Wintis Shootingstar Nishan Burkart «Es macht mich traurig, dass mein Vater das alles nicht mehr miterleben kann»

Von Michael Wegmann (Interview) und Jüri Christen (Video)

15.3.2024

Nishan Burkart: «Mein Vater fehlt mir. Er hat immer an mich geglaubt»

Nishan Burkart: «Mein Vater fehlt mir. Er hat immer an mich geglaubt»

Trotz seines aktuellen Höhenflugs vermisst Nishan Burkart seinen Vater. Im Beitrag erzählt der Winterthur-Stürmer über den Verlust und was ihm in seinem Leben Halt und Perspektive gibt.

15.03.2024

So schnell Winterthurs Shootingstar Nishan Burkart (24) für gewöhnlich unterwegs ist, fürs Gespräch mit blue Sport nimmt er sich Zeit. Mal ist es lustig, mal traurig, immer offen und ehrlich. 

Von Michael Wegmann (Interview) und Jüri Christen (Video)

Nishan Burkart, der pfeilschnelle Offensivspieler des FC Winterthur, ist so was wie der Mann der Stunde der Super League: Derby-Doppelpack zuletzt beim 2:0 über GC, ebenfalls Matchwinner mit zwei Toren im Cup gegen den anderen Kantonsrivalen FCZ.

Höchste Zeit also, um mit ihm zu reden. Über seinen speziellen (Um)Weg via Manchester United und Freiburg in die Super League, seinen Zoff-Abgang aus dem FCZ-Nachwuchs, seine Eltern, die beiden Sprintstars und mehrfache Olympioniken Stefan Burkart († 4. Mai 2020) und Helen Barnett Burkart, den Tod seines Vaters und seine eigene Bestzeit auf 100 Meter.

Im April 2016 titelte der Blick: «Zoff um FCZ-Talent – Nishan Burkart darf nicht mehr spielen, weil er zu ManUtd geht». Wie konnte es so weit kommen?

Ich war noch sehr jung und habe mit Sicherheit nicht alles mitbekommen, was abgelaufen ist. Aus meiner Sicht war's so: Nachdem ich ein Angebot von ManUtd bekommen und mich entschlossen habe, diese Chance zu packen, hat der FCZ mich nicht mehr spielen lassen. Während sechs Monaten durfte ich nur trainieren. Dabei war ich Captain der U16, ich wollte meinen Kollegen helfen.

Nishan Burkart galt im FCZ-Nachwuchs als grösstes Sturmjuwel seines Jahrgangs.
Nishan Burkart galt im FCZ-Nachwuchs als grösstes Sturmjuwel seines Jahrgangs.
zVg

Wie war's?

Das war sehr schwierig, ich habe es nicht verstanden. Und es hat mir auch in England nicht geholfen. Wenn du ein halbes Jahr nicht spielst, merkst du das. Zum Glück war man bei ManUtd verständnisvoll, liess mir Zeit und machte mir keinen Druck.

Es gibt ein Foto von Ihnen und Ihren Eltern mit ManUtd-Legende Ryan Giggs. Hat er Sie vom Wechsel überzeugt?

Das Foto wurde aufgenommen, als meine Eltern und ich zum Champions-League-Spiel gegen Moskau eingeladen wurden. Ryan Giggs war mit uns in der Loge und hat sich mit uns unterhalten. Auch Sir Alex Ferguson hat mit uns geredet. Obwohl ich wegen seines schottischen Akzents kein Wort verstanden habe, hat mir dies grossen Eindruck gemacht. Richtig realisiert, wer mir da gegenübergestanden ist und sich um mich bemüht hat, habe ich das erst viel später. 

Nishan Burkart (2.v.r.) mit seinen Eltern und ManUtd-Legende Ryan Giggs im November 2015 vor seiner Unterschrift bei ManUtd.
Nishan Burkart (2.v.r.) mit seinen Eltern und ManUtd-Legende Ryan Giggs im November 2015 vor seiner Unterschrift bei ManUtd.
zVg

Wenn Giggs und Ferguson um einen buhlen, kann man als 16-Jähriger kaum «Nein» sagen. Wie nervös waren Sie?

Sehr nervös. Auch noch während meinen ersten Tagen bei ManUtd. Meine Mutter ist zum Glück mit mir nach England gezogen. Das hat es mir sehr vereinfacht, diesen grossen Schritt überhaupt zu wagen. Dass mein Vater damit einverstanden war, dass wir ihn allein in der Schweiz zurücklassen, ist auch nicht selbstverständlich. Ich hatte Glück, dass ich super Eltern hatte, die mich immer unterstützt haben.

Würden Sie denselben Weg wieder gehen, obwohl Sie am Ende nicht in der Premier League gelandet sind?

Absolut! Ich würde alles nochmals genau so machen. Hat man die Chance zu einem so grossen Klub wie ManUtd zu wechseln, sollte man es tun. Ich denke, dass man immer zurückkehren kann, sollte es nicht klappen. Ich konnte Erfahrungen sammeln, die unbezahlbar sind. Ich habe als Teenager mit Premier-League-Spielern trainieren können.

Wer von den Stars hat Ihnen am meisten imponiert?

Michael Carrick. Im Training spielten wir jeweils mit der U18 gegen die Profis. Auf kleinen Spielfeldern konnten wir mithalten, auf grösseren waren wir chancenlos. Beeindruckend war, dass sich Michael Carrick von uns Jungen nie unter Druck setzen liess, obwohl er nicht der schnellste und beweglichste Spieler war.

Gehörten Sie auch bei ManUtd zu den schnellsten Spielern?

Ja.

Im ManUtd-Dress konnte Nishan Burkart Erfolge feiern.
Im ManUtd-Dress konnte Nishan Burkart Erfolge feiern.
zVg

Kein Wunder, wenn beide Elternteile Sprint-Stars und mehrfache Olympiateilnehmer waren. Sind Sie wegen Ihrer Gene so schnell oder mussten Sie als Knirps immer ihren Eltern nachrennen?

Eher umgekehrt. (Lacht) Meistens rannten sie mir nach, ich war ein sehr aktives Kind. Ich habe wirklich super Gene mitbekommen, das war schnell klar. Kommt hinzu, dass ich schon als kleiner Bub praktisch jedes Wochenende mit Leichtathleten im Letzigrund verbrachte und auch mittrainiert habe – da mein Vater ja noch Trainer war.

Warum wurde aus Ihnen kein Sprinter?

Ich wollte lieber Fussballspielen, Leichtathletik war mir zu langweilig.

Keine Hürde zu hoch: Klein-Nishan mit der Mama Helen Barnet Burkart .
Keine Hürde zu hoch: Klein-Nishan mit der Mama Helen Barnet Burkart .
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Wie haben Ihre Eltern darauf reagiert?

Ich glaube, sie hätten es zwar gern gesehen, hätte ich auf Leichtathletik gesetzt. Aber Sie haben mich auf meinem Weg immer unterstützt. Sie waren wohl einfach auch happy, dass ich Sport betreibe.

Im Sommer 2019 wechselten Sie dann zum SC Freiburg ...

… und das war schwieriger, als ich dachte. Der Wechsel aus der ManUtd-Academy in die U23 von Freiburg war eine grosse Umstellung. Plötzlich spielte ich Regionalliga, Männerfussball. Weniger technisch, weniger spielerisch, mehr Kampf und resultatorientierter. Im englischen Nachwuchs zählen Resultate wenig, in Deutschland lernte ich, wie man mal auch einen knappen Vorsprung über die Zeit bringt und diesen unbedingten Siegeswillen. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt, so dass ich nach einer sehr guten Saison den Sprung ins Bundesliga-Kader schaffte.

Im April 2021 beim 1:2 gegen Gladbach feierten Sie Ihr Bundesliga-Debüt. Wie war’s?

Sicher eindrücklich, aber auch speziell: Leider war es wegen Corona nur ein Geisterspiel.

Es ist bis heute Ihr erstes und letztes Bundesliga-Spiel geblieben.

Leider. Danach spielte ich nie mehr, stand an den Wochenenden kaum mehr im Kader. Irgendwann kam der Punkt, wo es überhaupt nicht mehr passte und ich nur noch am Durchbeissen war. Die Freude am Fussball war weg. Zum Glück ist dann der FC Winterthur gekommen, das war eine super Lösung. Hier fühle ich mich sehr wohl.

Warum läuft's bei Winterthur so gut?

Wir haben einen tollen Teamgeist, es gibt bei uns keine grossen Egoisten. Zudem haben wir einen Trainer, der offen und gut kommuniziert.

Mit 24 dürfen Sie noch grosse Träume haben. Wohin führen Sie diese?

Am liebsten wieder nach England. Da ich halber Engländer bin, wäre es für mich keine grosse Sache.

Nishan war schon früh im Gym anzutreffen.
Nishan war schon früh im Gym anzutreffen.
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Und in die Nati?

Natürlich. Aber alles Schritt für Schritt.

Haben Sie in Ihrer Kindheit mit Ihrer Mutter englisch gesprochen?

Englisch ist meine Muttersprache, ja. Ich habe auch mit meinem Vater englisch gesprochen. Er hat als junger Mann lange Zeit in Amerika gelebt, sprach fliessend Englisch.

Ihr Vater ist im Mai 2020 im Alter von 62 Jahren verstorben. Wie traurig macht es Sie, dass er nicht mehr mitbekommen durfte, wie Sie im Profifussball durchstarteten?

Sehr traurig. Ich denke oft: ‹Schade, ist er nicht mehr da und kann das nicht mehr miterleben›. Aber ich weiss, dass er sehr stolz auf mich wäre. Und ich bin einfach nur dankbar, dass ich so ein grossartiges Verhältnis mit meinem Vater haben durfte. Ich bin froh und glücklich, dass er immer an mich geglaubt und mich unterstützt hat.

Stefan Burkart hat seinem Sohn Nishan die Schnelligkeit in die Wiege gelegt. 
Stefan Burkart hat seinem Sohn Nishan die Schnelligkeit in die Wiege gelegt. 
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Er hatte ein sehr bewegtes Leben. Als Teenager nahm er Drogen, erst Hasch, dann immer härtere. Bis er mit 19 nach Amerika gereist ist, um davon loszukommen. Da hat er sich in den Kopf gesetzt, an Olympischen Spielen teilzunehmen, was er schliesslich geschafft hat. Er hat offen über sein Leben geredet, seine Geschichte an Schulen erzählt, um Jugendliche von Drogen fernzuhalten. Macht es Sie stolz, wie er mit seinem Schicksal umgegangen ist?

Ich finde es supertoll. Er hat in seinem Leben viel gesehen und erlebt. Und obwohl er nicht immer die richtigen Entscheide getroffen hat, als er jünger war, hat er an zwei Olympischen Spielen teilgenommen. Das macht mich megastolz. Seine Geschichte ist der Beweis, dass man niemals aufgeben und an seinen Träumen festhalten sollte.

Wie war es mit zwei Sportlern als Eltern? Durften Sie auch mal über die Stränge schlagen?

Meine Eltern liessen mir viele Freiheiten, sie haben sich nicht eingemischt, mich auch nicht gepusht. Aber sie waren immer da, wenn ich sie gebraucht habe. Wenn’s mal eng wurde in der Schule mit den vielen Trainings, sind vielleicht auch mal Hausaufgaben vergessen gegangen. Dafür hatten sie als ehemalige Spitzensportler Verständnis. Sie haben es mir einfach gemacht, aufzuwachsen und an meinem Traum vom Profifussballer zu arbeiten.

Nach ihrer Hochzeit mit Stefan Burkart lief Helen Barnett für die Schweiz.
Nach ihrer Hochzeit mit Stefan Burkart lief Helen Barnett für die Schweiz.
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Was haben Sie Ihnen auf den Weg gegeben?

Dass es Geduld braucht, um an die Spitze zu kommen. Es ist eindrücklich, wie lange meine Eltern für ihren Traum gearbeitet haben. Meine Mutter hat an den Olympischen Spielen 1984 und 1992 teilgenommen. Mein Vater 1992 und 1996, damals war er bereits 34 respektive 38 Jahre alt. Sie haben immer weiter gemacht, nie aufgegeben.

In welchem Alter haben Sie Ihre Eltern erstmals übersprintet?

Keine Ahnung. Sicher ist, dass es an ihrem Alter lag, dass ich es geschafft habe. Denn an ihre Bestzeiten komme ich nicht annähernd heran. Mein Vater ist die 100 Meter in 10,32 Sekunden gelaufen, meine Mutter die 400 Meter in 52,13 Sekunden. Ohne ernsthaftes Training habe ich da keine Chance.

Ihr Vater hielt für lange Zeit mit 10,32 den Schweizer Rekord über 100 Meter. Wurden Sie schon mal über 100 Meter gemessen?

Ja, 10,8 Sekunden. Aber handgestoppt, von meiner Mutter (lacht).

Stefan Burkart nahm bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996, bereits 38-jährig, am 100-Meter-Rennen teil.
Stefan Burkart nahm bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996, bereits 38-jährig, am 100-Meter-Rennen teil.
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