Rücktritt vom Tourleben? Jon Bon Jovi: «Als mir Gott die Stimme nahm, verstand ich nicht wieso»

Franziska Pahle

26.4.2024

In der Dok-Serie «Thank You, Goodnight: The Bon Jovi Story» und beim Interview während der Television Critics Association (TCA) Press Tour in Pasadena erklärt Jon Bon Jovi, wie er nach 40 Jahren als Rockstar um seine Stimme kämpft.

Marlène von Arx

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Jon Bon Jovis Dok-Serie heisst «Thank You, Goodnight: The Bon Jovi Story» und ist auf Disney+ verfügbar.
  • Darin spricht der Rockstar über die Operation an seinen Stimmbändern.
  • Und die Fans dürfen sich freuen: Gerade mischt Jon Bon Jovi sein neues Album ab. 2024 will er die beste Version von sich selbst sein.

Jon Bon Jovi, wie schwierig war es, für die Dok-Serie auf 40 Jahre Bon Jovi zurückzublicken?

Was mir und dem Regisseur Gotham Chopra von Anfang an klar war: Es sollte kein Schleimer-Dok werden, wo ich rumstampfen würde und das Sagen haben wollte. Gotham ist der Regisseur. Der Dok sollte die Wahrheit aufzeigen, inklusive Warzen, was in der Vergangenheit war und was die Vision für die Zukunft ist. Ich bin stolz, was dabei herausgekommen ist.

Sind Sie auch stolz auf die eigene Leistung in den letzten vier Dekaden?

Ich bin stolz auf die Person, die ich heute bin. Ich bedaure nicht viel. Ich hatte einen Traum, verfolgte ihn und verfolge Fortschritt noch immer. Ich wurde kürzlich als «MusicCares Person des Jahres» für den Musikkatalog und unserer Philanthropie ausgezeichnet. Am Tisch sassen Paul McCartney zu meiner linken und Bruce Springsteen zu meiner rechten Seite – meine Frau versuchte, die Tischkärtchen anders zu arrangieren, um neben mir zu sitzen, aber ich hütete die beiden Plätze (lacht). Mit 18 hätte ich mir nicht in meinen wildesten Träumen vorstellen können, in dieser Situation zu sein.

Der Dok-Titel «Thank You, Goodnight» klingt ein bisschen, als wollten Sie sich verabschieden.

Das sage ich am Ende von jedem Konzert. Aber darin schwingt auch die Unklarheit für meine Zukunft und die der Band mit. Das hat mit meiner Gesundheit zu tun. Ich hatte eine Operation an meinen Stimmbändern. Ich mache zwar gute Fortschritte, aber als wir die Dok-Serie drehten, standen noch viele Fragen offen. Wenn ich nicht mehr zweieinhalb Stunden auf der Bühne auftreten kann, dann ist es tatsächlich «Thank You, Goodnight».

Sie sind inzwischen 62 Jahre alt. Wie gehen Sie allgemein damit um, als Rocker älter zu werden?

Es ist nicht leicht – vor allem wegen dieser Stimmbandgeschichte, und jetzt bin ich auch bereit, darüber zu reden. Ich behaupte von mir, ein echter Sänger zu sein. Ich habe mit Pavarotti gesungen, ich brülle und jaule nicht nur. Ich weiss, wie es geht, habe 40 Jahre Erfahrung. Als mir Gott die Stimme nahm, verstand ich nicht wieso. Das Einzige, was ich je in meine Nase hinauf liess, war mein Finger. Es gibt also kein Grund, wieso da was nicht mehr funktionieren sollte.

Was ist denn genau mit Ihren Stimmbändern los?

Eines der beiden Stimmbänder war buchstäblich am Verkümmern. Das eine war so dick wie ein Daumen, das andere wie ein kleiner Finger. Das Stärkere drückte dann auch das Schwächere zur Seite und ich sang nicht mehr gut. Zum Glück fand ich einen Chirurgen, der mir ein Implantat machen konnte, um das Band wieder aufzubauen. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen, und wie ich in der Serie sage: Ich wünschte, ich hätte mein Werkzeug wieder. Mit dem Rest, mit dem Älterwerden, kann ich umgehen. Ich kann immer noch Songs schreiben und auftreten. Ich mache jetzt seit über 21 Monaten Therapie. Vor Kurzem sang ich das erste Mal wieder öffentlich und hinterfragte mich am nächsten Tag nicht. Das tat gut. Ich habe eine gute Dok-Serie, ein gutes Album. Es fehlt nur noch das letzte Puzzleteil, dann gehe ich wieder mit Freuden arbeiten.

Sie kämpfen in der Serie gegen die Tränen, wenn Sie den Rest der Band bitten, Ihnen zu vertrauen …

… das bezieht sich auf die frühen Neunzigerjahre. Wir landeten einen Plattenvertrag und hatten Erfolg, aber ich feuerte den ersten Manager. Wieso, erfährt man in der Serie. Statt einen neuen Manager anzuheuern, tat ich das Undenkbare: Ich kreierte das Bon Jovi Management und vertrat uns selber. Man hielt das für Karriere-Selbstmord. Der Lebensunterhalt von den Bandmitgliedern hing von diesem verrückten Entscheid ab. Ich bat sie, nicht auf den Ex-Manager, die Industrie oder selbst die eigenen Egos zu hören und mir zu vertrauen, dann würden wir ewig weiter bestehen wie die Rolling Stones. Sie vertrauten mir, und so machten wir mit Bon Jovi Management und der Hilfe eines Anwalts alles selber bis 2016, bis ich meine Grenzen erreichte und wieder einen Manager anstellte.

Wie wurde bestimmt, wer in der Dok-Serie zu Wort kommt?

Wir wollten keinen Film mit vielen Köpfen, die ihren Senf zu Bon Jovi geben. Es ist die Geschichte der Band und die Band soll sie auch erzählen. Dazu noch Southside Johnny und Bruce Springsteen, weil sie Mentoren waren und sie uns kannten, als wir noch die Highschool besuchten. Wenn anderen Bandmitglieder – inklusive Richie — ihre Sichtweise kundtun, gibt es schon mal eins auf die Nase, aber natürlich liess ich das nicht rausschneiden. Niemand muss Angst vor irgendwelchen Konsequenzen oder verletzten Egos haben.

Das einzig Konstante im Leben und im Musikgeschäft ist die Veränderung. Wie gehen Sie mit Veränderung um?

Wir haben mit Kassetten angefangen, als es noch keine Computer und Mobiltelefone gab, und haben von Eight Tracks über CDs und Streaming alles gesehen. Ich bin anpassungsfähig, habe Plattenbosse kommen und gehen und die Firmen ihre Namen wechseln sehen. Aber ich bin seit 40 Jahren beim gleichen Label. Ich finde es gut, dass der nächste Bob Dylan seine Songs streamen kann und nicht auf die Playlist eines Radiosenders oder auf einen TV-Auftritt angewiesen ist. Das liegt hinter uns. Wenn man seine eigene Wahrheit verfolgt und dranbleibt, wird man sein Publikum finden.

Rock ’n’ Roll war einst eine Revolution. Welche Rolle spielt Musik heute in der Gesellschaft?

Musik hat die Kultur immer beeinflusst. Wo wäre die Welt ohne Songs wie «This Land is Your Land» von Woody Guthrie oder «Blowin' in the Wind» von Bob Dylan? Künstler reflektieren die Welt um sich herum, wenn sie das wollen. Manchmal hat man das Glück, dass die Musik über die Landesgrenzen hinaus und über Generationen eine Bedeutung haben. Ich habe einen zweiseitigen, handgeschriebenen Brief von Präsident Selenskyj bekommen, in dem er mir erklärte, welche tiefe Bedeutung «It’s My Life» für die Menschen in der Ukraine hat. Ich meine: Heiliger Bimbam!! Ich habe den Song einfach damals aus meiner Warte geschrieben und jetzt trifft er Menschen auf neue Weise in anderen Kulturen.

Wie fühlen Sie sich selbst, wenn Sie Ihre alten Klassiker hören?

Der Musikkatalog von Bon Jovi besteht den Test der Zeit und ich bin stolz darauf. Vom jungen Mann bis zur Mitte der Nullerjahre habe ich mich sicher auch als Sänger verbessert. Vor Kurzem habe ich unseren Auftritt bei den Oscars mit «Blaze of Glory» gesehen. Damals dachte ich, es war okay. Jetzt finde ich: Wir waren verdammt gut! Jetzt bin ich gerade am Abmischen unseres neuen Albums und hoffe, dass ich 2024 die beste Version von mir sein kann. Das ist mein Ziel.

«Thank You, Goodnight: The Bon Jovi Story» gibt's auf Disney+.


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