J.K. Rowling im Kreuzfeuer «Hogwarts Legacy» ist genial und wird trotzdem boykottiert – zu Recht?

Von Martin Abgottspon

20.2.2023

Nie zuvor hat es in einem Videospiel so viel Spass gemacht, in die Welt von Harry Potter einzutauchen.
Nie zuvor hat es in einem Videospiel so viel Spass gemacht, in die Welt von Harry Potter einzutauchen.
Warner Bros.

Seit Jahren steht J.K. Rowling schon in der Kritik wegen transfeindlicher Aussagen. Darunter leidet jetzt auch das neue Videospiel «Hogwarts Legacy». Doch sind die Boykott-Aufrufe deswegen berechtigt?

Von Martin Abgottspon

J. K. Rowling ist mit mehreren kontroversen Tweets zum Feindbild Nummer 1 in der Trans-Community geworden. Angefangen hat alles 2019, als sich die Autorin mit einer Frau solidarisierte, die der Ansicht war, dass Frausein nichts mit Identität zu tun habe. Vielmehr gehe es einzig und allein um das biologische Geschlecht.

In der Folge drückte sich Rowling wiederholt unglücklich aus, auch wenn nicht immer ganz klar war, ob ihre Aussagen wirklich transphob motiviert waren oder vielmehr einem feministischen Gedankengut entsprungen sind. Da sich Rowling öffentlich aber nie bei der Trans-Community für ein mögliches Missverständnis entschuldigt hatte, steht sie bis heute auch in weiteren Fankreisen in der Kritik.

Shitstorm für deutschen Streamer Gronkh

Mit der Veröffentlichung von «Hogwarts Legacy»  wird dem ganzen Drama nun ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Etliche Spieler haben in den sozialen Medien zu einem Boykott aufgerufen, den sie mit aller Vehemenz versuchen durchzusetzen. So schrecken einige fanatische Gegner auch nicht davor zurück Streamer und Youtuber, die «Hogwarts Legacy» spielen, zu beleidigen und sogar zu bedrohen.

Über einen der grössten deutschen Streamer brach ein regelrechter Shitstorm herein. Eric Range alias Gronkh hat sich gegen einen Boykott  entschieden – und damit den Unmut Tausender Zuschauer auf sich gezogen. Die Hass-Welle wurde schliesslich so gross, dass er sich zwei Tage komplett aus allen sozialen Kanälen zurückzog. Danach erklärte er auf Twitch: «Diese Frau (Joanne Rowling) spielt in meinem Leben keine Rolle. Das heisst nicht, dass mir Trans-Menschen egal sind.» Das hätte vielen schon vorher klar sein sollen. Denn immerhin wollte Gronkh die Einnahmen aus seinem Livestream an Organisationen spenden, die sich für Trans-Menschen einsetzen.

Ein Spiel, das einfach nur verzaubert

Stattdessen herrscht der blinde Hass. Viele wollen sich mit «Hogwarts Legacy» gar nicht näher auseinandersetzen. Sie geben dem Spiel keine Chance und verpassen dabei die Möglichkeit, in eine Harry-Potter-Welt einzutauchen, wie es sie noch nie gegeben hat. 

Erstmals können Spieler das Schulgelände, Hogsmeade oder die nahen Wälder erkunden, wie man sie sich aus den Büchern oder Filmen vorstellt. Die Welt ist gigantisch und als Neuankömmling gibt es in all den Unterrichtslektionen jede Menge Zauber zu erlernen. All dies ist eingebettet in eine spannende Story, in welcher man sich auf eine gefährliche Reise macht, um die geheime Wahrheit der Welt der Zauberei aufzudecken.

Das Ganze spielt sich im 19. Jahrhundert ab, also einige Generationen vor Harry Potter und dennoch katapultieren einen einzelne Begegnungen wie mit Professor Weasley oder Easter Eggs in Form einer Puppe von Severus Snape auch immer wieder in die Gegenwart.

Hier wird Diversität gelebt

Das Entwicklungsstudio Avalanche Software macht aber nicht nur in Sachen Gameplay, Weltdesign und Storytelling einen Super-Job, sondern hat eben auch an jene Punkte gedacht, die Kritiker nur unnötig in die Karten gespielt hätten. 

Im Charakter-Editor des Spiels kann man so Stimme, Geschlecht und Aussehen unabhängig voneinander bestimmen, was mittlerweile oft Standard in Rollenspielen ist. Darüber hinaus spielt eine Transfrau eine grössere Nebenrolle im Spiel. An Diversität mangelt es in der Spielewelt also in keinster Weise.

Wie die Hauptfigur in «Hogwarts Legacy» aussieht, entscheiden die Spieler alle selbst. Farbige Haare, Narben im Gesicht oder eine Hexe mit Bart, vieles ist möglich. 
Wie die Hauptfigur in «Hogwarts Legacy» aussieht, entscheiden die Spieler alle selbst. Farbige Haare, Narben im Gesicht oder eine Hexe mit Bart, vieles ist möglich. 
Screenshot «Hogwarts Legacy»

Boykott ja oder nein?

Kommen wir also zur entscheidenden Frage? Ist ein Boykott von «Hogwarts Legacy» tatsächlich angebracht oder vielleicht doch etwas übertrieben? Natürlich kann die Haltung von J. K. Rowling und ihre Aussagen ausreichen, um dem Spiel abzuschwören. Immerhin verdient sie am Game mit, auch wenn sie künstlerisch nicht beteiligt war. Lizenz-Einnahmen kassiert sie trotzdem. Von einem moralischen Standpunkt aus betrachtet, ist der Boykott also durchaus nachvollziehbar.

Schwierig wird es aber, wenn aus dieser individuellen Entscheidung ein moralischer Imperativ wird. Wer das Spiel gut findet, ist deswegen nicht automatisch transphob. Nach dieser Logik müsste man alles meiden, was Menschen oder Produkte unterstützt, die anderen Menschen schaden. Das wiederum ist nahezu unmöglich. Wer das bestreitet, macht sich vielleicht das nächste Mal in der Migros beim Bananenkauf mal Gedanken, wenn er sich bewusst ist, dass Plantagenarbeiter durchschnittlich 237 Franken im Monat verdienen.

Wer trotzdem noch Zweifel hat, lässt sich am besten von Transmann Asher Chelders Worten inspirieren. Gegenüber Sky News räumte er ein, dass Rowlings Ansichten Menschen verletzt haben. Und trotzdem freute er sich seit der Ankündigung auf das Spiel. «Ich habe viel Trost in der Serie gefunden und es ist etwas, das ich nicht abschütteln kann. Es ist ein Teil von mir», sagte er.

Deine Meinung interessiert uns

Schreib einen Kommentar zum Thema.