Argentiniens neuer Präsident Wer Javier Milei ist, wie er die Wirtschaft ankurbeln will und was er glaubt

Von Philipp Dahm

20.11.2023

Rechtspopulist Milei gewinnt Präsidentschaftswahl in Argentinien

Rechtspopulist Milei gewinnt Präsidentschaftswahl in Argentinien

Jubel bei den Anhängern des Rechtspopulisten Javier Milei in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Der selbst ernannte «Anarchokapitalist» hat die Präsidentenwahl in Argentinien gewonnen. Milei lag in der Stichwahl um das Präsidentenamt mit rund 56 Prozent der Stimmen deutlich vor dem argentinischen Wirtschaftsminister Sergio Massa. Milei kündigte eine wirtschaftliche Schocktherapie an.

20.11.2023

Obwohl Javier Milei Ministerien abschaffen und Sozialausgaben kürzen will, hat ihn die Mehrheit zum neuen Präsidenten gemacht. Es zeigt, wie satt das Wahlvolk das politische Establishment hat.

P. Dahm

20.11.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der Hintergrund der Wahl: Argentinien, das vor 110 Jahren noch zu den zehn reichsten Ländern zählte, hat heute 40 Prozent Arme.
  • Javier Milei hat seinen Wahlkampf «gegen das System» ausgerichtet und damit den Nerv des Volkes getroffen.
  • Milei will den Dollar einführen und neben der Zentralbank auch Ministerien abschaffen: Die Ämter für Bildung, Gesundheit und Soziales sollen aufgelöst werden.
  • Milei ist für das Recht auf Waffenbesitz und gegen das Recht auf Abtreibung. Er verneint den Klimawandel.
  • Weil Mileis Bewegung keinen Provinzgouverneur stellt, keine Mehrheit im Parlament und zu wenig kompetente Leute hat, muss sich zeigen, welche Politik er wirklich durchsetzen kann.
  • Populisten und Rechte im Ausland freuen sich über Mileis Sieg.

Der libertäre Populist und Oppositionspolitiker Javier Milei wird Argentiniens neuer Präsident: «Heute beginnt der Wiederaufbau von Argentinien. Das ist ein historischer Abend», verspricht der 53-Jährige nach der Bekanntgabe des Ergebnisses. «Ich will eine Regierung, die ihre Pflicht erfüllt, die das Privateigentum und den freien Handel respektiert.»

Was ist der sozio-ökonomische Hintergrund der Wahl?

Die zweitgrösste Volkswirtschaft Südamerikas steckt in einer tiefen Krise. Die Inflationsrate liegt bei über 140 Prozent, rund 40 Prozent der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. 1913 zählte Argentinien dagegen noch zu den zehn reichsten Ländern der Welt: Das pro-Kopf-Einkommen war damals höher als in Italien, Spanien oder Portugal.

1913, als Argentinien noch reich war, kaufte der Staat in Belgien mehrere Tramwagen für die erste U-Bahn Südamerikas. In La Brugeoise kann man heute noch fahren.
1913, als Argentinien noch reich war, kaufte der Staat in Belgien mehrere Tramwagen für die erste U-Bahn Südamerikas. In La Brugeoise kann man heute noch fahren.
KEYSTONE

Argentinien leidet heute unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer grossen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht. Die Landeswährung Peso verliert gegenüber dem US-Dollar immer weiter an Wert, der Schuldenberg wächst ständig.

Warum hat Milei gewonnen?

Wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump und der frühere brasilianische Staatschef Jair Bolsonaro bedient sich Milei der Anti-System-Rhetorik: «Philosophisch bin ich ein Anarcho-Kapitalist», sagt Milei über sich selbst. «Der Staat ist der Feind, er ist eine kriminelle Organisation.»

Javier Milei schwenkt am 12. September in La Plata seine Kettensäge.
Javier Milei schwenkt am 12. September in La Plata seine Kettensäge.
Keystone

Diesen Staat will Milei zerstören – im Wahlkampf symbolisiert durch die Kettensäge, die er eifrig geschwenkt hat. Und damit hat der Kandidat offensichtlich den Nerv getroffen, wie das Ergebnis zeigt. Das Volk fühlt sich betrogen und will unbedingt einen Wechsel an der politischen Spitze.

Wie will Milei die Wirtschaft ankurbeln?

«In 15 Jahren könnte Argentinien einen ähnlichen Lebensstandard wie Frankreich oder Italien erreichen», versichert Milei im Wahlkampf. «Wenn ihr mir 35 Jahre gebt, könnte Argentinien wie die Vereinigten Staaten aussehen.» Der Präsident in spe will den US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel einführen und die die Zentralbank auflösen.

Milei will zudem mehrere Ministerien auflösen und damit viel Geld sparen – unter anderem sind die Ministerien für Gesundheit, Bildung und soziale Entwicklung betroffen. Dass ihn dennoch auch viele Arme gewählt haben, die diese Kürzungen der Sozialausgaben zu spüren bekommen werden, zeigt, wie satt das Volk die etablierte Politik hat. 

Woran glaubt Milei?

Der Politiker will den Waffenbesitz liberalisieren, ist gegen das Recht auf Abtreibung, glaubt nicht an den menschengemachten Klimawandel und schimpft den argentinischen Papst Franziskus einen Kommunisten.

Rechts neben Milei ist seine Freundin Fatima Florezi zu sehen. 
Rechts neben Milei ist seine Freundin Fatima Florezi zu sehen. 
AP

Der Exzentriker spielte früher in einer Rockband und lebt mit fünf geklonten riesigen Mastiffs zusammen. Die Hunde hat er nach liberalen Ökonomen wie Milton Friedman und Robert Lucas benannt. Ausserdem liebt es Cosplay – und verkleidet sich gern als «General Ancap».

Was wird Milei umsetzen?

Nun geht es um Mileis Kompromissfähigkeit, denn allein wird er trotz seiner radikalen Rhetorik nicht weit kommen. Im Parlament hat er keine Mehrheit, sein Lager verfügt nicht über einen Provinzgouverneur, zudem fehlt ihm qualifiziertes Personal, um wichtige Schlüsselpositionen zu besetzen.

Javier Milei ist im Wahlkampf von seiner Schwester Karina Milei (rechts) tatkräftig unterstützt worden.
Javier Milei ist im Wahlkampf von seiner Schwester Karina Milei (rechts) tatkräftig unterstützt worden.
EPA

Der politische Gegner hingegen kann ihm das Leben als Staatschef schwer machen: Die linken Peronisten sind über Gewerkschaften, soziale Bewegungen und Parteistrukturen bis in die kleinsten Gemeinden bestens organisiert und jederzeit in der Lage, das öffentliche Leben in Argentinien mit Protesten gegen die neue Regierung lahmzulegen, wenn Subventionen für Wasser, Strom und Treibstoff gestrichen würden.

Wer gratuliert Milei zum Sieg?

Mileis Sieg sorgt wenig überraschend vor allem im rechten Lager für Begeisterung. «Glückwunsch, lieber Milei, zum grossartigen Sieg bei den argentinischen Präsidentschaftswahlen», schreibt der Vorsitzende der rechtspopulistischen spanischen Partei Vox, Santiago Abascal, auf X. «Es lebe Spanien, es lebe Argentinien, souverän und frei von Sozialismus.»

«Make Argentina Great Again», schreibt Trump – natürlich in Grossbuchstaben.
«Make Argentina Great Again», schreibt Trump – natürlich in Grossbuchstaben.
Truth Social/@realDonaldTrump

Auch Donald Trump gratuliert. «Die ganze Welt hat zugesehen», schreibt er auf Truth Social. «Ich bin sehr stolz auf Sie. Sie werden das Ruder in ihrem Land herumreissen und Argentinien wahrlich wieder gross machen.»

Mit Agentur-Material.