Freiwillig kinderlosWer keine Kinder möchte, muss sich oft rechtfertigen – warum?
Elena Zelle, dpa
14.9.2020
Wenn Frauen freiwillig kinderlos sind, sind Nachfragen sicher. Warum müssen sich viele ohne Kinderwunsch erklären und rechtfertigen? Eine Expertin darüber, wie man auf solche Fragen reagieren könnte.
«Das denkst du jetzt, warte mal ab», «Da wirst du im Alter aber einsam sein» oder auch «Das wirst du später bereuen». Wenn jemand sagt, dass er oder sie keine Kinder möchte, stösst das mindestens auf Unverständnis, oft auch auf deutliche Ablehnung.
Keine Kinder – das erscheint vielen als komisch oder sogar widernatürlich. Woher kommt das? Und wie geht man mit der Frage und auch mit den Reaktionen am besten um?
Wer keine Kinder möchte, muss sich oft rechtfertigen – das gilt sowohl für Männer als auch für Frauen, wie Paula-Irene Villa Braslavsky erklärt. Sie leitet den Lehrstuhl für Soziologie und Gender Studies an der LMU München. Dennoch gibt es deutliche Unterschiede: «Bei Männern gilt es als Teil einer wertvollen und gelungenen Männlichkeit, eine eigene Familie zu gründen, einen Stammhalter zu zeugen.»
Männer können auch ohne Kinder erfüllt leben
Wer als Mann keine Kinder hat oder möchte, der müsse sich schon erklären. «Es gibt aber andere Aspekte eines gelungenen Männerlebens, die das eigene Kind ersetzen können», sagt Villa.
Dazu zählen zum Beispiel eine erfolgreiche Karriere oder andere Statussymbole. Es heisst dann zum Beispiel oft: «Er hat keine Familie, aber dafür ist er ein renommierter Autor.» «Das ist dann legitim und in Ordnung und führt nicht dazu, dass die Männlichkeit infrage gestellt wird», erklärt Villa.
Leben einer Frau wird erst durch Kinder komplett
Bei Frauen sieht das anders aus, wie die Soziologin erklärt. «Hier wird viel mehr die biologische Ausstattung als gegeben angesehen: Die Gebärmutter prägt von Natur aus die Weiblichkeit.» Seit dem frühen 19. Jahrhundert werde Weiblichkeit mit Mütterlichkeit gleichgesetzt. Sich kümmern, kommunikativ sein, sich an den Bedürfnissen anderer ausrichten – das seien Attribute, die Frauen zugeschrieben werden.
Das prägt laut Villa sowohl die Berufswahl als auch die Arbeitsteilung mit dem Partner. Und eben die Ansicht, dass erst Kinder das Leben einer Frau komplett machen.
Genau diese Vorstellungen aber seien es, die vielen Frauen das Kinderkriegen verleiden, sagt Autorin und Aktivistin Sarah Diehl. Sie hat für ihr Buch «Die Uhr, die nicht tickt: Kinderlos glücklich» mit Frauen gesprochen, die keine Kinder haben. Auffällig: Bei der Frage, warum sie keine Kinder haben, spielten Kinder selbst im Prinzip keine Rolle, sondern der Lebensentwurf, der dahintersteckt. «Viele wollen einfach keine Kleinfamilie», erklärt Diehl.
Einschränkungen durch Kinder schrecken viele ab
Mutter, Vater, Kind und die oft damit einhergehende Rollenverteilung – das beobachten viele Frauen in ihrem Umfeld und schrecke viele ab. Denn in der Regel bedeute ein Kind vor allem für Frauen zurückzustecken – sowohl, was die beruflichen Ziele als auch die privaten Interessen angeht. «Viele haben schon ein Bedürfnis nach einem familiären Zusammenleben, aber die Art und Weise, wie wir das herstellen, ist so verfestigt, dass viele das nicht wollen.»
Es gibt also viel zu tun – politisch, gesellschaftlich, aber auch bei jedem Einzelnen. Das wird wahrscheinlich dauern – so lange kann nur jeder selbst möglichst gelassen und souverän auf die Frage aller Fragen reagieren. Und vor allem auf das Unverständnis, das einem oft entgegengebracht wird, wenn man sagt, dass man keine Kinder möchte.
Die eine richtige Antwort auf die Frage nach dem Kinderwunsch gibt es laut Villa nicht. «Das lässt sich nicht für alle pauschal beantworten. Man muss auch das Kuddelmuddel des einzelnen Lebens betrachten.»
Sich von Nachfragen nicht aus der Ruhe bringen lassen
Eines rät sie aber allen: «Man sollte sich nicht kirre machen lassen von Leuten, die glauben, sie wüssten es besser als man selbst.» Denn hinter Sätzen wie «Warte mal ab» verbergen sich nicht nur vermeintliche Naturzwänge, sondern auch in gewisser Weise eine Entmündigung: Solche Aussagen beinhalten, dass man sich selbst nicht richtig einschätzen kann, sich nicht gut genug kennt oder einfach nicht in der Lage ist, in einer solchen Frage eine Entscheidung zu treffen.
Autorin Diehl hat verschiedene Ansätze, wie man auf die Frage nach dem Kinderwunsch reagieren könnte – es komme sehr darauf an, mit wem man rede. Eine Möglichkeit unter Freunden ist die Gegenfrage: «Warum glaubst du, fehlt es mir?»
Gegenfragen stellen oder einfach schweigen
So steht der oder die Fragende unter Zugzwang. Gerade wenn die Frage von jemandem kommt, der selbst Kinder hat und schon öfter über Schlafmangel, Rollenverteilung oder auch fehlende Freiräume geklagt hat, ist die Flucht nach vorne eine gute Option: «Du hast mir von diesen Problemen erzählt, das schreckt mich ab.»
Manchmal sei es hingegen ratsam, das Ganze einfach über sich ergehen zu lassen. Das gelte zum Beispiel, wenn Verwandtschaft mit einem sehr eingefahrenen Bild von einem gelungenen Leben fragt. «Man sollte seine Energie nicht verschwenden und mit jedem darüber streiten», meint Diehl.
Fragen Kollegen oder gar der Arbeitgeber, rät Diehl, auf seine Privatsphäre zu verweisen. «Da klingeln bei den meisten Menschen schnell die Glocken, dass die Frage nicht in Ordnung ist.»
Wenn beim Gegenüber ein ehrliches Interesse besteht, rät Diehl, so ehrlich wie möglich zu sein. Zum Beispiel: «Ich möchte keine Kinder, weil ich meine Freiräume behalten möchte.» Allerdings müsse man dann auch damit rechnen, dass man immer wieder beweisen muss, dass man kein Egoist ist. Oft ist sicher die einfache Gegenfrage spannend: «Warum hast oder möchtest du Kinder?»