Kolumne Vegan ist in – aber bei Kindern hört der Spass auf

Von Jürg Hösli

5.3.2020

Ethische Grundsätze bilden meist die Basis der Ernährungswahl. Doch was passiert, wenn eben diese Menschen Kinder haben?
Ethische Grundsätze bilden meist die Basis der Ernährungswahl. Doch was passiert, wenn eben diese Menschen Kinder haben?
Bild: iStock

Vegane Ernährung für Kinder, dafür gibt es jetzt offizielle Tipps. Der Bund fühlt sich genötigt, eine «Handlungsanweisung» für Hebammen und Ärzte herauszugeben – und das ist gut so, findet unser Kolumnist.

Wir leben in einer Zeit, in der zunehmend Netflix und Influencer bestimmen, was gesund und löblich ist. Vegan ist in, Fleisch und Zucker sind der Tod, Verzicht ist ein Muss und «Clean Eating» allgegenwärtig.

Frei nach dem Motto «Wir gehen nicht mehr in die Kirche, aber ins vegane Restaurant» haben viele das Gefühl, dass sie sich nicht nur ethisch korrekt verhalten, sondern auch etwas Gutes für den Körper und den Weltfrieden tun. Sind Kinder da, müssen die natürlich auch maximal gesund leben. Der Film «Game Changer» ist die neue Bibel, auch wenn er mehr Falschaussagen verbreitet als ein Marktschreier.

Erwachsene können natürlich selber entscheiden, wie sie sich ernähren wollen. Wenn aber Kinder ins Spiel kommen, hört der Spass auf. Denn nun übernehme ich als Erwachsener die Verantwortung für ein neues Leben. Und Verantwortung innehaben, heisst auch dem anderen die Möglichkeit bieten, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln und eigene ethische Grundsätze zu festigen, basierend auf Erfahrung, die jemand macht.

Stigmatisiert durch vegane Ernährung

Warum sollte ich also den Kindern Lebensmittel wie Käse, Milch und Schoggi verwehren, die in unserer Kultur üblich sind? Beraube ich auf diese Weise Kinder nicht um eine eigene gustatorische Entwicklung? Haben Sie nicht auch schon Lust auf ein ganz bestimmtes Lebensmittel gehabt? War es vielleicht nicht das Zeichen, dass es Ihnen gefehlt hat?



Was passiert mit veganen Kindern, die in die Schule kommen. Oder zu einem Geburtstagsfest eingeladen werden: Werden sie durch ihre vegane Ernährung nicht stigmatisiert? Ausgeschlossen aus der Gemeinschaft, weil die Eltern Speisen verbieten, die für die anderen ganz normal sind? Vielleicht geht es aber den Kindern gleich, wie dem veganen Jungen, der sich in Klassenlager endlich richtig mit Hamburger eingedeckt hat, als er ohne Obhut der Eltern war.

Vegane Ernährung ist anspruchsvoll

Ja, auch ich esse im Moment rein vegan. Weil ich mich als Ernährungsberater fachlich damit auseinandersetzen will. Weil wir immer mehr Menschen in der Sprechstunde haben, die wir in ihrer Wahl unterstützen wollen und müssen.

Doch das ist genau der wichtigste Punkt: Wir Erwachsenen erkennen genau, wann wir geschwächt sind. Unsere Kinder hingegen nicht, weil sie ihr Körpergefühl noch zu wenig verbalisieren können. Zudem nimmt ein kindlicher Körper bei einer Unterversorgung wesentlich schneller Schaden.



Wenn ich meine Kochkünste ansehe, dann reichen die, um mich gesund ernähren zu können. Aber ich muss ehrlich gestehen, zuerst habe ich meine vegane Ernährung komplett neu bilanziert (Kalorien, Vitamine usw. berechnen), damit ich keine Mängel erleide. Parallel dazu nehme ich nun noch Nahrungsergänzungen, um wirklich alles abzudecken.

Wenn ich als Ernährungswissenschaftler schon alles durchrechnen muss, wie machen es dann die fachlich weniger gut ausgebildeten Menschen? Kochen die einfach mal einer Influencerin nach, die ihren Ernährungslehrgang bei der Coiffeuse gemacht hat? 

Zum Autor: Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik Erpse in Winterthur und Zürich.

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In der Rubrik «Die Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren von «Bluewin» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an: redaktion2@swisscom.com

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