch harte Kritik.
Ich wusste, dass es kritische Stimme geben wird. Das war bei meinem Coming-out nicht anders. Im Vorfeld stellte ich deshalb folgende Regel auf: Bei Geschichten über uns, die online erscheinen, lese ich bewusst keine Kommentare. Es gab aber auch heftige Reaktionen, die mir direkt per E-Mail zugeschickt wurden – zum grössten Teil anonym.
Ein anonymer Absender schrieb: «Diese blöden Schwuchteln (...) glauben, sie können sich ein Kind quasi kaufen.» Und weiter: «Ein Kind braucht eine Mutter (...), schon mal daran gedacht, was diesem armen Kind in der Schule alles gesagt wird? Führt euer Scheissleben, aber lasst die Kinder in Ruhe!»
Natürlich tut das weh. Es gab aber auch Kritik, die seriös abgefasst war. Ein 70-jähriger Mann, der adoptiert worden ist, schrieb mir, dass er sein Leben lang darunter gelitten habe, weil er seinen Vater nicht kennenlernen durfte.
Hast du dem Mann zurückgeschrieben?
Ja. Ich schrieb dem Mann, es tue mir leid, dass er seinen leiblichen Vater nie habe kennenlernen dürfen. Mit unserem Sohn Naël gehen wir jedoch bewusst einen anderen Weg. Naël weiss von Anfang an, wer sein Bauchmami ist und auch wer die Frau ist, die die Eizelle gespendet hat, also seine leibliche Mutter ist.
Gab es noch andere unschöne Kommentare?
Eine Frau schrieb auf meinem Instagram-Account: «Fällt es euch auch auf, dass Schwule, die per Leihmutterschaft Väter werden, meistens ein Bübchen bekommen?» Dieser Kommentar traf mich brutal hart.
Hast du ihn gelöscht?
Mein Mann und ich diskutierten darüber, was wir tun sollen. Er war zunächst fürs Löschen. Ich fand, wir sollten den Kommentar stehen lassen, weil wir sonst Zensur üben würden. Noch bevor wir etwas unternahmen, hatte sich jedoch bereits meine Instagram-Bubble eingeschaltet und die Frau zurechtgewiesen.
Ganz viele sogar. In den letzten Wochen und Monaten wurde ich mega oft auf der Strasse angesprochen – interessanterweise vor allem von Frauen. Ich habe das Gefühl, Frauen gehen entspannter mit dem Thema Leihmutterschaft um. Besonders schön war die Begegnung mit einer älteren Frau an der Tramhaltestelle. Die Frau lächelte, während ich mit dem Kinderwagen an ihr vorbeiging, dann sagte sie: «Gellen Sie, Sie sind der vom Fernsehen. Ich wünsche ihnen und ihrem Sohn alles Gute.»
Waren die diversen Anfeindungen ein Grund dafür, dass du in den letzten Wochen in den sozialen Medien eine Pause eingelegt hast?
Lustig, dass du mich das gerade jetzt fragst. Mir wurde erst kürzlich klar, dass ich schon länger keinen Beitrag mehr gepostet habe. So richtig bewusst habe ich keine Pause gemacht.
Wirst du auch künftig über das Aufwachsen von deinem Sohn auf Instagram berichten?
Ich denke, ja. Aber unter uns gesagt: Hin und wieder frage ich mich schon, warum mach ich das überhaupt?
Ich weiss warum.
Warum?
Weil du Naël so gern anschaust. In einem Interview hast du erzählt, dein Mann meinte, ihr könntet den Kleinen auch Netflix taufen, weil ihr einfach nicht aufhören könnt, ihn anzuschauen.
Das stimmt – aber Naël gefällt mir noch viel besser. Und das Netflix-Abo haben wir nicht mehr erneuert.
Dass dein Mann und du Eltern werden konntet, war lange Zeit unklar. Wer hatte die Idee zur Leihmutterschaft?
Ich war die treibende Kraft hinter dieser Geschichte. Irgendwann wurde das Thema immer präsenter, weil in unserem Freundeskreis, er ist wahrscheinlich zu 80 Prozent heterosexuell, immer mehr Kinder auf die Welt kamen.
Wie lange dauerte der eigentliche Prozess?
Vom Entscheid, dass wir es mit einer Leihmutterschaft versuchen wollen, bis zur Geburt von Naël vergingen fünf Jahre.
Welches waren die wichtigsten Aufgaben?
Wir mussten mehrere grosse Entscheide fällen. Angefangen hat es mit der Wahl der Eizellspenderin. Damit taten wir uns anfänglich schwer.
Warum?
Diese Frau macht Naël zu 50 Prozent aus. Dabei war uns weniger das Aussehen der Frau wichtig, sondern vielmehr, ob sie uns sympathisch ist. Wir bedingten uns auch aus, dass wir mit der Frau Kontakt aufnehmen können.
Bei einer Leihmutterschaft ist das normalerweise nicht vorgesehen.
Genau, die Spende der Eizelle erfolgt anonym – ausser die Frau sagt Ja zu einem vorherigen Kennenlernen.
Als Nächstes stand die Suche des Bauchmamis an. Dieser Prozess wurde durch die Corona-Pandemie zusätzlich erschwert. Als der Entscheid anstand, waren Reisen in die USA verboten, die Grenzen waren noch geschlossen. Die Frau, ihr Partner und wir beide mussten uns aufgrund von mehreren Videocalls entscheiden, ob wir es zusammen versuchen wollen. Unter uns gesagt: Mit dem Bauchmami und ihrer Familie haben wir den Jackpot gewonnen.
Wie meinst du das?
Die ganze Familie des Bauchmamis trägt das Projekt mit. Ihr Partner, mit dem die Frau zwei Kinder hat, begleitete sie zu jeder ärztlichen Untersuchung. Er müsste das nicht tun. Diesen Support zu spüren, tat auch uns gut. Während der Geburt war spürbar, wie stolz der Mann auf seine Frau ist, weil sie uns dieses grosse Geschenk ermöglicht hat.
Ein Geschenk, das nicht gratis ist. Hattest du nie moralische Bedenken?
Doch. Mein Mann und ich haben uns im Vorfeld intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und einige Bücher dazu gelesen. Unsere Überlegung waren unter anderem: Ist die Gesellschaft parat für ein Leihmutterschaftskind? Können und wollen wir unserem Kind das zumuten? Denn klar ist auch, ein Ja zu einer Leihmutterschaft ist ein egoistischer Entscheid. Wir konnten Naël nicht vorab befragen, was er von unserer Idee hält, Eltern zu werden. Wichtig waren zudem die Fragen: Ist eine Leihmutterschaft medizinisch vertretbar? Und was geschieht mit der Frau, die unser Kind austrägt?
Dein Mann war anfänglich kein Fan vom System «Leihmutterschaft in den USA», weil es eben auch ein Geschäftsmodell ist.
Das ist korrekt – er wäre lieber den Weg über Co-Parenting oder eine Adoption gegangen. Mittlerweile ist er überzeugt, dass wir den richtigen Weg gegangen sind, auch wenn er Mühe mit der Kommerzialisierung hat. Leihmutterschaft ist ein Geschäft. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Gleichzeitig ist für mich aber auch klar, dass die Frauen, welche sich als Leihmütter zur Verfügung stellen, entschädigt werden müssen – insbesondere auch für das gesundheitliche Risiko, das sie dabei eingehen. Man warf uns auch schon vor, wir hätten uns ein Kind gekauft.
Was hast du darauf geantwortet?
Wer will, kann das so sehen. Ich sage jedoch: Wir haben kein Kind gekauft, sondern die Möglichkeit Eltern zu werden.
Wie viel kostet eine Leihmutterschaft?
Bei uns war es ein tiefer sechsstelliger Betrag. Mein Mann und ich mussten dieses Geld über Jahre zusammensparen.
Was passiert, wenn Naël einmal nicht durch euch erfahren sollte, dass er per Leihmutterschaft auf die Welt gekommen ist?
Ich habe grossen Respekt vor den Fragen, die dereinst kommen werden. Gleichzeitig hoffe ich, dass wir möglichst normal und offen mit diesen Themen umgehen werden. Naël wird in unserem Umfeld schnell realisieren, dass Kinder mit Mami und Papi in der Mehrzahl sind. Später in der Kita werden noch andere Familienformen dazukommen. Und er wird sehen, dass es bei uns daheim nochmals anders ist. Ich stelle mich darauf ein, dass Fragen zu diesem Thema schon bald kommen werden. Und wir wollen sie auch alle beantworten und kein Geheimnis um seine Herkunft machen. Deshalb bastle ich auch gerade an einem Fotoalbum für Naël, in dem Bilder von unserer ganzen Familie zu sehen sind, also auch vom Bauchmami und der Eizellspenderin.
Wie haltet ihr aktuell den Kontakt mit den beiden Müttern?
Mit beiden Frauen sind wir regelmässig in Kontakt. Mit dem Bauchmami etwas mehr, weil wir zu ihr eine emotional stärkere Bindung haben. Während unseres mehrwöchigen Aufenthalts in den USA verbrachten wir viel Zeit mit ihr und ihrer Familie.
Hierzulande ist die Leihmutterschaft verboten. Wie gross waren die Schwierigkeiten, als ihr mit eurem Sohn in die Schweiz einreisen wolltet?
In den USA lief alles unkompliziert ab. Als Naël seinen Pass hatte – mit der Geburt dort ist er automatisch US-Bürger –, reisten wir in die Schweiz zurück. Hier sind die gesetzlichen Hürden deutlich höher. Erst als nach einem Test klar war, wer der leibliche Vater von Naël ist, bekam unser Sohn den Schweizer Pass. Hierzulande ist bisher auch nur der leibliche Vater, anders als in den USA, im Geburtenregister eingetragen. Der andere Vater muss nun ein Jahr lang warten. Erst dann kann er, nach Erbringung des Pflegenachweises, die Stiefkinder-Adoption beantragen. Das kostet alles auch nochmals Geld, Zeit und erfordert Geduld.
Tönt kompliziert.
Das Verfahren hierzulande ist aufwändig. Wir hatten uns bereits auf einen monatelangen Papierkram eingestellt. Aber wir hatten viel Glück. Uns wurden keine Steine in den Weg gelegt. Es ist aber leider nicht in allen Kantonen so.
Du hast einmal gesagt, deine Idealvorstellung wären zwei Kinder …
Ja, das ist ein Traum von mir. Aber ich weiss nicht, ob ich den gleichen Weg, den wir für Naël gegangen sind, nochmals schaffen werde. Und irgendwann finde ich, ist es auch altersmässig zu spät.
Du bist 41, dein Mann 44.
Sollten wir uns für ein zweites Kind entscheiden, müsste dies in den nächsten zwei, drei Jahren passieren. Denn unser Wunsch wäre, dass unsere Kinder gemeinsam aufwachsen können.
Demnach bist du nach wie vor überzeugt, Vater zu werden war die richtige Entscheidung.
Mein Mann und ich sind nach wie vor zu 1000 Prozent überzeugt davon, dass wir das Richtige getan haben. Denn egal, wie müde wir von der Arbeit heimkommen oder wie schlaflos die Nacht war, kaum lächelt Naël uns an, ist alles andere vergessen.