Bötschi fragt Torsten Sträter: «Jetzt muss mir das auch noch ein Schweizer unter die Nase reiben»

Von Bruno Bötschi

28.12.2022

«Ich erinnere mich aber noch gut, wie ich durch den Ort ging, der so schön ist, dass ich mir verarscht vorkam»: Torsten Sträter über Winterthur.
«Ich erinnere mich aber noch gut, wie ich durch den Ort ging, der so schön ist, dass ich mir verarscht vorkam»: Torsten Sträter über Winterthur.
Bild: Guido Schröder

Er stand mit 40 zum ersten Mal auf der Bühne und litt unter Depressionen. Komiker Torsten Sträter über eine Karriere mit Umwegen, Suizidgedanken und warum er die Schweiz liebt – aber trotzdem nicht hier leben möchte.

Von Bruno Bötschi

Torsten Sträter, ich stelle Ihnen in den nächsten 30 Minuten möglichst viele Fragen. Und Sie antworten möglichst kurz und schnell. Wenn Ihnen eine Frage nicht passt, sagen Sie einfach «weiter».

Okay, cool.

Krawatte oder Fliege?

Krawatte.

Sprachvirtuose oder Spötter?

Lieber Sprachvirtuose.

Hazel Brugger oder Michelle Hunziker?

Hazel Brugger jederzeit.

Und Michelle Hunziker nie mehr?

(Lacht) Jetzt kommen Sie mit einer einschränkenden Frage. Das habe ich gern. Die Antwort darauf lautet nein. Hätte ich jedoch die Wahl, würde ich Hazel Brugger wählen.

Typische Torsten-Sträter-Worte gleich nach dem Aufstehen am Morgen?

Lutsch mich rund und nenn mich Bärbel.

Das Beste von 2022

Zum Jahresende bringt blue News die Lieblingsstücke des ablaufenden Jahres noch einmal. Dieser Text erschien zum ersten Mal am 26. Oktober 2022.

Wann bekamen Sie die letzte Mitteilung auf Ihr Handy, die von einem, laut Ihrer eigenen Aussage, «verkackten Emoji» gekrönt wurde?

Moment, ich gucke schnell nach. Bitte dranbleiben … Mein Sohn schickte mir kürzlich ein Herzchen. Ansonsten scheint mein WhatsApp-Messenger sauber zu sein. Bitte dranbleiben, ich suche weiter. Dranbleiben … dranbleiben … ah, da ist doch noch ein Emoji.

Was für eines?

Ein Smiley neben einem nach oben zeigenden Daumen. Das geht ja gerade noch. Ansonsten scheint wirklich alles sauber zu sein. Mein Umfeld weiss, dass ich diese übertrieben lachenden Smileys hasse. Ich könnte da echt kotzen.

Es heisst, im Ruhrgebiet werden Sie wie eine Gottheit verehrt.

Torsten Sträter lacht schallend.

Bei uns in der Schweiz sind Sie noch nicht so bekannt. Darum bitte jetzt kurz und knapp ein Werbespot in eigener Sache.

Mein Name ist Torsten Sträter. In der Schweiz würdet ihr mich noch viel mehr lieben, wenn ihr alle wüsstet, dass ich mit den achtmal höheren Gagen, die ihr gegenüber Deutschland zahlt, auf der Bühne ganz vernünftige Sachen mache.

Harald Schmidt sagte in einem Interview: «Die Schweiz ist für die Deutschen das unerreichte Ideal.»

Das ist wahr.

Es gibt viele Deutsche, die in die Schweiz ziehen. Verstehen Sie das?

Ja – allein schon wegen der Landschaft.

Haben Sie auch schon mit dem Gedanken gespielt, aus steuerlichen Gründen hierherzuziehen?

Nein. Wenn die in Deutschland mit meinem Geld schon die ganzen Autobahnen sanieren, will ich die auch benutzen.

Zum Autor: Bruno Bötschi
Bild: blue News

blue News-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland. Er stellt ihnen ganz viele Fragen – immer direkt, oft lustig und manchmal auch tiefsinnig. Dabei bleibt bis zur allerletzten Frage immer offen, wo das rasante Pingpong hinführt.

Im Teenageralter erlitten Sie in der Schweiz, während Sie mit Ihren Eltern gerade auf dem Weg in die Sommerferien nach Italien waren, eine schmerzhafte Hodensenkung.

Das ist richtig.

Gibt es auch schöne Erinnerungen an unser Land, die Sie zum Besten geben können?

Ich mag alles an der Schweiz. Es fängt mit der unfassbar klaren Luft an. Als Kind war ich jedes Mal fassungslos, wenn wir mit unserem grünen Fiat über die Grenze zu euch gefahren sind. Trotz der Bedenken meiner Eltern, sie könnten sich dies aus finanziellen Gründen nicht leisten, machten wir deshalb hin und wieder zwei oder drei Tage Pause in der Schweiz zum Verschnaufen. Während eines dieser Aufenthalte besuchten wir ein unfassbar schönes Technik-Museum. Dort hing ein Flugzeug oben an der Decke. Das flashte mich komplett.

Sie waren möglicherweise im Verkehrshaus in Luzern.

Das kann gut sein.

Tönt ganz so, als wären Sie schon länger nicht mehr in der Schweiz gewesen.

Es sind schon ein paar Jahre her, dass ich im Casinotheater in Winterthur aufgetreten bin. Ich erinnere mich aber noch gut, wie ich durch den Ort ging, der so schön ist, dass ich mir verarscht vorkam.

«Mein Umfeld weiss, dass ich diese übertrieben lachende Smileys hasse. Ich könnte da echt kotzen»: Torsten Sträter über Emojis.
«Mein Umfeld weiss, dass ich diese übertrieben lachende Smileys hasse. Ich könnte da echt kotzen»: Torsten Sträter über Emojis.
Bild: Guido Schröder

Wir telefonieren heute Nachmittag zusammen, weil ab morgen Donnerstag Ihr neues Werk «Du kannst alles lassen, du musst es nur wollen» in den Läden liegt. Mit welchem Text aus Ihrem Buch sollte ein Torsten-Sträter-Laie einsteigen?

Ach, ich habe das Buch vor sechs Wochen abgegeben und weiss doch gar nicht mehr, welche Texte da drinstehen (lacht). Einem Laien würde ich den Text «Versicherungen» empfehlen. Er ist unglaublich gut komponiert, so wie ein Song.

Und ein Torsten-Sträter-Kenner, welcher Text soll der zuerst lesen?

Kennern würde ich sagen, sie sollen sich nicht so anstellen und das Buch einfach irgendwo aufschlagen. Die finden dann ganz schnell etwas, das sie lustig finden.

Ich war gespannt auf den ersten Satz in Ihrem neuen Buch – als ich ihn las, war ich enttäuscht.

Wie lautet denn der erste Satz in meinem Buch?

«Ich finde es nahezu mega-schmeichelhaft, dass Sie mein Buch in den Händen halten.»

Der Satz ist doch okay. Ja klar, ich hätte Ihnen im ersten Satz natürlich auch lieber erklärt, wer US-Präsident Kennedy wirklich erschossen hat. Aber ganz ehrlich, mir schmeichelt es immer sehr, wenn jemand ein Buch von mir kauft.

Ich dachte halt, nachdem Ihr Komiker-Kollege Kurt Krömer sein Buch «Du darfst nicht alles glauben, was du denkst» mit dem besten ersten Satz aller Zeiten eröffnete, also mit «Torsten Sträter hatte recht», wollten Sie mindestens den zweitbesten Satz aller Zeiten nachliefern.

Jetzt ist es zu spät dafür. Aber Sie haben natürlich recht, ich hätte mit diesem Satz beginnen sollen. Ach, ich habe es versaut. Und zu allem Übel muss mir das jetzt kurz vor Erscheinen meines Buches auch noch ein Schweizer unter die Nase reiben. Vielen Dank.

Entschuldigung, aber ich möchte nicht mit der Türe ins Haus fallen und darum vorab die Frage: Triggert Sie heute das Thema «Depressionen» oder können wir darüber reden?

Wenn Sie das wollen, können wir das tun.

Sie machen keinen Hehl daraus, dass Sie – so wie Kurt Krömer auch – an Depressionen leiden. Darum die Frage: Wie geht es Ihnen?

Gut. Ich bin zwar gerade ziemlich erschöpft, was sich ähnlich wie eine Depression anfühlt. Aber keine Angst, als Vollprofi kenne ich den Unterschied zwischen diesen beiden Zuständen sehr genau. Ja, ich darf sagen, dass es mir seit einigen Jahren wirklich gut geht – mit einer Ausnahme.

Welcher?

Im Herbst 2020 überstülpte mich wegen des Lockdowns eine grosse Hoffnungslosigkeit. Wir mussten da in Deutschland immer schon um 22 Uhr zu Hause sein. Irgendwann fragte ich mich, ob ich je wieder vernünftig arbeiten kann. Davon einmal abgesehen, stehe ich wirklich auf der Sonnenseite des Lebens.

Anderthalb Jahre ist es her, dass Komiker Kurt Krömer in seiner Sendung «Chez Krömer» erstmals öffentlich über seine Depressionen sprach. Sein Gast damals: Torsten Sträter.

Video: Youtube.

Warum sind Sie denn aktuell derart müde?

Ich absolvierte sehr viele Auftritte und habe keinen Urlaub gemacht, das fordert seinen Tribut.

In einem Interview sagten Sie: «Du musst immer weiterkämpfen. Bis die Depressionen unter dir leiden.» Wie sieht dieser Kampf aktuell aus?

Zu viel arbeiten ist auf jeden Fall nicht besonders hilfreich. Ich mache das vor allem für mein Ego. Ich will, dass mich das Publikum lustig findet und als besonderen Menschen wahrnimmt. Manchmal bin ich dann aber so müde, dass ich nicht mehr weiterweiss. Aber das …

… tönt nicht gut.

Ich lasse mich deswegen jetzt auch behandeln und versuche in Zukunft achtsamer zu leben.

Wollen Sie Ihr Ego auf ärztliches Anraten kleiner machen?

Mein Ego ist in den letzten zweieinhalb Jahren bereits auf ein gesundes Mass zurückgeschrumpft. Die Corona-Pandemie hat dafür gesorgt, dass ich mein Dasein wieder etwas realistischer bewerte. Trotzdem kann ich es immer noch nicht lassen, um 19 Uhr meine Hände zu reiben, wenn ich weiss, dass ich ab 20 Uhr auf der Bühne stehen werde und daran denke, dass die Leute mich wahrscheinlich lustig finden werden.

«Mein Ego ist in den letzten zweieinhalb Jahren bereits auf ein gesundes Mass zurückgeschrumpft»: Torsten Sträter über die Auswirkungen der Corona-Pandemie.
«Mein Ego ist in den letzten zweieinhalb Jahren bereits auf ein gesundes Mass zurückgeschrumpft»: Torsten Sträter über die Auswirkungen der Corona-Pandemie.
Bild: Guido Schröder

Wie fühlen Sie sich nach einem Auftritt?

Früher dachte ich immer, ich würde in ein tiefes Loch fallen oder es würde mich eine wahnsinnige Euphorie antreiben. Heute weiss ich, bei mir gibt es weder noch. Ich sitze also nicht an der Hotelbar und feiere mich selber. Ich falle auch nicht in ein Loch der Bedeutungslosigkeit, weil mich niemand mehr beklatscht. Stattdessen verspüre ich 20 Minuten lang eine Zufriedenheit in mir, dass ich elegant und mit vielen Lachern durch den Abend gekommen bin.

Und danach?

Bin ich mir im Klaren darüber, dass die Leute spätestens, wenn sie wieder daheim angekommen sind, zurück in ihrem Alltag sind und sich wieder mit ihrem eigenen Leben beschäftigen. Mir geht es ja genauso, ich bin ein Typ für die Echtzeit. Nach einem Auftritt bin ich immer sehr stabil. Ich versuche dann noch etwas zu essen, schaue auf dem iPad vielleicht noch einen Film zu Ende und gehe dann ins Bett.

In Ihrem neuen Buch finden sich zwei Texte über das Thema «Depression»: Meines Erachtens gehören «Warum ich kein Buch über meine Depressionen schreibe» und «Acht wenig hilfreiche Klopper zum Thema Depression» zu Ihren stärksten Texten überhaupt.

Danke schön. Den «Klopper»-Text schrieb ich für meine TV-Sendung «Sträter», als Kurt Krömer mein Gast war. Den anderen Text musste ich aufschreiben, weil ich ständig gefragt werde, warum ich kein Buch über Depressionen schreibe. Und das ist jetzt wirklich eine ernst gemeinte Antwort. Sie sind der erste Mensch überhaupt, neben meinem Lektor, der diesen Text gelesen hat. Es ist schön, dass Ihnen der Text «Warum ich kein Buch über meine Depressionen schreibe» gefällt.

Ich habe ihn aufgeschrieben, weil … es triggert mich eben nach wie vor, wenn ich über meine einstigen Suizidgedanken rede. Aber ein ganzes Buch über dieses Thema bringe ich nicht zusammen. Ich kann mich zwar an grosse Teile meiner Kindheit erinnern, aber ich habe ein Problem mit der Reihenfolge. Deshalb habe ich grossen Respekt vor dem Schauspieler Mario Adorf, der sich in seiner Biografie noch an sein viertes Lebensjahr erinnern kann und alles chronologisch durchzieht. Mir ist das nicht gegeben.

Sie sind ein Mensch, der gern Umwege geht. Ich denke deshalb, Sie haben mit Kurt Krömer vereinbart, dass Sie Ihr Buch über Depressionen erst dann publizieren werden, wenn sein Buch aus der «Spiegel»-Bestellerliste gefallen ist.

(Lacht) Nein, nein, mit Kurt Krömer habe ich gar nichts besprochen. Ich freue mich immer, wenn ich ihn sehe, was allerdings nur selten passiert. Wir haben übrigens erst neulich unsere Telefonnummern ausgetauscht. Wissen Sie, viele gute Freunde von mir haben bereits Bücher über Depressionen geschrieben – zuletzt der Kölner Komiker Maxi Gstettenbauer. Ein tolles Buch, genauso wie jenes von Kurt Krömer.

Meine Geschichte ist jedoch zu dünn. Um sie niederzuschreiben reichten mir drei, vier Seiten. Das ist alles, was ich aktuell dazu zu bieten haben. Sollte ich künftig wieder einmal etwas zum Thema «Depressionen» zu sagen haben, werde ich einen weiteren pointierten Kurztext verfassen.

Denken Sie manchmal darüber nach, was passiert wäre, wenn es mit der Komiker-Karriere nicht geklappt hätten? Würden Sie heute überhaupt noch leben?

Ja, ich würde heute noch leben. Den Gedanken an Selbstmord habe ich nachhaltig überwunden. Ich habe dieses Thema durchmeditiert und durchdiskutiert. Heute bin ich überzeugt davon, dass das Leben gelebt werden muss. Es gibt keine Abkürzung. Und jede und jeder möge sich bitte daran halten, alles andere ist Quatsch.

Es ist lächerlich und unseriös sich umzubringen, wenn man vorher nicht mindestens einmal am Meer war, noch kein Pony gestreichelt hat und niemals durch New York gelaufen ist. Wie gesagt, ich wäre noch am Leben auch ohne Karriere als Komiker, aber unter uns gesagt: Einmal pro Woche klopfe ich mir auf die Schulter, feiere mein Leben und bin unendlich dankbar dafür, dass doch noch alles gut gekommen ist und ich bisher auch noch nicht in eine Midlife-Crisis geschlittert bin.

Die Resonanz auf Ihre Auftritte – ob im Fernsehen oder auf Bühnen – ist gross. Menschen aller Altersklassen lachen über Sie. Wie erklären Sie sich das?

Das kann ich nicht erklären. Vielleicht liegt es daran, dass ich viele Menschen vereine, also Frauen, Männer, alte und junge Menschen und nichtbinäre Personen. Mein Publikum ist sozusagen die Schnittmenge der deutschen Gesellschaft. Ich freue mich immer, wenn keine Nazis im Publikum sind.

«Heute bin ich überzeugt davon, dass das Leben gelebt werden muss. Es gibt keine Abkürzung. Und jede und jeder möge sich bitte daran halten, alles andere ist Quatsch»: Torsten Sträter über seine einstigen Suizidgedanken.
«Heute bin ich überzeugt davon, dass das Leben gelebt werden muss. Es gibt keine Abkürzung. Und jede und jeder möge sich bitte daran halten, alles andere ist Quatsch»: Torsten Sträter über seine einstigen Suizidgedanken.
Bild: Guido Schröder

War Ihr Aussehen für Ihre Bühnenkarriere hinderlich oder förderlich?

Weder noch. Ich befinde mich da, glaube ich, in einem neutralen Bereich (lacht).

Wirklich wahr, dass Sie Ihre Beanie-Mütze nur tragen, weil sie etwas brauchten, dass Ihren Schweiss auffängt?

Ja.

Haben Sie es auch schon einmal mit einem schönen Hut probiert?

Wissen Sie was, ich sammle schöne Hüte und trage sie privat auch unglaublich gern. Hüte haben nur ein Problem: Sie beschatten das Gesicht, wenn das Licht von oben kommt. Mit Hut würde ich auf der Bühne deshalb meistens dem Wrestler The Undertaker ähnlich sehen. Ich sage nur: nicht gut.

So grundsätzlich: Was treibt Sie als Komiker und Kabarettist an?

Mich treibt an, immer wieder etwas Neues schreiben zu können. Ich bekomme Unbehagen, wenn ich daran denke, dass ich gebetsmühlenartig während vier Jahren meine Auftritte auf der Bühne und im TV mit denselben Texten bestücken müsste. Darauf habe ich keinen Bock. Deshalb produziere ich fast jede Woche neues Material.

Ist Schreiben für Sie ein Glück?

Aller Anfang ist schwer. Während des Schreibens der Texte für meine TV-Sendung «Sträter» denke ich manchmal: Wie soll ich nur so viele Worte finden, dass es für 45 Minuten Sendung reicht? Sie kennen das vielleicht als Journalist auch – aber dann plötzlich entfaltet sich der Text und ich spüre, wie sich meine Gedanken mit den Worten auf dem Blatt Papier synchronisieren. Und dann freue ich mich, dass es gut läuft.

Sie standen mit 40 Jahren zum ersten Mal auf der Bühne – als Poetry-Slammer. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Auftritt?

Ganz früher gab es noch einen Schulauftritt. Aber der ist schon so lange her, dass ich ehrlich gesagt nicht mehr weiss, was ich damals aufgeführt habe. Mein erster Auftritt als Poetry-Slammer fühlte sich … na ja, ich stellte mich auf die Bühne, versteckte mich hinter meinem Text und las ihn vor. Es ging ganz gut, obwohl ich die Befürchtung hatte, mich würde auf der Bühne das Lampenfieber verschlingen. Dem war aber nicht so. Vielleicht hat es mit meinem zu grossen Ego zu tun oder ich bin einfach zu dumm für Lampenfieber.

Wie ging es weiter?

Danach riss mich der Strudel des Poetry-Slams mit, der mich übrigens auch in die Schweiz geführt hat. Alles wuchs ganz langsam. Es gibt ja immer wieder Menschen, die mir eine Expresskarriere nachsagen. Denen sei hier und heute erklärt: Das stimmt nicht. Hingegen stimmt, dass ich mir ab und zu wünsche, ich hätte früher mit der Komik und dem Kabarett angefangen.

Sie sind gelernter Herrenschneider und haben einst als Herrenausstatter gearbeitet. Schon darüber nachgedacht, wieso gerade Sie eine Karriere mit Umwegen hinlegen mussten?

Na ja, das Leben ist doch ein ständiger Umweg. Früher war ich mir ziemlich sicher, dass ich immer arm bleiben werde – also arm in Sinne von: 1100 Euro netto im Monat verdienen. Aber ich hatte viel Glück. Das habe ich unter anderem Komiker Dieter Nuhr zu verdanken, der mir in seiner TV-Sendung ganz viel Präsenz geschenkt hat und mich so einer immer grösseren Öffentlichkeit bekannt gemacht hat.

Als Komiker haben Sie die Form des unterhaltsamen Abschweifens und Mäanderns zum Kunstprinzip erhoben. Gehen Sie auch im Privaten gern Umwege?

Ähm … ich finde, man merkt es auch meinen Antworten in diesem Interview an. Ich erzähle etwas, dann fällt mir etwas Neues ein, weil ich denke, es sei irgendetwas Erhellendes, und komme dann mit viel Glück vielleicht wieder auf ihre Frage zurück, wenn ich die bis dahin nicht vergessen habe. Während ich auf der Bühne Umwege kultiviere, versuche ich mir diese im Privaten abzugewöhnen.

Welche Vorteile haben Umwege?

Mehr Strecke. Du siehst mehr von der Gegend.

Und welche Nachteile?

Wenn du jemals ein Ziel hattest, dauert es, bis du da bist.

Wirklich wahr, dass Sie vor jedem Auftritt Ihre Sachen immer selber bügeln?

Das stimmt. In der Regel ist es so, dass ich an den Orten, an denen ich auftrete, meist der beste Bügler bin. Was auch damit zu tun hat, dass ich nicht mit grossem Gefolge reise. Wenn es gut läuft, ist mein Fahrer dabei, aber der ist gefahren und muss dann erst einmal Pause machen und Schnitzel essen. Darum bügle ich meine Sachen selber, esse danach Schnitzel, gehe aufs Töpfchen und dann raus auf die Bühne.

Wirklich keine Sonderwünsche für den Backstage-Bereich?

Ein bisschen Gemüse, Bügeleisen und Bügelbrett und Kaffee in unbegrenzter Menge.

«Es ging ganz gut, obwohl ich die Befürchtung hatte, mich würde auf der Bühne das Lampenfieber verschlingen»: Torsten Sträter über seinen ersten Auftritt als Poetry-Slammer.
«Es ging ganz gut, obwohl ich die Befürchtung hatte, mich würde auf der Bühne das Lampenfieber verschlingen»: Torsten Sträter über seinen ersten Auftritt als Poetry-Slammer.
Bild: Guido Schröder

Möchten Sie bis an Ihr Lebensende schreiben?

Ja.

Schreiben Sie heute Ihre Texte anders als mit 40? Langsamer? Schneller? Bedachter? Mit mehr Umwegen?

Gute Frage. Nicht schlecht. Weiss nicht. Ich hatte bisher nie einen inneren Zensor, der mich von vornherein abgehalten hat, Schwachsinn zu schreiben. Dafür bin ich einigermassen dankbar, obwohl das in der Vergangenheit zu einigen schlechten Texten geführt hat, aber sei's drum. Nachdem ich sicher schon ein paar tausend Seiten geschrieben habe, weiss ich heute zum Glück schneller, wo ich mit einer Geschichte hinwill. Früher konnte ich 80 Prozent meiner Texte wegschmeissen, heute sind es noch 50 Prozent.

Wo schreiben Sie?

In meinem Büro. Aber ich kann eigentlich überall schreiben – ausser im Zug.

Vielleicht sollten Sie das mit dem Zugfahren und dem Schreiben demnächst einmal in der Schweiz versuchen?

Zug gefahren bin ich schon in der Schweiz. Das hat etwas total Erhabenes. Es geht schon damit los, was ihr in den Zügen esst. Zudem gibt es viel zu sehen, wenn man aus dem Fenster schaut: Wow, der totale Kracher.


«Du kannst alles lassen, Du musst nur wollen», Torsten Sträter, Ullstein Paperback, 288 Seiten, ca. 25 Fr.

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27.04.2022

Suizid-Gedanken? Hier findest du Hilfe

Brauchst du Hilfe? Hier kannst du reden

Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da.

Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefon 143, www.143.ch Beratungstelefon Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefon 147, www.147.ch

Weitere Adressen und Informationen: www.reden-kann-retten.ch

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben:

Refugium: Verein für Hinterbliebene nach Suizid: www.verein-refugium.ch
Nebelmeer: Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils: www.nebelmeer.net